Beginenhochzeit
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2010
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- Ullstein, 2010, Titel: 'Beginenhochzeit', Originalausgabe
Solider Historienroman mit Einblicken in das Beginenleben
Flandern um 1500: Seit 15 Jahren lebt die junge Agnes auf dem Beginenhof in Brügge, wo sie als Pförtnerin arbeitet. Agnes fühlt sich wohl in der Gemeinschaft, doch ganz hat sie ihre Sehnsucht nach dem weltlichen Leben nicht verloren.
Das friedliche Leben auf dem Beginenhof gerät in Aufruhr, als die alte Schwester Seraphine stirbt. Seraphine stammte aus wohlhabendem Haus und hatte schon lange versprochen, ihr Vermögen dem Beginenhof zu hinterlassen. Doch es stellt sich heraus, dass sie kurz vor ihrem Tod ein neues Testament anfertigte, wonach sie den Großteil ihres Besitzes ihrem Neffen Christoph de Ven vermacht.
Für die Beginen um Magistra Walburga bedeutet das einen schweren Schlag, denn der Beginenhof benötigt dringend Gelder für diverse Ausbesserungen und den Bau eines Spitals. Magistra Walburga fechtet das Testament an, unterstützt von Advokat Dietz, zu dem sich Agnes gegen ihren Willen hingezogen fühlt. Schließlich taucht auf dem Hof auch noch die junge Novizin Maria auf, die ein Geheimnis zu verbergen scheint ...
Schicksal einer Begine
Komplexe Familiengeschichten, eine recht sympathische Protagonistin und detaillierte Einblicke in den Beginenalltag sind die Elemente, die Klara Wintersteins Roman zu bieten hat. Die Handlung konzentriert sich zunächst vor allem auf das Schicksal von Agnes. Sie ist offenbar zufrieden mit ihrem Leben auf dem Beginenhof, doch ist sie dem weltlichen Leben immer noch mehr verbunden, als sie sich zunächst eingestehen möchte. Ganz eindeutig wird dies bei der Begegnung mit dem Advokaten Dietz. Der schlagfertige Advokat erkennt rasch die Reize der Begine und macht sich einen Spaß daraus, sie gerne in Verlegenheit zu bringen; Agnes wiederum fühlt sich hin- und hergerissen zwischen ihrem Interesse für ihn und ihrem Bestreben, sich weiterhin allein auf Gott zu konzentrieren. Der Leser erwartet mit Spannung die Entfaltung einer Liebesgeschichte zwischen diesen beiden liebenswerten Figuren.
Zu den sympathischen Charakteren, die dem Leser ans Herz wachsen, zählt zudem der kleine Clemens van Goos. Der schmächtige Junge mit dem großen Zeichentalent möchte gern Maler werden, aber der Weg zu einer angemessenen Ausbildung scheint unmöglich, denn Clemens muss Geld verdienen, um seine verarmte Mutter zu unterstützen. Sowohl Agnes als auch Advokat Dietz begegnen dem Jungen wohlwollend und in Christoph de Ven findet er schließlich einen Förderer.
Detaillierte Darstellung des Alltagslebens
Überzeugen kann der Roman insbesondere bei der Darstellung des zeitgenössischen Alltagslebens, nicht nur, was das Beginenleben betrifft. Örtlichkeiten werden detailliert beschrieben, sodass sich der Leser ein gutes Bild von Architektur und Einrichtung machen kann, ohne dass die Beschreibungen langatmig geraten. Ob Bekleidungen der Figuren, zubereitete Mahlzeiten oder alltägliche Arbeiten wie das Kaminanzünden, es bleibt nicht bei einfachen Nennungen, sondern die Gesten, Düfte und Gegenstände lassen den Leser eintauchen in die Zeit um 1500. Jedem Kapitel ist ein kleiner Absatz vorangestellt, der eine Regel aus dem Beginenleben erläutert. Man erfährt beispielsweise die Aufgaben der Magistra und die Hierarchie auf dem Hof, die Fastenregeln, den Umgang mit dem Tod und das angemessene Verhalten bei Tisch. Im Handlungsstrang um Agnes werden diese Regeln in der Praxis vorgeführt. Das Leben der Beginen wird als ausgesprochen strukturiert dargestellt und die Schilderungen können durchaus neugierig darauf machen, sich näher mit den Beginen zu befassen; abschließend liefert auch das Nachwort nochmals ein paar Informationen zum historischen Hintergrund.
Aufgelockert wird der strenge Alltag auf dem Beginenhof durch die vielen unterschiedlichen Charaktere, die ihn bevölkern. Die Magistra etwa ist eine Frau, die sowohl Schärfe als auch Milde in sich vereint, die kluge Nopicht verbirgt ihren weichen Kern bisweilen hinter lakonisch-bissigen Bemerkungen und die wunderliche Gärtnerin Ursula gibt nicht mit ihren plötzlichen Ausbrüchen nur ihren Mitschwestern, sondern auch dem Leser manches Rätsel auf. Auch auf humorvolle Szenen finden ihren Platz, beispielsweise wenn die Novizinnen vor dem Schlafengehen verträumt darüber sinnieren, wie ihr Bräutigam Jesus Christus wohl ausgesehen haben mag - blondgelockt mit blauen Augen stellt ihn sich die eine vor, für einen wilden schwarzen Bart und samtig-dunkle Augen plädiert die andere.
Kleine Schwächen in der Handlung
Zu den Mankos des Romans gehört die Vorhersehbarkeit, was den Strang um Agnes betrifft. Zu übertrieben und konstruiert wirkt es, dass sie einige Dinge erst sehr spät erkennt, die für den Leser bereits viel früher sehr offensichtlich sind. Möglicherweise soll dieses späte Erkennen der Spannung zuträglich sein, aus Lesersicht ist es jedoch eher ärgerlich, dass Agnes ihn mancherlei Hinsicht wie verblendet zu sein scheint. Des Weiteren ist die Handlung mit ihren diversen Strängen etwas zu überladen geraten. Zunächst stehen Agnes und das Leben auf dem Beginenhof im Vordergrund, dann erhält das Werk mit dem Streit um das Erbe eine leicht kriminalistische Komponente, Christoph de Ven und seine komplizierte Ehe sind ein Thema, ebenso wie das Schicksal des jungen angehenden Malers Clemens, ehe die Liebesgeschichte zwischen Agnes und dem Advokaten und vor allem Agnes Vergangenheit in den Fokus rücken. Zwar gehören all diese Fäden letztlich zusammen, aber die ständigen Schauplatzwechsel ermüden auf Dauer ein wenig und verhindern, dass man sich vollends auf die Geschehnisse einlässt.
Unterm Strich bleibt ein solider bis unterhaltsamer Historienroman für alle Leser, die gerne etwas über das Leben der Beginen erfahren möchten.
Klara Winterstein, Ullstein
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