Die Bettelprophetin
- Kindler
- Erschienen: Januar 2010
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- Kindler, 2010, Titel: 'Die Bettelprophetin', Originalausgabe
Von der Ohnmacht der Besitzlosen und Selbstherrlichkeit der Besitzenden
Kurzgefasst:
Als Theres Ludwig dem charismatischen Pfarrer Patriz Seibold zum ersten Mal begegnet, hat sie eine Jugend hinter sich, die geprägt ist von Armut und Elend, von Einsamkeit und Lieblosigkeit, von bitterbösen Schicksalsschlägen. Es ist die Zeit der Hungerjahre und der Volksaufstände überall in Deutschland. Theres ist am Ende ihrer Kräfte, sie verflucht Gott und die Kirche. Aber anstatt sie für dieses unerhörte Sakrileg zu strafen, nimmt Patriz Seibold sie in seinem Pfarrhaus auf. Als die beiden sich näherkommen, begeben sie sich in große Gefahr. Denn mächtige Menschen versuchen mit aller Gewalt, das Unbotmäßige zu verhindern.
Theres Ludwig hat es nicht gut getroffen. Das intelligente Kind muss von klein auf einem rücksichtslosen Bauern das Haus bestellen, bis es in ein Heim für Vagantenkinder eingewiesen wird. Doch dort geht es dem Mädchen nicht besser: Theres wird schikaniert, geschlagen, gequält. Wie die meisten anderen Vagantenkinder auch. Erst ein neuer Heimleiter bringt Erleichterung, und Theres scheint die Zukunft wieder offen zu stehen. Als Hausmagd in einem Pfarrhof zieht sie hinaus in die Welt - um bald schmerzhaft erfahren zu müssen, dass arme Menschen keine Rechte haben. Theres, die sich bemüht, nicht vom rechten Weg abzukommen, gerät in die Mühlen der Behörden und fällt immer tiefer. Bis eine Marienerscheinung ihre Welt gänzlich auf den Kopf stellt. Doch ist Theres eine Betrügerin, eine Irre oder eine Erleuchtete?
Schnörkelloses Portrait
Für Menschen, denen das Schicksal wenige Startchancen bot, ist die Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts kein Zuckerschlecken. Sie sind der Willkür einer überheblichen Herrschaft ausgeliefert, müssen sich für einen Hungerlohn schinden und jede kleine Freude bitter bezahlen. Mit ihrem schnörkellosen Portrait dieser Gesellschaft zeigt die Autorin Astrid Fritz auf, wie wenig es damals brauchte, um zu einem rechtlosen Wesen gestempelt zu werden. Theres' Schicksal steht für das Leben tausender Menschen, die zwar rechtschaffen waren, aber im bürgerlichen Leben nicht Fuß fassen konnten: weil sie an Herrschaften gerieten, die sie ausbeuteten und misshandelten. Astrid Fritz malt ein düsteres Bild. Und doch stiehlt sich immer wieder ein Funken Hoffnung hinein, der Glaube daran, dass es irgendwann eine Erlösung gibt. Feinfühlig begleitet die Autorin ihre Protagonistin durch deren Leben, verleiht Theres eine Stimme und macht dem Leser das Erleben einer gesellschaftlichen Stellung möglich, über die in der Regel kaum Worte verloren werden. Durch die Nähe und das unmittelbare Einbezogen sein bekommt nicht nur Theres eine starke Ausstrahlung, es wird auch aktiv Geschichte vermittelt, wie sie direkter nicht sein könnte.
Auf schillerndes Heldentum verzichtet
Mit Die Bettelprophetin hebt sich Astrid Fritz vom gängigen Muster historischer Romane mit weiblichen Protagonisten deutlich ab. Wohl steht Theres im Mittelpunkt des Romans, doch ist sie weder eine listige Kämpferin, noch eine von allen geliebte Heldin mit unglaublichen Fähigkeiten: Sie ist einzig eine junge Frau, die ihren Weg gehen will und dabei vor so mancher - gesellschaftlichen - Hürde steht. Ihre Erscheinungen sind nach dem heutigen Wissensstand der Psychologie weitgehend erklärbar - und damit wird auch jener Teil der Geschichte, als es um die Erscheinungen Theres´ geht, glaubwürdig.
Keine leichte Kost
Die Bettelprophetin ist vieles: ein tiefgründiger Roman mit wunderbar gezeichneten Bildern, ein Sittenportrait des 19. Jahrhunderts und ein Plädoyer für Menschlichkeit. Es ist aber kein einfacher Unterhaltungsroman, keine leichte Kost. Wer sich auf dieses Buch wirklich einlässt, wird eine bewegende und bestürzende Begegnung mit Not, Elend und Verzweiflung, aber auch mit Hoffnung, Stärke und Menschenliebe haben. Und er wird einen wirklich starken Roman in Händen halten, der weitgehend auf Effekthascherei und schillernde Spannung verzichtet, um feine Töne eine Melodie spinnen zu lassen.
Astrid Fritz, Kindler
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