Der zerrissene Schleier
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2010
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- Droemer-Knaur, 2010, Titel: 'Der zerrissene Schleier', Originalausgabe
Orientalische Würze trifft auf fade Geschichtsstunde
Kurzgefasst:
1444: In den Ländern, die die Osmanen unterworfen haben, werden christliche Jungen im muslimischen Glauben unterwiesen und zu Dienern des Reiches ausgebildet. Doch eines dieser Kinder ist ein Mädchen: die junge Thamar, die wild, widerspenstig und mit ihren eisblauen Augen allen ein wenig unheimlich ist. Trotzig nimmt Thamar ihre neue Rolle an, bis sie dem Venezianer Ciriaco begegnet...
1444: Die muslimischen Herrscher sammeln in den von ihnen eroberten Gebieten die Söhne der Christen ein, um sie in ihrem Stammland zu muslimischen Kämpfern für den Sultan heranzuziehen. Thamars Vater will seinen Sohn schützen und steckt stattdessen seine Tochter in Hosen. Thamar gerät immer mehr in Bedrängnis, fürchtet sie sich doch vor den Folgen, sollte ihre wahre Identität auffliegen. Durch ihren Kampfesmut fällt sie dem Herrscher auf, der sie für besondere Missionen einsetzen will. Im Hause des mächtigen Chidr Pascha begegnet Thamar dem Venezianischen Kaufmannssohn Ciriaco. Die beiden Schicksale verknüpfen sich langsam.
Tolle Atmosphäre
Jens J. Kramer lässt den Orient mit all seinen Gerüchen, Farben und Geräuschen lebendig werden. Intensiv taucht er in die orientalische Welt ein und fächert die verschiedenen Facetten auf, um den Leser am üppigen Leben, an Intrigen und philosophischen Gedanken teilhaben zu lassen. Ein intensiver Roman, mit dem Kramer verzaubern kann. Auch die Welt des Venezianers Ciriaco ist durchaus faszinierend und vermag zu fesseln. Hier zeigt der Autor, dass er mit einem großen Erzähltalent gesegnet ist und es versteht, sein Publikum mit toller Atmosphäre zu verwöhnen.
Dröge Geschichtslektion
Doch leider vermag Jens J. Kramer dieses hohe Niveau nicht durch den ganzen Roman hinweg zu halten. Er flicht immer wieder langatmige und in ihrer Fülle erschlagende Geschichtslektionen in den Roman ein, die den Lesefluss markant hemmen. Zwar zeichnet sich der Autor durch ein profundes Wissen der Ereignisse um die Macht auf dem Balkan im 15. Jahrhundert aus. Ein Wissen, das er aber so schulmeisternd präsentiert, dass es nur jene fesseln dürfte, die ein absolutes Flair für die damaligen Machtverhältnisse haben. Alle anderen werden sich seufzend durch die Erläuterungen kämpfen, wenn sie nicht mit der Zeit den Roman beiseite packen. Denn so schön die Passagen um die beiden Protagonisten geschrieben sind, so leidet die Spannung doch erheblich unter den Geschichts-Einschüben.
Starke Charaktere
Stimmungsvoll ausgearbeitet sind die Charaktere in Kramers Roman. Sowohl Thamar als auch Ciriaco präsentieren sich in einer überzeugenden Vielschichtigkeit, wenngleich bei Thamar immer leicht die Gefahr besteht, in Übertreibungen zu schwelgen. Dennoch überzeugt das Mädchen trotz dem schon etwas abgegriffenen Bereich "Frau-in-Hose". Geschickt führt Jens. J. Kramer die Leser in dieser Sache auf ein Niveau, das sich doch klar von der breiten Masse abheben kann. Dies wohl auch deshalb, weil die Hosen-Rolle nicht ein durch alle Gefahren hindurch geschütztes Bild bleibt, sondern schnell in eine dem Vorteil einzelner mächtiger Männer dienenden Situation mündet. Sehr schön gezeichnet sind aber nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die weiteren Protagonisten. Selbst unbedeutende Nebenfiguren sind liebevoll ausgearbeitet und überzeugend dargestellt.
Die Mischung stimmt nicht ganz
Eigentlich legt Jens J. Kramer also einen ausgereiften historischen Roman mit großem Potential vor. Doch stimmt die Mischung zwischen atmosphärisch dichter Erzählung und Geschichtsteil nicht ganz. In seinen bisherigen Romanen hat der Autor gezeigt, dass dies ansonsten nicht zu seinen Schwächen gehört. So mag Der zerrissene Schleier leider nicht an den Vorgänger Das Delta heranreichen. Grundsätzlich wird hier ein solider Roman mit sehr überzeugenden Passagen präsentiert, der leider etwas über das zu große Wissen des Autors in Sachen Geschichtsentwicklung auf dem Balkan stolpert. Wer darüber hinweg sehen mag, wird aber seine Freude mit der üppigen Welt des Orients haben.
Jens J. Kramer, Droemer-Knaur
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