Die Schlüsselträgerin
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2010
- 3
- Goldmann, 2010, Titel: 'Die Schlüsselträgerin', Originalausgabe
Ganz anders, als der Titel vermuten lässt
Kurzgefasst:
Sachsen, 825: Gegen den Willen ihrer Familie ist Inga zur Frau des verfeindeten Rothger geworden. Als dieser eines Abends nach einem Saufgelage nicht nach Hause zurückkehrt, findet Inga ihn mit gebrochenem Genick im Wald. Kurz darauf kommt auch Rothgers schwangere Nebenfrau Uta ums Leben. Inga beschleicht ein ungutes Gefühl. Sie fürchtet, mithilfe heidnischer Rituale den Tod der beiden heraufbeschwört zu haben. In ihrer Sorge wendet sie sich an den strengen Mönch Bruder Agius. Schon bald wird deutlich, dass es zwischen Agius und Inga eine besondere Verbindung gibt...
Cover und Titel von Simone Neumanns Die Schlüsselträgerin animieren dazu, dieses Buch ganz schnell in eine bestimmte Ecke des Genres zu schieben - und es dort unbeachtet liegen zu lassen. Wer sich mit der Zusammenfassung auf der Buchrückseite beschäftigt, wird jedoch ein erstes Mal aufmerken. 9. Jahrhundert: schon dies lässt darauf schliessen, dass man es hier nicht mit einem weiteren Exemplar von höchst durchschnittlicher Dutzendware zu tun hat. Und tatsächlich, mühelos gleitet man in eine Geschichte hinein, die fesselnd erzählt und ungewöhnlich aufgebaut ist.
Fenster zur Vergangenheit
Sehr geschickt öffnet Simone Neumann das Fenster zur Vergangenheit. Zunächst führt sie ihre Leser auf ein Schlachtfeld und öffnet dort den Fokus auf einen Verrat, der weitreichende Folgen haben sollte. Später setzt sie mit ihrer Geschichte dort ein, wo die Nachkommen die Taten ihrer Väter zu büssen haben. Die Autorin verzichtet auf allzu üppige, theatralische Momente. Sie setzt mehr auf Nähe. Ihre Protagonisten sind so gezeichnet, dass es mühelos möglich ist, in die jeweilige Person zu schlüpfen und das Geschehen aus deren Blick zu betrachten. So kommt ein sehr abwechslungsreiches Leseerlebnis zustande. Ausgesprochen wertvoll ist dabei die scheinbar nebensächliche, aber sehr bildlich gestaltete Beschreibung der Lebensumstände von Hauptfigur Inga. Sie ist es auch, die dem Roman diesen unsäglichen Titel verliehen hat. Ein Titel, der zwar zum Geschehen passt, aber wohl gründlich verkannt wird.
Das Leben in einer "Kommune"
Inga ist mit Rothger verheiratet, der sie einst aus ihrem Elternhaus raubte. Rothger hat sich aber längst einer Nebenfrau zugewandt. Uta wird bald ein Kind von ihm haben, was Inga verwehrt geblieben ist. Die Familie Rothgers - zu der neben seinen zwei Brüdern auch seine beiden Schwestern - ein unerträgliches Zwillingspaar - sowie weitere Personen gehören, bewohnen einen stattlichen Hof. Im grossen Wohnhaus gibt es jedoch nur den einen Raum, in dem alle zusammen schlafen, essen und leben. Dass da Spannungen nicht ausbleiben, ist verständlich. Als Rothger stirbt, muss Inga, die bisherige Schlüsselträgerin und umsichtige Hausfrau die Macht an Ada abgeben, die als Frau des zweitgeborenen Ansgars nun die Rolle der Hausfrau bekleidet. Während Uta aus dem Kreise der Familie ausgeschlossen wird, darf Inga bleiben. Denn Ansgar hat ein Auge auf sie geworfen. Die Sippe kommt aber nicht zur Ruhe. Händel, Mordfälle und böse Verleumdungen lassen die Situation eskalieren. Dass der Versuch Bruder Agius, die Familie zu christianisieren, nicht zur Beruhigung beiträgt, ist verständlich. Denn die Sachsen sind tief in ihrem heidnischen Glauben verankert.
Eingängige Sprache
Simone Neumann pflegt eine gut verständliche, aber eindringliche Sprache. Mit wenigen Worten kann sie Atmosphäre schaffen und den Leser in die Geschichte einladen. Eine Geschichte, die grundsätzlich recht nüchtern erzählt wird, aber gerade deshalb einen eigentümlichen Reiz besitzt. Wer sich bei seiner Lektüre gerne ausserhalb des gängigen Schemas bewegt, wird hier gut unterhalten. Umso ärgerlicher, dass es der Verlag versäumt hat, dieses ungewöhnliche Buch mit entsprechendem Titel und Cover zu versehen. Wenn auch Die Schlüsselträgerin grundsätzlich zum Thema passt, so verleitet er doch zu einem falschen Eindruck.
Von Simone Neumann darf noch einiges erwartet werden. Die Entwicklung von ihrem ersten Roman Die Sanduhr des Teufels zu Die Schlüsselträgerin lässt das Potential dieser Autorin erahnen. Es ist zu hoffen, dass sie dem Genre treu bleiben wird.
Simone Neumann, Goldmann
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