Die Hexe vom Niederrhein
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2010
- 3
- Gmeiner, 2010, Titel: 'Die Hexe vom Niederrhein', Originalausgabe
Ein schön erzählter Debütroman mit jeder Menge historischer Fauxpas'
Kurzgefasst:
Kempen, im Winter 1642. Am Niederrhein tobt der Dreißigjährige Krieg. Nach einem Kirchgang rettet der junge Schmied Lorenz die Tochter des Statthalters vor zwei durchgehenden Pferden. Die schöne Elisabeth macht ihrem Retter von der ersten Minute an eindeutige Avancen. Doch nicht sie ist seine Auserwählte, sondern ihre schüchterne und geheimnisvolle Adoptivschwester Antonella. Als hessische Söldner Kempen belagern und einnehmen, bricht das Chaos aus. Und die kräuterkundige Antonella wird von der gesamten Stadt als Hexe denunziert...
Kempen zu Beginn des Jahres 1642. Der Krieg tobt schon viele Jahre, und bis zu dieser Zeit blieb Kempen von dem grausigen Gemetzel verschont. Als Lorenz und Maximilian nach einem Kirchgang auf dem Weg nach Hause sind, kann Lorenz eine junge Schönheit vor einem schweren Unfall bewahren. Die Dame heißt Elisabeth und ist die Tochter des Bürgermeisters. Diese verliebt sich auf Anhieb in ihren Retter, aber dieser hat nur Augen für ihre Stiefschwester Antonella.
Als nun der Krieg immer näher rückt und der Feind Kempen bedroht, beschließen die beiden Brüder, sich freiwillig zu melden, um ihre Heimatstadt zu verteidigen. Um einen Sündenbock für das schreckliche Leid zu haben, das der Bevölkerung droht, wird Antonella als Hexe denunziert.
Flottes Tempo, sympathische Figuren und eine runde Geschichte
Sebastian Thiels Debütroman beginnt bedrückend, melancholisch und düster und vermittelt so dem Leser sofort die beklemmende Atmosphäre des Krieges. Sprachlich einfach, leicht und mitreißend, steht man schnell mitten im Geschehen und bekommt ein Gefühl für die bedrohliche Aura, die sich über Kempen gelegt hat.
Seine Figuren zeichnet Thiel mit viel Liebe zum Detail, wobei der ganze Focus auf Lorenz gerichtet ist. Diese Figur ist lebendig gestaltet, so dass einem auch die Gefühle wie Verliebtsein, verdrängte Ängste und Euphorie nicht fremd bleiben. Man fühlt mit Lorenz mit und begleitet ihn über einen Zeitraum von zwölf Tagen. In diese Zeit hat der Autor alle Geschehnisse seiner Geschichte gepackt. Ist der Leser noch zu Beginn des Buches mit Lorenz auf dem Schlachtfeld, so erfährt er in einem Rückblick, wie es dazu kam.
So fein und empathisch Lorenz und seine Familie gezeichnet sind, so einseitig sind leider so manch andere Figuren gehalten. Speziell der bitterböse Pfarrer Tillmann, über den man nichts erfährt und nur weiß, dass er anscheinend ein Fanatiker ist. Leider bleibt auch Antonella etwas blass. Über sie, die Adoptivtochter des Bürgermeisters, erfährt man lediglich, dass sie heilkundig ist und sich in Lorenz verliebt. Weshalb der Bürgermeister sie adoptierte, ob sie gleichgestellt mit ihrer Stiefschwester aufwuchs oder woher sie ihre Kenntnisse in Kräuterkunde hat, dies alles bleibt im Verborgenen. Dennoch ist die Erzählung über den doch kurzen Zeitraum äußerst kurzweilig und stringent und dies wäre im Grunde ein ganz gut gelungenes Erstlingswerk, wenn da nicht die vielen Logikfehler und historischen Fauxpas' wären.
Auch ein in historischen Dingen nicht so Belesener
wird über mancherlei Ungereimtheiten stolpern
Anscheinend hat sich Sebastian Thiel so auf die Szenerie und die zweifelsohne schön gestaltete Geschichte konzentriert, dass ihm so manch Logikfehler passiert sind. Schon nach den ersten Seiten stolpert man leider auch über historische Unkorrektheiten. Lorenz und Maximilian sind Söhne eines einfachen Schmieds, stellen aber gekonnt Waffen, im speziellen Musketen, und Rüstungen für das Militär her und sie führen ein einfaches, aber keineswegs armseliges Leben. Dennoch stockt man beim Lesen, wenn Lorenz mal schnell "durch das Wohnzimmer" geht, eine Kutsche kommt und "mit einem Peitschenknall der Fiaker zum Stehen kommt". Ein Wohnzimmer im Hause eines einfachen Schmieds im mittleren 17. Jahrhundert? Einen Fiaker in dieser Zeit, obwohl diese Bezeichnung erst im 18. Jahrhundert geprägt wurde? Aber es gab auch Braten mit Kartoffeln, gespeist wurde von Porzellan und im Wirtshaus bestellte man auch schon mal eine Runde Tee zum Aufwärmen...Alles Dinge, die erst um vieles später zum Alltag gehörten, denn Kartoffeln wurden erst ca. 100 Jahre später angebaut, Porzellan gab es zwar aus China, war aber sündhaft teuer und wohlgehütete Schätze und auch der Tee war zu dieser Zeit überhaupt nur als Medizin bekannt und diesen einfach mal so locker im Wirtshaus zu bestellen, wäre damals bestimmt niemandem eingefallen.
Da gibt es aber auch noch den Sonntag, an dem alle Bürger bei eisiger Kälte und auf knirschendem Schnee in die Kirche gingen und am übernächsten Tag traf Lorenz Antonella in ihrem Garten, "inmitten der Kräuter und wilden Gewächse.." und sein Blick fiel "auf die Bücher im niedergedrückten Gras...", "Antonella in ihrem Arbeitsrock und einfacher Bluse.." - und dies alles im kalten Januar und binnen zwei Tagen, die reinsten Temperatur- und Wetterkapriolen. Es gäbe leider noch unzählige solcher Dinge aufzuzeigen, und könnte man über den einen oder anderen Fauxpas hinwegsehen, so macht dies aber hier die Fülle aus, die einem die Lust am Lesen nimmt.
Dass der Autor erzählen kann, ist unbestritten, denn die Geschichte an und für sich ist spannend und auch das Ende ist überraschend und alles andere als trivial. So aber kann man dem Autor nur empfehlen - oder sich wünschen -, dass er sich über die Zeit, in der er schreibt, besser informiert und auch recherchiert, wenn er diesem Genre treu bleiben möchte.
Sebastian Thiel, Gmeiner
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