Machandels Gabe
- Arche
- Erschienen: Januar 2010
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- Arche, 2010, Titel: 'Machandels Gabe', Originalausgabe
Gutbürgerliche Kost, die nach den Sternen greifen möchte
Kurzgefasst:
Zur Vigilfeier des Jahres 1769 erblickt in einer Schäferhütte in der Niederlausitz ein Kind namens Ignatz Machandel das Licht einer Welt, die vor Dreck nur so starrt und durchweht ist von üblen Gerüchen. Sobald Machandel krabbeln kann, probiert er, was ihm in die Finger kommt: Er belutscht Grauplinge, kaut Spinnenbeine und Nachtfalterflügel, leckt an Lederriemen und Eisenpfannen, schmeckt Stroh, Ruß, Rinde und Erde. So gehen sieben Jahre ins Land, sieben Jahre, in denen sich Machandel Abertausende von Aromen einprägt.
Dann hört er auf zu wachsen und beginnt zu kochen. Und schon bald ist von Cottbus bis Lübben, von der Elbe bis zum Rhein die Rede von dem sonderbaren Winzling, der es wie kein anderer versteht, die erstaunlichsten Speisen zuzubereiten.
Als ein harscher Winter eine Hungersnot bringt und Machandels Mutter ins Siechenhaus verbracht wird, kommt der Knabe in ein Kloster. Dort erfährt er von dem berühmten Pariser Koch Baffour, der Gesellen sucht. Machandel macht sich auf die Reise, um an der Seine die Aromen der Liebe, des Ruhms und des Verrats zu schmecken und um ein bahnbrechendes Buch zu verfassen, von dem noch heute ein Exemplar in der Berliner Staatsbibliothek steht.
Ignaz Machandel ist wie sein berühmtes Vorbild Jean-Baptiste Grenouille (Das Parfum) nicht sonderlich vom Schicksal begünstigt: Nur durch einen Zufall überlebt er den Tag seiner Geburt, ohne dass ihn seine Mutter - wie drei seiner älteren Geschwister vor ihm - kurzerhand ertränkt, er zeichnet sich nicht durch besondere körperliche Vorzüge aus und mit dem berühmten silbernen Löffel im Mund ist er auch nicht geboren. Dennoch spielt der Löffel oder insbesondere sein erster Löffel in seinem Leben eine herausragende Rolle, ist der Sohn eines einfachen Schäfers doch mit der besonderen Gabe des herausragenden Geschmacks gesegnet.
Machandel erstaunt sein Umfeld nicht nur dadurch, dass er bereits als Kleinkind alles verschlingt, was ihm gerade in die Finger gerät, sondern auch dadurch, dass er als Heranwachsender bzw. als Koch die Aromen und Kochzutaten so zu verbinden weiß, dass das Ergebnis regelrecht zu berauschen vermag. Mit diesen Talenten ausgestattet, ist es natürlich nicht verwunderlich, dass der Junge das Interesse der Kirche erweckt, der es kurzfristig gelingt, ihn für die Klosterküche an sich zu binden und er danach innerhalb der französischen Küche aufsteigt. Machandel gelingt es hier sogar, in die Fußstapfen bzw. in die Suppenküche des berühmtesten Kochs seiner Zeit zu treten und mit dessen Förderung ein Buch der "Aromen" zu verfassen, das die Welt noch nicht gesehen hat. Nur - wird man einem dahergelaufenen Emporkömmling tatsächlich den Ruhm eines solchen Werkes zubilligen?
Große Fußstapfen
Ulf Geyersbach lehnt sich in seinen Buch Machandels Gabe nicht nur in sprachlicher Hinsicht stark an die Figur des "Grenouille" in Patrick Süskinds Roman Das Parfum an. Wie auch in diesem Werk beginnt die Handlung mit der Geburt des Helden, umspannt die Kindheit und erstreckt sich über die Jugend- und Lehrzeit bis hin zur eigentlichen Berufung. Dennoch unterscheiden die beiden Werke ein maßgeblicher Aspekt: Während es Patrick Süskind gelingt, die Sinneswahrnehmung "Riechen" zu einer neuen Bedeutung und zu einer neuen Größe zu führen, scheitert dieser Versuch in Geyersbachs Roman kläglich. Der Autor beschränkt sich lediglich auf die Aufzählung besonderer - sicherlich edler und exquisiter - Gerichte, vermag jedoch nicht, diese so lebensecht zu vermitteln, wie Süskind die Welt der Gerüche zu schildern vermochte. Der Leser blickt daher nur distanziert auf Machandels Welt des Geschmacks und steht auch den textlichen Höhepunkten - wie z.B. einer Orgie, die durch den rauschhaften Genuss eines Gerichtes hervorgerufen wird - verständnislos gegenüber.
Dr. Oetkers Versuchsküche
Auch in anderer Hinsicht ist Ignaz Machandel dem Vergleich mit Süskinds Helden nicht gewachsen: Zeichnet sich dieser durch die rücksichtslose Suche nach dem besonderen Parfum aus, die ihn letztendlich zum Massenmörder macht, zeigt auch Geyersbachs Held Ansätze in dieser Richtung, die jedoch in letzter Konsequenz nicht weiter vertieft werden. So köchelt sich auch Ignaz Machandel aus einem gehenkten Kollegen eine besondere Suppe, die "Bouillon Absolu", doch erschließt sich dem Leser auch dieser Versuch nicht endgültig. Warum erstellt jemand eine Bouillon deren Hauptzutat aus einem Koch besteht, oder warum bleibt es bei einem einmaligen Versuch, wenn das Ergebnis überzeugte? Auch hier muss der Verdacht aufkommen, dass Geyersbach den Aspekt des Kannibalismus willkürlich einfügte, um einen weiteren - für die Handlung unwichtigen - Spannungsbogen zu erzeugen.
Kein neuer Stern am Literatur-Himmel
Als Fazit von Ulf Geyersbachs Roman muss festgehalten werden, dass dieser leider um Jahre zu spät kommt. Vor Patrick Süskinds Parfum wäre dieses Buch zumindest als halbwegs fesselnde Geschichte der Neuzeit zu bewerten gewesen, das unabhängig vom Zeitrahmen der Handlung einen besonderen Sinn in den Focus stellt. Hier sollte bei aller Kritik auch festgehalten werden, dass der Roman weder langweilt, noch verärgert, sondern eine recht anregende Unterhaltung bietet. Dennoch muss sich ein Werk, dessen Sprache massiv an Das Parfum erinnert und das sich mit einem ähnlichen Thema im gleichen Land auseinandersetzt, den unmittelbaren Vergleich mit Süskinds literarischem Schwergewicht gefallen lassen. Diesem Gewicht ist Machandels Gabe nicht gewachsen. Die Aufnahme in den literarischen "Guide Michelin" muss daher verwehrt bleiben.
Ulf Geyersbach, Arche
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