Die Jüdin von Konstantinopel
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2010
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- Droemer-Knaur, 2010, Titel: 'Die Jüdin von Konstantinopel', Originalausgabe
Ereignisreiche Lebensgeschichte einer kämpferischen und äußerst angesehenen Frau der Renaissance
Kurzgefasst:
1557. In ihrem Palast in Konstantinopel zieht die schöne Donna Gracia Bilanz. Ihr Leben lang hat sie für die Würde und Freiheit des jüdischen Volkes gekämpft. Dafür hat sie alles gewagt - und verloren. Doch dann taucht der Mann auf, den sie seit Jahren tot wähnte: ihr Cousin Joseph, die Liebe ihres Lebens...
Der Titel des Buches ist viel zu banal und auch der Klappentext suggeriert, dass es sich lediglich um eine schon vielmals gelesene Geschichte einer Frau geht, die nach vielen Jahren ihren Geliebten wieder trifft. Waldtraut Lewins Jüdin jedoch ist keine Geringere als Gracia Mendes, eine Frau, die im 16. Jahrhundert in vielen Ländern für Aufsehen sorgte und sich in der Männerwelt bestens zurecht fand und sich auch behaupten konnte.
Gracia ist abends in ihrem Palast und lässt die Gedanken schweifen, als sich wider Erwarten die Tür zu ihrem Gemach öffnet und Joseph Nasi, ihr Neffe und Geliebter, vor ihr steht. Gracia war gerade dabei, Gift einzunehmen, um der schweren Demütigung, die ihr durch die Rabbiner wiederfuhr, zu entgehen. Das Glas mit dem Gift jedoch zerbrach und in dieser Situation findet Joseph sie vor...
Gewöhnungsbedürftiger, aber genialer Erzählstil
Waldtraut Lewin hat schon unzählige Bücher geschrieben und Die Jüdin von Konstantinopel ist eigentlich mehr eine Romanbiografie als einfach eine Geschichte. Donna Gracia Mendes alias Beatrice de Luna y Mendes ist die Leiterin des Bank- und Handelshauses Mendes. Sie ist schön, aber alles andere als eine sanfte und anschmiegsame Frau. Nur durch Intelligenz, Information, geschickte Strategie und eiserner Hand schafft sie es, das geerbte Vermögen nicht nur zusammenzuhalten, sondern auch noch zu vermehren.
Nach dem Prolog braucht man doch einige Kapitel, um sich aufgrund der ungewöhnlichen Erzählweise im Geschehen zurechtzufinden. Nicht nur, dass die erzählenden Personen wechseln und man so mal Gracia und dann wieder Joseph begleitet, sondern innerhalb weniger Zeilen wechselt die Ich-Perspektive zurück zum Erzähler, um nach nur ein bis zwei Sätzen wieder in die vorhergehende Perspektive zu wechseln. Zu Beginn ist dies für den Leser sehr verwirrend, da man vorher auch nie weiß, wer einem nun die Geschichte erzählt und abwarten muss, bis sich dies aus dem Text ergibt. Dazu kommt noch, dass sehr viele Rückblicke eingefügt sind, um das Leben Gracias zu erzählen. Dies geschieht aber auch nicht chronologisch, denn man springt von Konstantinopel 1556 zurück nach Ferrara 1548, dann Ferrara 1552, wieder ins Jahr 1556 und dann nach Antwerpen 1546...
Hat man aber den Rhythmus gefunden, genießt man eine einzigartige und sehr subtile Erzählweise, die man kaum ein weiteres Mal finden wird. Durch den unvergleichlichen Erzählstil wird der Leser gefordert, sich mit den Figuren und deren Gedanken auseinanderzusetzen und dringt so viel tiefer in die Geschichte ein, die ihn nicht mehr so schnell loslässt.
Ein kosmisches Spektrum an Charakteren
In Lewins Buch gibt es größtenteils nur historisch belegte Figuren und diese lässt die Autorin agieren, als wäre sie selbst dabei gewesen. Zweifelsohne ist Gracia die Protagonistin und dominiert jede Seite, jeden Absatz, jede Zeile und als Leser saugt man sich von Beginn an fest an der ungewöhnlichen Geschichte dieser ungewöhnlichen Frau.
Gracia ist nicht unbedingt eine sympathische Figur, gewinnt aber den Leser durch ihre Klugheit und ihr Gespür für heikle Situationen, vor allem aber durch ihre intensive Liebe zu Joseph, derer sie sich scheinbar selbst nicht bewusst ist. Sie erscheint als eine Frau, die alles andere als eine Zimperliese ist. Egoistisch, skrupellos und über Leichen geht sie, wenn es für das Haus Mendes von Vorteil ist. Und so verheiratet sie sogar ihre eigene Tochter an den Geliebten, damit die immens hohe Mitgift das Bankhaus nicht verlässt und in den Rachen von Christen oder Muslimen gestopft werden kann.
Über das Leben Gracia Mendes´ gibt es jede Menge Aufzeichnungen, was einem Autor das Recherchieren natürlich immens erleichtert. Der Großteil des Buches beruht auf nachgewiesenen Fakten, aber dennoch hat Lewin sich bei einigen Dingen Freiheiten genommen, die wahrscheinlich ihrer Meinung nach die Geschichte besser abrundeten. Bei Lesern, die auf historische Genauigkeit Wert legen, mag dies vielleicht einen - wenn auch nur sehr kleinen - schalen Geschmack hinterlassen, aber es sei angemerkt, dass diese Freiheiten der Geschichte keinesfalls in irgendeiner Weise abträglich sind und deshalb gerne übersehen werden dürfen.
Bildgewaltige Geschichte
Waldtraut Lewins Geschichte um das Leben einer großartigen Frau, die es nicht nur schaffte, sich vor vielen Neidern und Intriganten zu behaupten, sondern auch eine immense Hilfe für ihre Glaubensbrüder und -schwestern war, ist bildgewaltig und lebendig. Gracia rettete durch ihren unermüdlichen Einsatz viele Juden vor der Inquisition, gab ihnen ein Heim und Nahrung und ermöglichte vielen von ihnen auch die Flucht aus Europa. Dieses Buch ist eine Reminiszenz an eine lebenshungrige Frau, die zielgerichtet ihren Weg ging, was angesichts der Zeit, in der sie lebte, eine unvergleichbare Leistung war.
Das einzige Manko des Buches liegt darin, dass es kein Nachwort der Autorin gibt. Keine Erklärung, welche Daten nun wahr sind, welche fiktiv oder warum sie meinte, diese oder jene Begebenheit zu ändern. Ein Buch, dem man mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, denn es beinhaltet nicht nur eine intelligente Erzählung, sondern Geschichte im wahrsten Sinn des Wortes.
Waldtraut Lewin, Droemer-Knaur
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