Glencoe

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2010
  • 11
  • Lübbe, 2010, Titel: 'Glencoe', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
971001

Histo-Couch Rezension vonSep 2010

So rau und faszinierend wie das schottische Hochland

Kurzgefasst:

1689. Im Streit um die englische Thronfolge ist das Hochland zutiefst gespalten. Die MacDonalds halten den Stuarts die Treue, die Campbells unterstützen den neuen König. Gegen den Willen ihrer Familien holt Sandy Og MacDonald die junge Sarah Campbell als seine Braut nach Glencoe. Zwischen ihnen ist es Liebe auf den ersten Blick. Als Sarah nach mehreren Totgeburten einen verkrüppelten Sohn zur Welt bringt, wird sie von den Frauen des Clans noch mehr verachtet. Sandy Og erntet ob seiner Sanftheit nichts als Hohn und Spott. Gleichzeitig spitzt sich der Zwist zwischen den MacDonalds und den Campbells zu. In einer eiskalten Winternacht kommt zu einem Blutbad, wie es das Hochland noch nicht gesehen hat. Können ausgerechnet Sarah und Sandy Og, die Außenseiter, ihren Clan vor dem Untergang retten?

 

Auf den ersten Blick ist an Glencoe kaum etwas Liebliches, weder am Roman noch am Tal, das dem Roman von Charlotte Lyne seinen Namen gegeben hat. Die herbe Schönheit von Glencoe fällt erst auf, wenn man genau hinsieht und sich öffnet. Unvoreingenommen und ganz. Die traurige Ballade, die über Glencoe gesungen wird, schwebt über den Worten, mit denen die Autorin von Stolz, Ehre, Liebe und Hass erzählt. Von Versprechen und Verrat, von Verzweiflung und Hoffnung. Es ist nicht der schöne John, der im Mittelpunkt des Geschehens steht. Er, der später den Platz seines Vaters Alasdair McDonald einnehmen wird, muss dem wortkargen Sandy Og Platz machen, der kaum etwas richtig zu machen scheint. Sandy Og ist es, der mit seiner besonnenen Art alles daran setzt, Unheil von Glencoe abzuwenden.

In die Geschichte eingegangen

Dem alten Alasdair McDonald, Clanführer der McDonalds in Glencoe, sind neben seinen beiden Söhnen John und Sandy Og auch Tochter Gormel und Ziehtochter Ceana geschenkt. Er glaubt fest an den Fortbestand seines Clans, denn der erstgeborene John hat etliche Söhne, die später das väterliche Erbe antreten sollen. Für König James Stuart zogen die Männer in den Krieg, während die Frauen im unwirtlichen Tal versuchten, Vorräte für den Winter zu erwirtschaften. Nur noch ein Bruchteil der Männer, die ausgezogen sind, kehren in ihr Tal zurück. Ein Waffenstillstand mit den Rotröcken soll das Volk schützen und es ihm ermöglichen, Wunden zu lecken und sich wieder zu stärken. Doch am 13. Februar 1692 kommt es im Morgengrauen zu einem unerwarteten Angriff. In Glencoe mussten Männer, Frauen und Kinder des McDonalds-Clan sterben, weil die "Sassenachs", die Engländer, ein Exempel statuieren wollten. Der Wille der schottischen Clans, hinter König Jamie zu stehen, sollte gebrochen werden. Als besonders verwerflich gilt noch heute, dass die Angreifer die von den McDonalds gewährte Gastfreundschaft missachtet haben.

Feines Gespinst menschlicher Gefühle

Charlotte Lyne erzählt nicht einfach die Geschichte eines beispiellosen Massakers nach, das bis heute seine Auswirkungen hat. Sie webt ein dichtes Netz von menschlichen Gefühlen, die ihre Protagonisten handeln, leiden und lieben lassen. Und sie bringt den wortkargen Außenseiter Sandy Og mit der ebenso wortkargen Sarah zusammen, die er aus dem Haus ihrer Familie, dem Clan der Campbells in Glenlyon raubt und die so gerne eine von Glencoe werden möchte, doch immer wieder scheitert. Gekonnt lässt die Autorin zwischen den beiden eine Spannung entstehen, die weitgehend stumm bleibt - so, wie es das Paar über viele Jahre hinweg in seinem Zusammenleben handhabt. Doch da ist Ceana - auch sie in einer wortlosen Liebe zu Sandy Og gefangen und von Eifersucht auf "die Campbell" beseelt.

Hoffnung bis zur letzten Seite

Durch ihren dem rauen schottischen Hochland angepassten Erzählrhythmus schafft Charlotte Lyne eine nahezu magische Stimmung, der man sich nicht zu entziehen vermag. Selbst wer sich mit dem Massaker von Glencoe und den damaligen politischen Ereignissen schon auseinander gesetzt hat und deshalb um den Ausgang der Geschichte teilweise weiß, wird kaum davon lassen können, sich bis zuletzt an die Hoffnung zu klammern. Bleibt das Auge dann am letzten Wort des Romans - Ende - haften, macht sich eine dumpfe Leere breit. Das Tal beginnt, hinter dem dichten Nebel zu verschwinden und wieder zu dem zu werden, was es noch heute ist: ein stiller, geschichtsträchtiger Ort. Ein Tal, dessen Stolz trotz allem nie gebrochen worden ist.

Wie eine lange Ballade

Zurück bleibt nach dem Lesen das Gefühl, einer langen Ballade gelauscht zu haben. Charlotte Lyne schafft diese Stimmung durch wohlüberlegt gesetzte Worte, die eine eigene Melodie ergeben. Je nachdem, welchen Ort sie gerade erhellt, wechselt sie den Ton der Erzählung leicht, so dass eine ganz andere Stimmung entstehen kann. So bringt sie etwa die viel geschmähte Königin Mary den Lesern näher, ohne dass sie in überschwänglichen oder auch nur feinfühlig geschönten Worten über sie berichten würde. Vielmehr zeigt sie die Zerrissenheit und Einsamkeit jener Frau auf, die zusammen mit ihrem Mann William von Oranien nach der Krone Schottlands griff und damit auch für die Menschen in Glencoe zur furchtbaren Geisel wurde.

Blutiges Entsetzen

Die Autorin schont ihre Leserinnen und Leser nicht. Blutige Schlachten, brutale Misshandlungen, verzweifelter Überlebenskampf: All das sind ebenso bestimmende Elemente wie der lebenssprühende Stolz und die tiefe Liebe zwischen Sandy Og und Sarah. Der Krieg wird in seiner ganzen, verzweifelten Traurigkeit dargestellt, und oftmals braucht es ein trockenes Schlucken, um den Kloss im Hals wieder los zu werden. Gerade diese kraftvollen Schilderungen, die aber an keiner Stelle ins Groteske abgleiten, machen den Roman zu etwas Besonderem. Glencoe ist rau, schmerzhaft, blutig - dabei aber so zauberhaft und intensiv, wie es nur eine Hochlandpflanze zu sein vermag, die sich gegen alle Widrigkeiten des Lebens zu behaupten vermag.

Sich darauf einlassen

Der Roman verlangt von den Lesern Aufmerksamkeit. Er eignet sich so wenig als leichte Strandlektüre wie als kleiner Lesegenuss mal zwischendurch. Die Sprache ist, so intensiv sie sich auch präsentiert, hat man ihren Rhythmus gefunden, nicht jedermanns Sache, erzählt sie die Geschichte doch immer wieder zwischen den Zeilen. Zudem bewegt sich die Geschichte fern vom gängigen Schema historischer Romane, was nicht jedermanns Sache sein dürfte. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird aber ein Buch in Händen halten, das ihn noch lange in den Gedanken begleiten wird.

Ein großes Plus ist die geschmackvolle Gestaltung des Buches. Nicht nur die Nachbemerkungen der Autorin, die dazu führen, dass das Ende nicht im luftleeren Raum steht, sondern auch die Gestaltung des Buches mit Planskizze in den Klappen, mit Glossar und Personenverzeichnis sind sehr gut gelungen und machen einen echten Mehrwert aus.

 

Glencoe

Charlotte Lyne, Lübbe

Glencoe

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