Verdi. Roman der Oper
- C. Bertelsmann
- Erschienen: Januar 1924
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- C. Bertelsmann, 1924, Titel: 'Verdi. Roman der Oper', Originalausgabe
Ein beeindruckender Roman über eine Begegnung, die tatsächlich nie stattgefunden hat
Kurzgefasst:
1883 besucht Giuseppe Verdi Venedig, wo sich gerade sein künstlerischer Widersacher, der selbstbewusste Richard Wagner aufhält. Seit 10 Jahren befindet sich Verdi schon in einer Schaffenskrise, denn seit Wagner mit seinem neuartigen Musiktheater stürmischen Beifall erntet, fühlt er sich als Vertreter eines überholten Musikstils. Deshalb will ihm auch die Arbeit an seiner Oper »König Lear« nicht gelingen. Nachdem er in einem Gipfel der Verzweiflung seine Skizzen zu »Lear« verbrannt hat, entschließt er sich, endlich den Dialog mit Wagner aufzunehmen - doch zu spät. Denn dieser ist in der Nacht vor Verdis Besuch gestorben...
Im Jahr 1883 kommt der Komponist Giuseppe Verdi nach Venedig und will einfach ein paar Tage inkognito verbringen. Er befindet sich in einer Art Schaffenskrise, hat er doch seit zehn Jahren keine Oper mehr auf die Bühne gebracht. Zwar arbeitet er gelegentlich an seiner neuen Oper "König Lear", doch will es einfach nicht voran gehen.
Ein Grund ist wohl auch Richard Wagner, der mir seinem Komponierstil eine neue Welt eröffnet hat und vielerorten Beifall erntet und dafür vergöttert wird. Eben dieser Wagner befindet sich zufällig zur selben Zeit auch in Venedig, und zufällig begegnen sich die beiden, allerdings traut sich Verdi nicht, ihn anzusprechen.
Verdi verbringt seine Tage in Venedig allein und mit alten Freunden und sinniert über seine Schaffenskrise, als er sich schließlich doch dazu entschließt, Wagner aufzusuchen und mit ihm ein Gespräch zu führen. Doch als er sich auf den Weg zu Wagners Haus macht, kommt ihm dessen Diener entgegen und teilt ihm unter Tränen mit, dass Wagner soeben verstorben sei. Verdi wird ihn um 18 Jahre überleben und wieder anfangen, Opern zu schreiben.
Verdi und seine Schaffenskrise
Hauptcharakter in Franz Werfels Roman ist Giuseppe Verdi, der zu Beginn des Jahres 1883 bereits 69 Jahre alt ist und gerade eine zehnjährige Schaffenskrise durchmacht. Der Leser beobachtet die Welt mit den Augen Verdis, der, schüchtern und zurückhaltend, durch Venedig spaziert und mit sich selbst und seinem Leben hadert. Diese gelingt Werfel ausgezeichnet, man fühlt mit Verdi und versteht seine Gedankengänge, man ist beinahe eins mit ihm und unternimmt mit ihm jeden Gang und bekommt auch alles erklärt.
Doch Verdi streift nicht nur durch Venedig und grübelt über sich selbst, sondern trifft auch alte Bekannte wie den Hundertjährigen Andrea Gritti, der jeden Abend in die Oper geht und die Programmzettel sammelt, oder den Senator, den er schon sehr lange kennt und der Verdi offensichtlich etwas gutes tun möchte, aber nicht recht weiß, was. Dazu kommen neue Begegnungen wie die mit dem jungen Komponisten Fischböck, der moderne Musik schreibt, die der alte Verdi wohl nicht recht versteht, Fischböck allerdings traut sich auch nicht, seine Musik öffentlich zu machen.
Diese kleinen Randgeschichten beeinflussen einander durch ihren gemeinsamen Pol Verdi, und alles wird bestimmt durch den ebenfalls in Venedig anwesenden Richard Wagner, der, im Gegensatz zu Verdi, in der Blüte seiner Popularität steht, von einigen "Jüngern" wie Satelliten umschwärmt wird und das Leben und seinen Ruhm geniesst und feiert. Obwohl beide im selben Jahr geboren sind, haben sie sich persönlich und musikalisch doch so unterschiedlich entwickelt, und auch diese Wege weiß der Autor geschickt nachzuzeichnen, so dass der Leser immer über die jeweiligen Begleitumstände informiert ist.
Intensive Erzählung
Das Schicksal will es so, dass Wagner und Verdi sich zweimal über den Weg laufen, ohne dass Verdi sich traut, Wagner anzusprechen, und als er dann durch seine Erlebnisse in Venedig so weit gestärkt ist, dass er sich bei Wagner ankündigen lässt und ihn besuchen will, ist dieser eine Viertelstunde zuvor gestorben. Somit ist die große Chance verpasst, sich kenne zu lernen und vielleicht voneinander zu lernen oder sich zumindest gegenseitigen Respekt zu zollen. Verdi reist ab, immerhin gestärkt in seinen kompositorischen Ambitionen, und nachdem er zuvor die bisherigen Noten von "King Lear" verbrannt hat, wird er als nächstes Shakespeares "Otello" vertonen und somit seinen Weg aus der Krise finden. Die Begegnung der beiden hat übrignes tatsächlich nie stattgefunden, auch Verdis hier beschriebener Aufenthalt ist fiktiv.
Franz Werfel entwirft eine Kulisse Venedigs, die den Leser gefangen hält und die ihn stets mit auf die Spaziergänge der Stadt nimmt. Man nimmt mit Verdi teil an verschiedenen Ereignissen, auch wenn sie aufgrund seiner Schüchternheit aus einer recht großen Distanz betrachtet werden. Sprachlich zieht Werfel alle Register, die sich ihm bieten, war er doch bereits 34 Jahre alt, als er den Roman schrieb.
Erzählung durch alle Gefühlslagen
Es ist vielleicht dem Stil der Zeit zuzuordnen, dass manch Erzählteile dann doch arg lang geraten, etwa die Lebensgeschichte(n) des Hundertjährigen, hier wird die sowieso schon langsam dahin fliessende Handlung noch langsamer, und es mag manchen Leser dazu verleiten, das Buch für längere Zeit zur Seite zu lesen und sich etwas mit mehr Tempo zu widmen. Wenn man sich allerdings auf die Erzählkraft des Romans einlässt, wird man durchaus mit einer kraftvollen Geschichte belohnt, die den Leser in das Innerste eines Komponisten führt, alle Gefühlslagen zwischen Verzweiflung, Lebenswillen, Lebensunwillen, Krise und Wohlwollen werden durchlebt, und der Leser ist immer am nächsten mit dabei. So entwirft Werfel einen hochinteressanten Roman, der nicht nur bei Musikern auf Interesse stossen dürfte bzw. sollte.
Zwanzig Seiten Anmerkungen ergänzen einen Roman, der aufgrund seines Alters sprachlich manchmal für heutige Augen etwas gewöhnungsbedürftig sein könnte, aber es ist auch nicht so schlimm, dass man es nicht wagen sollte, sich diesen lesenswerten Roman zu Gemüte zu führen. Ein paar ruhige Stunden bei Kerzenschein wären aber durchaus angemessen. Dieser Roman ist durchaus ein Kleinod und somit etwas besonderes.
Franz Werfel, C. Bertelsmann
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