Die Seelenfotografin
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2010
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- Rowohlt, 2010, Titel: 'Die Seelenfotografin', Originalausgabe
Düster, bedrückend und erschreckend: Ein Einblick in die Psychiatrie des späten 19. Jahrhunderts
Kurzgefasst:
Berlin in der Gründerzeit: Ein Nervenleiden zwingt die schöne, hochbegabte Isabel in den Rollstuhl. Die junge Frau blüht auf, als sie den Wanderfotografen Ruven kennenlernt. Die beiden fühlen sich seelenverwandt. Doch dann verschlechtert sich Isabels Gesundheitszustand. Fieberhaft beginnt sie an einer Erfindung zu arbeiten, durch die sie auch nach dem Tod weiterleben könnte: die Seelenplatte - ein fotografisches Verfahren, das nicht nur das Bild eines Menschen einfängt...
Lässt sich die Seele fotografieren? Wer diesen Gedanken nun überzeugt von sich weist, könnte nach der Lektüre von Die Seelenfotografin ins Grübeln geraten. Denn Isabel, ausnehmend intelligent und von einem unglaublichen Forscherdrang durchdrungen, glaubt daran. Doch die junge Frau ist Gefangene eines schwachen Körpers, der mehr und mehr verfällt. In einer psychiatrischen Klinik muss sie Schlimmes durchmachen. Sie ist dem ehrgeizigen Doktor Greipel, der ihr körperliches Leiden als Unzulänglichkeit der Seele diagnostiziert, hilflos ausgeliefert. Als Isabel dem Wanderfotografen Ruven begegnet, scheint sie im feinfühligen Mann einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Doch während sie Ruven gekonnt in ein Netz einspinnt, versucht sich dieser gegen die Einflüsse durch die junge Frau zu wehren. Er ahnt, dass Isabel ihm zum Verhängnis werden kann. Dennoch kann er sich ihrem Zauber kaum entziehen.
Ausgefeilte Charaktere
Das Zusammenspiel der einzelnen Charaktere ist bis ins letzte Detail fein aufeinander abgestimmt. Charlotte Freise hat jeden einzelnen Protagonisten gekonnt in Szene gesetzt, hat ihm lebhafte Charakterzüge verliehen und ihn mit Ängsten, Hoffnungen und intensiven Gefühlen ausgestattet. Dass sie dies vor dem Hintergrund der erschreckenden Machenschaften in einer psychiatrischen Klinik tut, überzieht das an sich schon bedrückende Bild mit einem düsteren Schleier. Dabei verzichtet sie ganz und gar auf Effekthascherei. Schnörkellos - stellenweise fast gefühllos - schildert die Autorin, was in der Klinik mit den Patienten geschieht. Und genau diese Mischung aus direktem Hinsehen und einer sachlichen Distanz macht die Sache erschreckend realistisch.
Man sehnt sich nach lieblichen Momenten
Mit Die Seelenfotografin nimmt Charlotte Freise ihre Leser so sehr gefangen, dass man sich manchmal beinahe selbst in der Klinik eingesperrt wähnt. Oder aber als Teil einer ärmlichen Bevölkerungsschicht, die in düsteren Wohnungen, feuchten Hinterhöfen und beengten Verhältnissen lebt. Denn dies ist das zweite Bild, das die Autorin vermittelt: eine bedrückende Enge und Perspektivlosigkeit. Und darin immer wieder Charaktere wie die alleinerziehende Elfi, die oft wie ein Farbtupfer aus dem dunklen Grau hervor sticht. Ja, man sehnt sich da und dort nach lieblichen Momenten, um Atem zu schöpfen und Kraft für die nächsten Zeilen zu tanken.
Spiel mit Spannung und Länge
Charlotte Freise beherrscht ihr Metier. Das wird unter anderem durch ihren Umgang mit Spannung und Längen deutlich. Längen, die nie so lang sind, dass man den Roman zur Seite legen möchte. Aber doch, dass man in Versuchung gerät, sich aus der Geschichte heraus zu lösen und auf Distanz zu gehen. Geschickt fängt die Autorin solche Momente auf, holt den Leser wieder ganz zurück ins Geschehen und konfrontiert ihn mit Situationen, denen man sich nicht mehr entziehen kann. Es ist stellenweise ein Spiel, ähnlich jenem, das eine Katze mit der Maus spielt. Ein Spiel, bei dem die Maus keine Chance hat, sich zu entziehen.
Psychothriller der leisen Art
Trotz den heftigen Momenten legt Charlotte Freise nicht einfach einen in den Vergangenheit spielenden Thriller vor, sondern einen ausgereiften Psychothriller der leisen Art. Denn ihre Sprache, wie auch die Bilder, die sie zeichnet, werden kaum je wirklich laut und schrill. Dafür bleiben sie nachhaltig und eindringlich.
Die Seelenfotografin bewegt sich weitab vom geläufigen Schema eines historischen Romans. Es ist ein Roman, dem man Zeit einräumen muss und dem man eine gesunde Distanz entgegen setzen muss. Sonst könnten sich die einzelnen Szenen durchaus auch stellenweise belastend auf das Gemüt auswirken. Wer sich auf die Geschichte einlassen mag, wird aber eine erzählerische Rarität in Händen halten, die zu lesen sich durchaus lohnt.
Charlotte Freise, Rowohlt
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