Die Hexenschrift

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2010
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  • Fischer, 2007, Titel: 'Calligraphy of the Witch', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
911001

Histo-Couch Rezension vonNov 2010

Die Ignoranz triumphiert über die Kultur

Kurzgefasst:

Mexiko, 1683: Die junge Concepcion Benavidez wird nach ihrer Flucht aus dem Kloster, in dem sie aufwuchs, in Vera Cruz auf ein Piratenschiff verschleppt. Auf der langen, harten Reise nach Nordamerika wird sie mehrfach vom Kapitän vergewaltigt. Nach der Ankunft in Neuengland wird sie als Sklavin an einen Bostoner Händler verkauft. Bald darauf bringt sie eine Tochter zur Welt. Im Lauf der nächsten acht Jahre versucht sich Concepcion, die jetzt Thankful Seagraves genannt wird, an ihre neue Umgebung anzupassen und das Band zwischen ihr und ihrer Tochter Hanna zu halten. Dies wird immer schwieriger, da die Ehefrau ihres neuen Herrn erfolgreich dabei ist, ihr das Kind allmählich zu entfremden und die Erziehung selbst zu übernehmen. Als ewige Außenseiterin und spanisch sprechende "Papistin" unter den Puritanern gerät Concepcion in die Mühlen der Salemer Hexenprozesse - verraten von der eigenen Tochter.

 

Es ist ein schwieriges Thema, dem sich die Texanerin Alicia Gaspar de Alba in ihrem Buch Die Hexenschrift annimmt. Sie stellt die Ignoranz der selbsternannten Zivilisation über Andersdenkende dar, die darin gipfelt, sich über alles zu erheben, was anders ist. Erzählt wird die Geschichte der jungen Concepción, die Ende des 17. Jahrhunderts aus ihrer mexikanischen Heimat verschleppt und in Boston als Sklavin verkauft wird. Die junge Frau, geschwängert vom Piraten, der sie entführt hatte, versucht sich in ihr Schicksal zu ergeben, um ihre Tochter Jerónima unbeschwert aufwachsen zu sehen. Doch ihre Herrin Rebecca Greenwood will das Kind für sich, nennt es Hannah und schiebt sich langsam zwischen Mutter und Tochter. Concepción leidet und versucht, sich zu wehren. Da wird sie der Hexerei beschuldigt.

Als wäre man selbst gefangen

Alicia Gaspar de Alba pflegt einen ganz eigenen Erzählstil. Zunächst schildert sie die Geschichte Concepcións aus einer Perspektive, die den Leser mit der Protagonistin auf eigentümliche Art verschmelzen lässt, ohne dass grundsätzlich die Ich-Perspektive gewählt wurde (diese kommt vorwiegend in Briefen zu Tage, die Concepción an ihre Tochter schreibt). Der Leser erfährt nicht nur mehr darüber, unter welchen Umständen Concepción aufgewachsen ist und welche Bildung sie genossen hat, er sieht auch das Bestreben Rebeccas, ihre Sklavin zu "kultivieren" - also die englische Lebensart nachzuahmen. Und es bleibt nicht verborgen, dass die zivilisierte Rebecca in ihrer Kultur weit hinter der von ihr verachteten Concepción steht. Die feinfühlige Erzählweise der Autorin nimmt gefangen und versetzt den Leser in die Lage, so zu empfinden, als sitze er direkt neben der Sklavin in der beengten Welt, in der sie gefangen gehalten wird.

Schillernde Charaktere

Die Autorin beschränkt sich nicht darauf, eine Geschichte zu erzählen. Sie lässt die einzelnen Charaktere in ihre Rollen hinein wachsen, zeigt ihre Gedanken auf und macht sie zu schillernden Persönlichkeiten, die sowohl Tiefe als auch eine Seele bekommen. Dadurch wird der Leser zu einem Teil der Welt, in dem nur das etwas gilt, was Englisch ist. Die Ignoranz, mit der die Menschen in Boston allem "Fremden" begegnen, wird ebenso spürbar, wie die Verzweiflung der versklavten Menschen, denen ihre Kultur - und ihre Sprache - geraubt worden ist. Die Handlungsweise der Protagonisten ist - so fremd sie auch sein mag - absolut glaubwürdig und überzeugend.

Sprachliche Herausforderung

Obwohl faszinierend geschrieben, liest sich "Die Hexenschrift" nicht ganz so einfach. Es braucht die Bereitschaft, sich auf einen hierzulande wenig gebräuchlichen Sprachrhythmus einzulassen. Er ist eingängig, doch von einer unterschwelligen Düsterkeit, die das Buch schwerer erscheinen lassen, als es tatsächlich ist. Selbst in strahlenden Momenten mag sich keine wirkliche Heiterkeit einstellen. Der Sprachrhythmus, der dazu zwingt, tief in die Geschichte einzutauchen, hat aber etwas an sich, dem man sich nicht zu entziehen mag. Fast so, als würde ein begnadeter Erzähler die Geschichte vortragen.

Der Titel ist unglücklich gewählt

Obwohl der Titel Die Hexenschrift hervorragend zum Buch passt, ist er doch sehr unglücklich gewählt. Denn auf den ersten Blick mag man den Roman in die Ecke der unzähligen Hexen-Romane schieben und mit dem Gefühl "noch einer" links liegen lassen. Das ist sehr schade. Die Geschichte handelt zwar von einer gebildeten jungen Frau, die aufgrund ihrer mexikanischen Herkunft, ihrer kalligraphischen Fähigkeiten, ihrer Freundschaft mit Indianern und ihres katholischen Glaubens verfolgt und als Hexe angeschuldigt wird, doch keineswegs um die mit seherischen Fähigkeiten ausgestattete Heldin eines traditionellen Hexenromans.

Wer den besonderen historischen Roman sucht, der sich nicht unbedingt locker weg lesen lässt und der noch lange nachwirkt, kann bei Die Hexenschrift bedenkenlos zugreifen. Weniger geeignet ist der Roman für Leserinnen und Leser, die auf der Suche nach einer umwerfenden Heldin sind, die gerade noch vor dem Scheiterhaufen gerettet wird.

 

Die Hexenschrift

Alicia Gaspar de Alba, Fischer

Die Hexenschrift

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