Der elektrische Kuss

  • C. Bertelsmann
  • Erschienen: Januar 2011
  • 2
  • C. Bertelsmann, 2011, Titel: 'Der elektrische Kuss', Originalausgabe
Der elektrische Kuss
Der elektrische Kuss
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Rita Dell'Agnese
891001

Histo-Couch Rezension vonFeb 2011

Schillernder Spannungsbogen zwischen zwei Welten

Kurzgefasst:

Die junge pfälzische Landadelige Charlotte ist wie viele Menschen Mitte des 18. Jahrhunderts von den neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen fasziniert. Sie betreibt gefährliche Experimente, um dem Phänomen Elektrizität auf die Spur zu kommen. Zwei Welten prallen aufeinander, als sie Samuel Hochstettler kennen lernt, der als Amischer einen radikalen Protestantismus lebt. Charlottes Freiheitsdrang und Samuels Glaubensfestigkeit zwingen die beiden, nach Amerika zu flüchten, um dort die verheissene Neue Welt zu suchen. Mit der dramatischen Überfahrt beginnt ein nicht minder aufregendes Experiment.

 

Grösser könnte der Gegensatz, in dem die junge Adlige Charlotte und die Familie des streng gläubigen Samuel Hochstettler leben, kaum sein. Während Charlotte - ganz das Kind des 18. Jarhrhunderts - von allem, was Fortschritt verspricht, fasziniert ist, lehnt der Amische Samuel Hochstettler die Entwicklung generell als Werk des Teufels ab. Dennoch geraten die beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten in eine Abhängigkeit voneinander und müssen mit der jeweils so unterschiedlichen Welt des Gegenübers zurechtkommen. Dabei machen beide Erfahrungen, die ihr bisheriges Weltbild ins Wanken bringen.

Zwei gegensätzliche Pole

Susanne Betz spielt in ihrem Roman Der elektrische Kuss virtuos mit den Gegensätzen. Die spartanische, harte Linie der religiösen Pächter steht dem üppigen, dekadenten Leben am Hofe gegenüber. Während Charlotte ihren Körper bedenkenlos einsetzt, um zum Ziel zu kommen, wird Sarah, Hochstettlers Tochter, von der strenggläubigen Gemeinschaft dafür abgestraft, dass sie sich in einer abgelegenen Scheune dem Tanzen hingibt. Es ist aber nicht nur die unterschiedliche Lebensphilosophie und -situation der Protagonisten, die den Reiz dieses Romans ausmacht. Es ist auch der Umstand, dass beide auf ihrem Weg zu einem Ziel kommen. Hier zeigt sich die handwerkliche Fertigkeit der Autorin: Sie schafft es, die beiden Lebensmuster zu zeichnen, ohne zu werten. Unprätentiös und wohl gerade deshalb so überzeugend baut die Autorin ihre Geschichte auf, trennt die beiden Welten klar und lässt sie doch ineinander übergehen.

Einblicke in Geschichte der Amischen

Obwohl die vielschichtige Beziehung zwischen Charlotte und Samuel das tragende Element des Romans ist, bietet die Autorin eine Fülle von faszinierenden Schauplätzen. Sie arbeitet die Geschichte der Amischen auf und schildert deren Probleme, sich niederzulassen und ihre Gemeinschaft zu leben. Die strenggläubigen Menschen werden von ihren Herren ausgebeutet und unterdrückt. Aber Susanne Betz beleuchtet auch die lebensfeindliche Einstellung der religiösen Gemeinschaft. Ohne zu werten wird der von Angst und Unterdrückung jeder Lebensfreude beherrschte Alltag der Menschen beschrieben. Hier bekommen die Leser ein sehr eindrückliches Bild geboten.

Geschickter Aufbau

Der elektrische Kuss lebt unter anderem von einem geschickten Aufbau. Die Autorin wechselt die beiden Schauplätze so gekonnt, dass eine einheitliche Geschichte daraus wachsen kann. Allerdings lässt Susanne Betz ihre Leserinnen und Leser manchmal etwas ratlos zurück. So faszinierend die Charaktere aufgebaut sind, so schwierig sind sie doch zu fassen. Im einen Moment glaubt man sich der experimentierfreudigen Charlotte nahe, im nächsten Moment betrachtet man sie mit einer leichten Abneigung. Ebenso Samuel Hochstettler, der sowohl eine liebevoller Ruhepol sein kann, als auch ein verbohrter, religiöser Fanatiker. Sehr überzeugend ist die Entwicklung, die die Protagonisten durch die Beziehung zu einer solch fremden Welt durchmachen. Hier zeigt die Autorin ihr ganzes Können.

Sprachlich überzeugend

Es ist nicht der ganz große sprachliche Wurf, der Literaten ins Schwärmen bringt. Aber es ist ein solider sprachlicher Aufbau, und ein - trotz der anspruchsvollen Themen - leicht zu lesender Roman. Zwar gibt es noch da und dort eine kleine Länge, doch bleibt die Faszination bis zum Schluss bestehen.

Nicht nur, wer sich für die Geschichte der Elektrizität interessiert - diese spielt in Der elektrische Kuss naturgemäß eine wichtige Rolle - sondern auch, wer bereit ist, sich auf eine nachdenklich stimmende, in manchen Bereichen etwas düstere Geschichte einzulassen, wird von Susanne Betz bestens bedient.

 

Der elektrische Kuss

Susanne Betz, C. Bertelsmann

Der elektrische Kuss

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