David Golder
- btb
- Erschienen: Januar 1997
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- btb, 1929, Titel: 'David Golder', Originalausgabe
Sprachgewaltiger Blick hinter die Kulissen einer schwerreichen Familie
Kurzgefasst:
David Golder hat mit Spekulationen Ende der 1920er Jahre ein riesiges Vermögen angehäuft. Er ist ein mächtiger Mann und er geht über Leichen. Als sein Kompagnon Selbstmord begeht, weil Golder ihn ruiniert hat, ist dies der Anfang des Niedergangs von David Golder. Ihm wird vorgeführt, dass seine Frau, ja selbst seine über alles geliebte Tochter nur hinter seinem Geld her sind. Als Golder längst resigniert und verarmt seinem Ende entgegendämmert, tut sich noch einmal die Möglichkeit eines gewaltigen Geschäftscoups auf. Und Golder will es noch einmal, ein letztes Mal, allen zeigen.
David Golder wandert in jungen Jahren nach Amerika aus, um dort sein Glück zu versuchen. Harte und entbehrungsreiche Jahre, das Leben in erbärmlichen Verhältnissen und tägliche Schuftereien bestimmen sein Leben, als er Gloria kennenlernt und die beiden heiraten. Eines Tages jedoch gewinnt er durch geschicktes Spekulieren sehr viel Geld und schafft so den Sprung in die ganz obere Gesellschaftsschicht und das Paar geht zurück nach Paris. David und Gloria bekommen eine Tochter, Joyce. Ihr Leben scheint gesichert, sie bewegen sich in den höchsten Kreisen und David ist mächtig und reich. Und dann passiert etwas, das sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf stellt: Sein Partner begeht Selbstmord.
Leicht überzeichnet, aber den Nerv getroffen
David Golder ist Jude mit rötlichem Haar, dick und bewegungsfaul, aber steinreich. Er, der sich alles selbst geschaffen hat, ist beinhart zu seinen Mitarbeitern, kennt keine Rücksichtnahme, kein Erbarmen und keine Gnade. Als sein langjähriger Partner Simon Marcus zum ihm in sein Büro kommt und ihn um finanzielle Hilfe bittet, lehnt er diese rigoros ab. Nein, er weidet sich noch an Marcus´ Elend. Als Golder am nächsten Tag erfährt, dass Marcus sich umgebracht hat, will er sich nicht eingestehen, dass er dies hätte verhindern können, aber die Gedanken kreisen nur mehr um den eigenen Tod und lassen ihn nicht mehr los.
Némirovsky schafft mit diesem Roman eine Psychoanalyse einer reichen, aber gefühlsarmen Familie. Mit David schildert sie einen typischen "Selfmade-Millionär", der aufgrund seines Erfolges die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht mehr sieht. Némirovsky lässt den Leser an Davids Gedanken teilhaben und schildert auf sehr einfühlsame und subtile Weise die Ängste und Qualen, die ihn seit dem Selbstmord Marcus´ schlaflose Nächte bescheren. Die Autorin lässt ihren Protagonisten sein Leben Revue passieren und das Leben, das er sich und seiner Familie geschaffen hat, überdenken.
Gloria, Davids Frau, ist selbstsüchtig und narzißtisch. Sie hat ihren Liebhaber in der eigenen Villa einquartiert und hält ihn finanziell aus. Und dies alles unter den Augen ihres Mannes, der sehr wohl weiß, was vor sich geht, ihn aber nicht berührt. Und Joyce, die Tochter die stets alles bekommt, was sie sich wünscht, kommt nur dann zu ihrem Vater, wenn sie wieder Geld von ihm braucht.
Ein Spiegel für die "bessere Gesellschaft"?
Steht auch David im Mittelpunkt des Geschehens, so spielen die beiden Frauen eine nicht unerhebliche Rolle in dieser Erzählung. Für Gloria und Joyce ist David lediglich derjenige, der das Geld besorgt und dies in Fülle, um sich den hohen gewohnten Lebensstandart erhalten zu können.
Némirovsky reißt dieser Familie die Maske vom Gesicht, zeigt, wie grauenvoll es hinter der Fassade aussieht, wie leer und arm in Wirklichkeit deren Leben ist, ohne Gefühle und Empfindungen füreinander, ohne Rücksicht, ohne Mitleid. Selbstsucht, Geld, Gier und Machtstreben sind die tragenden Säulen dieser Familie. Die Autorin nimmt ihnen die Säulen, indem Golder sein Vermögen verspekuliert und das über Jahre aufgebaute Kartenhaus zusammenbrechen lässt.
David Golder ist eines der besten Bücher Iréne Némirovskys. Mit analytischem und psychologischem Gespür schildert sie das im Grunde traurige Leben ihres Protagonisten, der die wahren Ziele des Lebens wie auch Liebe und Vertrauen aus den Augen verloren hat und dem erst durch den Tod eines ihm nicht besonders nahe stehenden Menschen eine Tür geöffnet wird, die er, ohne es zu bemerken, vor Jahren selbst verschlossen hat.
Irène Némirovsky, btb
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