Das lange Lied eines Lebens

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  • Erschienen: Januar 2011
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  • , 2010, Titel: 'The Long Song', Originalausgabe
Das lange Lied eines Lebens
Das lange Lied eines Lebens
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Rita Dell'Agnese
911001

Histo-Couch Rezension vonJul 2011

Unerhört schwarz - unerhört positiv

Kurzgefasst:

Jamaika, Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie war einst Haussklavin auf der Zuckerplantage Amity und hat bewegte Zeiten hinter sich. Nun, viele Jahre nachdem sich ihre Brüder und Schwestern die Freiheit mit Blut erkauften, drängt es die inzwischen betagte Miss July ihrem Sohn, einem angesehenen Verleger, die Geschichte ihres Lebens zu offenbaren - und ihm zu erklären, warum sie gezwungen war, ihn als Säugling auf den Stufen einer Pfarrei auszusetzen. So beginnt sie mit großer Lust am Fabulieren von jener Zeit zu erzählen, als sie die rechte Hand der Missus auf der Plantage war. Bis der junge Goodwin seine Arbeit als Aufseher aufnahm und für July ein Leben unter anderen Vorzeichen anfing.

 

Was macht Das Lange Lied eines Lebens zu einem unerhört guten Buch über das Thema Sklaverei? Unter anderem die Sichtweise, aus der die Geschichte erzählt wird. Es ist vornehmlich Julys Geschichte, die stellvertretend für viele Schicksale von Sklavinnen und Sklaven erzählt wird. July hat es nicht am Schlimmsten getroffen. Das Mädchen wird als Tochter einer Sklavin auf einer Zuckerplantage geboren. Doch anders als ihre Mutter wird July nicht für die Feldarbeit eingeteilt: Sie fällt der Schwester des Plantagenbesitzers auf und leistet fortan ihren Dienst als deren Haussklavin und persönliche Vertraute. Es ist eine Zeit des Umbruchs. Die Sklaven beginnen, sich gegen die Plantagenbesitzer aufzulehnen, es formiert sich gewalttätiger Wiederstand. Viele Jahre nach diesen turbulenten Ereignissen lebt July in London bei ihrem Sohn. Sie erzählt ihm die Geschichte der Befreiung eines Volkes. Es ist auch seine Geschichte und vieles davon kennt er nicht.

Wer nun erwartet, die alte Sklavin würde voller Bitterkeit von den harten Zeiten auf der Plantage berichten, irrt. July als Erzählerin zeichnet sich durch einen witzigen und ungewöhnlichen Stil aus. Selbst brutale Ereignisse schildert sie mit einer überraschenden Lockerheit, ohne aber despektierlich zu wirken oder die Sklaverei und ihre Schrecken in Zweifel zu ziehen. Autorin Andrea Levy lässt July als gewitzte und zugleich sehr weise Frau erscheinen. Die Affinität der Autorin zum Thema könnte damit zu tun haben, dass Andrea Levy jamaikanische Wurzeln hat und dadurch wohl einen völlig anderen Zugang zur Geschichte der Sklaverei auf Jamaika hat, als es Europäern normalerweise vergönnt ist.

Perfekte Perspektive

So hinreißend July erzählt, so überzeugend ist sie in ihrer Darstellung. Die Leser werden auf eine gedankliche Reise mitgenommen, die den Blick aufs Geschehen aus einer ungewöhnlichen, aber perfekt gewählten Perspektive erzählt. Sei es nun die Unmenschlichkeit der Weißen, die von July nicht gehässig angeprangert, sondern eher als deren absolute Hilflosigkeit belächelt wird, oder die Gier der Aufseher nach Macht: Nichts bleibt dem aufgeweckten Mädchen July verborgen. In einem sympathischen Plapperton gibt das Mädchen wieder, was es im Kreis der anderen Haussklaven erlebt und wie sie passiven Widerstand gegen ihre Missus leistet. Die Sympathien sind schnell verteilt: July ist hinreißend erfrischend und bringt ihre Leser mehr als einmal zum Schmunzeln. Dass die Geschichte eigentlich von einer alten Frau erzählt wird, tut dem keinen Abbruch. Denn auch hochbetagt verfügt July über diesen lebensbejahenden Witz, der ihr als junger Frau das Überleben möglich gemacht hatte.

Angenehm aufgebaut

Die Mischung zwischen Erzählung der alten July in London und ihren Erlebnissen als Sklavenmädchen auf Jamaika fordert von den Lesern ein gewisses Maß an Flexibilität. Allerdings ist dieses Wechselspiel angenehm aufgebaut, nie entsteht eine Unsicherheit, wo sich die Szenerie gerade abspielen könnte. Im Gegenteil: Mit feinen Hinweisen - so unter anderem der Wechsel von der Ich-Erzählung (London) in die dritte Form (Jamaika) - stellt die Autorin unmissverständlich klar, in welcher Zeit sich der Leser gerade bewegt. Dass dies so gut gelingt, beweist die Umsicht, mit der Andrea Levy an dieses Buch heran gegangen ist. Sie beherrscht die Kunst, über schreckliche Dinge zu berichten, ohne eine permanente Anklage in den Raum zu stellen. Vielmehr überlässt sie es den Leserinnen und Lesern, sich ein Bild von den Ereignissen zu machen und sich eine Meinung zum Kapitel "Sklaverei" zu bilden.

Spannend und berührend

Um ihre Geschichte zu erzählen, braucht die betagte July nicht allzu viel Platz. Das Buch umfasst etwas mehr als 350 Seiten - erzählt dabei aber auf spannende und berührende Weise vom Schicksal eines liebenswürdigen Menschen. Der Roman versteht es, eine versöhnliche Note mitzuführen und trotzdem kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es darum geht, von menschenverachtenden Zuständen zu berichten. Eine sowohl inhaltliche als auch sprachliche Leistung!

Das lange Lied eines Lebens

Andrea Levy, -

Das lange Lied eines Lebens

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