Pfeil der Rache
- Fischer
- Erschienen: Januar 2011
- 7
- Fischer, 2010, Titel: 'Heartstone', Originalausgabe
Spannend, ereignisreich und clever, aber auch mit Längen
Kurzgefasst:
Juni 1545: Michael Calfhill war Lehrer bei der Familie Hobbeys und wurde nicht müde, auf das schreiende Unrecht hinzuweisen, das den beiden Mündeln Emma und Hugh widerfuhr. Doch nun ist er tot erhängt. Die Ermittlungen in diesem Fall führen Matthew Shardlake nach Portsmouth, wo die gesamte englische Flotte vor Anker liegt. Gefahr und Angst liegen in der Luft, denn eine Invasion der Franzosen wird befürchtet. Als Shardlake das Geheimnis der Hobbeys zu ergründen versucht, ist auch sein Leben bedroht.
Bereits zum fünften Mal sind der Rechtsanwalt Matthew Shardlake und sein Schreiber Jack Barak mit einem schwierigen Fall betraut, der nicht lösbar scheint. Die Königin selbst bittet Shardlake um Hilfe für die ihr treu ergebene alte Magd Bess. Deren Sohn, Michael Calfhill, wurde erhängt in seiner Wohnstatt aufgefunden, und obwohl alles auf Selbstmord hinweist, glaubt die alte Frau, dass etwas Furchtbares hinter dem Tod ihres Sohnes stecken muss.
Shardlake macht sich gemeinsam mit Barak auf den Weg nach Portsmouth um zu recherchieren und will bei der Gelegenheit auch Nachforschungen über die Vergangenheit von Ellen Fettiplace anstellen, die in einem Irrenhaus untergebracht ist, aber einen sehr wachen Verstand hat. Welche Tragweite die beiden Fälle allerdings nach sich ziehen, hätte er sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorzustellen vermocht.
Etwas schleppende erste Hälfte
Sansom lässt seinen Protagonisten berichten und dieser legt seine Geschichte dar, als wäre die Ära der Tudors erst seit gestern vorbei. Matthew Shardlake erzählt und zeigt damit natürlich eine sehr subjektive Sicht der Dinge. Der Leser begleitet Shardlake zur Königin in deren prächtige Gemächer, besucht mit ihm gemeinsam Ellen Fettiplace im Irrenhaus und nimmt, wie er selbst, die bedrückend traurige Atmosphäre wahr, um später mit ihm nach Hause zu kommen und dort noch immer die Trauer über den Verlust von Joan, seiner Haushälterin, die ihm sehr nahe stand, zu spüren.
Im Grunde sind es wieder zwei Fälle, die Sansom diesmal den Anwalt lösen lässt. Als der Autor Shardlake nach dem Auftrag der Königin zu recherchieren beginnt und sich mit seinem Freund und Gehilfen Barak in die Wohnung des verstorbenen Calfhill begibt, scheint Schwung in die Sache zu kommen und man ist gespannt auf die weiteren Geschehnisse. Leider kommen diese aber nur sehr mühselig in Gang.
Gerade in der ersten Hälfte des Buches hat man das Gefühl, auf der Stelle zu treten. So schön und interessant es ist, die Welt der Tudors und die der Bewohner Londons und das Treiben der Zeit kennenzulernen, so erpicht ist man auch darauf, dass nun endlich etwas geschehen möge. Der Leser braucht ziemliches Durchhaltevermögen, wird aber dafür ab gut der Hälfte des Buches mit spannenden Ereignissen entschädigt.
Wunderbares Lokalkolorit
C. J. Sansom ist sehr akribisch in seinen Ausführungen, man lebt in und mit Shardlake, man begleitet ihn überall hin, nimmt teil an dessen Gedanken, lernt seine Sichtweise kennen, nimmt das Umfeld mit seinen Augen wahr und teilt im Grunde stets seine Ausführungen und Schlussfolgerungen. Sansoms Stärke liegt unter anderem in der plastisch farbigen Erzählweise, die dem Leser Bilder vermitteln, als wären sie für den Zeitraum von gut 750 gelesenen Seiten in das 16. Jahrhundert nach England gereist. Nach eigenen Angaben hat Sansom penibel recherchiert und so stellen sich die Szenen auf dem Kriegsschiff "Mary Rose", die für die Schlacht im Solent nach Portsmouth geschickt wurde, ebenso glaubhaft dar wie die Jagd mit den Langbögen oder die Verhandlungen bei Strafsachen. Man fühlt sich involviert in das Geschehen.
Charaktervielfalt
Sansom bietet einen ganzen Kosmos an charakterlich unterschiedlich gefärbten Menschen. So trifft man auf einen vermeintlich überheblich und arrogant wirkenden Jüngling, der nur aus Unsicherheit so agiert, genauso wie auf kalte und berechnende Richter, mitfühlende und weichherzige Frauen, keifende und unzufriedene Ladies oder sehr intelligente oder exzentrische Machtgiere, die nur ihren Vorteil im Sinn haben, aber auch sanfte und verständnisvolle (Ehe-)Männer und hilfsbereite Alte.
Schon der Protagonist, ein buckliger Anwalt, ist keiner der üblichen heldenhaften Hauptfiguren, wie sie sehr häufig in Romanen vorkommen. Gerade dieses Unperfekte des Protagonisten, sein Buckel, ermöglicht dem Autor noch eine ganz andere Bühne zu betreten, denn mit sehr viel Einfühlungsvermögen und hervorragend integriert in die Geschichte, zeigt er, wie viel Borniertheit ein ohnehin schon körperlich gezeichneter Mensch wie Shardlake auch noch von seinen Mitmenschen zu ertragen hat. Auf sehr subtile Weise sind Hohn und Spott mit eingewobenen, die auf die heutige Zeit ebenso zutreffen.
Eine sehr schön erzählte Geschichte, die mit viel Liebe fürs Detail geschrieben wurde. Für einen historischen Roman sind die langen Ausschweifungen geradezu perfekt interessant, vermitteln sie doch eine sehr eindringliche Atmosphäre. Für einen Krimi jedoch würde man sich das Tempo schon viel früher angezogen wünschen, denn der Krimiliebhaber braucht etwas Ausdauer, bis er auf seine (spannenden) Kosten kommt. Dies dafür sehr intelligent und mit überraschenden Wendungen, die das Ausharren belohnen.
C. J. Sansom, Fischer
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