Der rote Milan
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- Erschienen: Januar 2010
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- , 2010, Titel: 'Der rote Milan', Originalausgabe
Von kampfgestählten Körpern, deutschen Leitwölfen und einer kleinen Gräfin
Kurzgefasst:
Prinz Christian von Artenberg ist Vasall des deutschen Kaisers Maximilian I. Als einer seiner kampfstärksten Ritter ist er unter dem Namen roter Milan bekannt und wird von Maximilian mit dem geheimen Auftrag betraut, die junge, verwitwete Gräfin von Dannheim als neue Braut zum englischen König Heinrich VIII. nach London zu bringen. Doch Schwierigkeiten ergeben sich nicht nur dadurch, dass die Braut unwillig ist und Heinrich VIII. seine bisherige Ehe mit Königin Katharina von Aragón noch nicht vom Papst Julius II. annullieren lassen konnte, sondern auch, weil die Königin von dem gegen sie gerichteten Komplott erfährt. Als sich der rote Milan auf dem Weg nach London in die Gräfin verliebt und ihr zur Flucht verhilft, eskaliert die Angelegenheit und sowohl Maximilian I. als auch Heinrich VIII. werden zu seinen unerbittlichen Gegnern.
Köln, 1510. Kaiser Maximilian I. hat beschlossen, die Verbindung zum englischen König etwas enger zu gestalten und will sich Heinrich VIII. zu Dank verpflichten. Zwar ist Heinrich noch mit Katharina von Aragon verheiratet, aber er will die Ehe annullieren lassen und sucht eine neue Braut. Darum beauftragt Maximilian den Ritter Christian von Artenberg, den "Roten Milan", damit, die gerade frisch verwitwete Gräfin Viktoria von Dannberg nach England zu bringen und sie Heinrich ins Brautbett zu legen.
Leider ist die junge Dame sehr unwillig und versucht, dem ihr zugedachten Schicksal zu entgehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Ritter und Gräfin sich ineinander verlieben. Als Christian den Fluchtversuch der unwilligen Braut unterstützt, macht er sich Kaiser und König zum Feind. Er landet im Kerker des englischen Königs, und nur die tatkräftige Unterstützung der englischen Königin rettet ihm das Leben. Aber auch als er in die Heimat zurückkehrt, ist er nicht sicher. Zwar ist seine geliebte Gräfin an seiner Seite, der Kaiser jedoch ist wenig erfreut darüber, dass sich hier jemand seinem Willen widersetzt. Neue Gefahren bedrohen das junge Glück!
Historisch fragwürdig
Die Autorin Evelyn Rheingold entwirft in ihrem Roman Der rote Milan ein Szenario, das genauer historischer Überprüfung nicht stand hält. Selbst wenn man getrost davon ausgehen darf, dass Maximilian I. versucht hat, auf die englische Politik Einfluß zu nehmen und Heinrich VIII. als Bündnispartner zu gewinnen, so fragwürdig ist doch der im Buch geschilderte Versuch, dies über die Heirat mit einer hübschen deutschen Witwe zu probieren.
Zum einen hat Heinrich nicht - wie im Buch behauptet - auf Befehl seines Vaters die spanische Prinzessin Katharina geheiratet. Vieles spricht dafür, dass die beiden sich sogar geliebt haben und am Anfang auch eine glückliche Ehe führten. Der Roman geht davon aus, dass Heinrich sofort nach der ersten Totgeburt Katharinas begann, an der Rechtmäßigkeit der Ehe zu zweifeln und die Ehe annullieren lassen wollte. Dies passierte aber erst Jahre später.
Die Autorin schickt eine junge Frau auf die Reise nach England, die dort den Platz von Katharina einnehmen soll. Kaiser Maximilian selbst offeriert seinem englischen Kollegen die Alternativbraut. Kaum zu glauben, dass diese mit Minimalgepäck in aller Hast und Eile ohne großes Geleit und vor allem ohne Mitgift nach England zieht um dort schnell Königin zu werden. Einen derartigen Affront hätte sich König Heinrich wohl nur ungern bieten lassen.
Man mag darüber hinwegsehen, dass der jungen Dame dann noch sportliche Höchstleistungen in Form eines Gewaltrittes nach Antwerpen und einer eiskalten Schwimmstrecke in der Nordsee zugemutet werden. Warum sollen Renaissance-Damen nicht schwimmen können? Reiten konnten sie ganz sicher. Aber dass der junge Heinrich im Buch permanent als brutales Ekel dargestellt wird, der Frauen verbraucht wie sein Kammerdiener Putzlappen - das entspricht einfach nicht der historischen Realität und dies kann auch nicht mehr als dichterische Freiheit abgetan werden.
Viele unwahrscheinliche Kleinigkeiten gesellen sich zueinander, die den Leser letztendlich davon überzeugen, dass hier überhaupt keine Recherche betrieben wurde. Und wenn es nur Nebensächlichkeiten sind, wie z.B. die Vorstellung, dass zweiundzwanzig Ritter mit Pferd, dazu zwei Damen (ebenfalls mit Pferd) in Antwerpen ankommen, und schon nach einer halben Stunde haben sie ein Schiff gefunden, das sowieso gerade ablegen will, sie sofort nach England übersetzt und genug Frachtraum frei hat um die Pferde mit aufzunehmen. Und ganz sicher hat die Autorin keinerlei Vorstellung davon, wie es 1510 in London aussah, wo der englische König residierte und wo er seine Gefangenen verstaute.
Sprachlich gewöhnungsbedürftig
Der Roman schwächelt sprachlich auf der ganzen Linie. Die Autorin arbeitet mit Klischees und eindimensionalen Personenbeschreibungen. Insbesondere Ritter Christian wird hier das Opfer abgedroschener Redewendungen :
Sein Pferd war so schwarz wie seine Kleidung und im Dämmerlicht schien er mit seinem Pferd eins zu sein, wie ein Zentaur. Seine Aura war kraftvoll und autoritär!
oder auch :
Seine Macht und seine Stärke waren nicht nur seiner Größe von einem Meter und dreiundneunzig Zentimetern und seinem kampferprobten Körperbau anzusehen. Es umgab ihn eine Aura, die jeden sofort aufmerksam werden und zurückweichen ließ. Seine Anwesenheit war nicht zu übersehen. Seine Dominanz glich der eines Herrschers.
Der Bruder dieses Urbildes von einem Mann ist "unter dem Kampfnamen ´der deutsche Leitwolf' bekannt" und wenn im Laufe des Buches von ihm die Rede ist, dann wird er immer aufs Neue mit diesem Kampfnamen benannt. Das nervt.
Die Zofe Anna duzt ihre Herrin, weil diese auch ihre beste Freundin ist. Selbst wenn der Leser später feststellt, dass Anna von Adel ist, so bleibt immer noch die Frage, weshalb die junge Dame nicht als Gesellschafterin ihren Lebensunterhalt verdient. Adelige Zofen waren sehr unwahrscheinlich, denn oben bleibt oben und unten bleibt unten in der festgefügten Welt des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Renaissance. Aber "Der rote Milan" bietet reichlich Gelegenheit, über solche und ähnliche Ungereimtheiten zu sinnieren, z.B. wenn sich Kaiser Maximilian von seinen Vasallen duzen lässt oder Katharina von Aragon zu nächtlicher Stunde heimlich in den Kerker hinabsteigt.
Dazu gesellen sich im Text regelrechte Fehler. Ein gutwilliger Leser mag die grammatikalischen Ausrutscher zunächst für Druckfehler halten. Irgendwann aber werden die sprachlichen Schwächen so deutlich, dass niemand mehr darüber hinwegsehen kann. Spätestens auf Seite 102 bei dem Satz : "Jeder weiß doch, dass sie nicht gerne diese Reise angetreten ist.", läuft das Fass über. Orthographiefehler, falsche Wortstellungen und verdrehte Sätze sind zusätzliche Stolpersteine, die das Lesevergnügen erheblich beeinträchtigen.
Ebenso enervierend sind zahlreiche Modernismen und Anachronismen, die den Lesegenuss empfindlich stören. Größen und Entfernungen werden in Metern angegeben, eine junge Frau packt zwei Reisetaschen (Wir schreiben das Jahr 1510!). Und natürlich sind Seife und Trockentücher in den Taschen.
Ganz erstaunlich ist auch, dass bei der Ankunft in Dover plötzlich alle Protagonisten der englischen Sprache mächtig sind - war doch Latein im Jahre 1510 die lingua franca des späten Mittelalters und Englisch stand wohl nur sehr selten auf dem Stundenplan adeliger Kinder.
Brandwunden werden desinfiziert und eine Heilerin erklärt, dass sich verletzte Haut regenerieren kann. Katharina von Aragon geht gemütlich ein Tässchen Tee trinken und wenn Ritter Christian dann: "Regt euch ab, Heiner!", sagt, fällt das kaum noch auf.
Für Liebhaber historisch verbrämter Lovestories
Mehrfach drängt sich beim Lesen der Eindruck auf, dass die Autorin hier ihrer Phantasie freien Lauf ließ, ohne gleichzeitig Wert auf historische Genauigkeit und realistische Handlungsabläufe zu legen. Resultat ist ein Roman, der mit den geschichtlichen Gegebenheiten wenig zu tun hat und auf reine Unterhaltung beschränkt ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob Leser mit ernsthaften historischen Ambitionen sich hier tatsächlich gut unterhalten fühlen. Sie sind hier eindeutig falsch. Wer aber weder auf ein zumindest ansatzweise recherchiertes historisches Umfeld noch auf korrekte Grammatik Wert legt, der kann sich bei schwüler Hitze in die Rosenlaube zurückziehen oder sich an rauen Winterabenden mit einem Glühwein auf das Bärenfell vor dem Kamin legen und sich in diese Welt aus Plattitüden und Liebesglück entführen lassen.
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