Die Nacht von Berlin
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2011
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- Gmeiner, 2011, Titel: 'Die Nacht von Berlin', Originalausgabe
Lebendiges und pralles Berlin 1911
Kurzgefasst:
September 1911. Berlin ist Weltstadt. Rastlos, vergnügungssüchtig, nervös. Selbst bei Nacht eine Stadt aus Licht. Doch im Schatten des glitzernden Lichtermeers der Reichshauptstadt gedeiht das Verbrechen auf nie gesehene Weise: An verschiedenen Orten Berlins werden Leichen gefunden kaltblütig ermordet, grotesk kostümiert, theatralisch ausgestellt. Der blutjunge Ermittler Edmund Engel begreift als Erster, dass hier kein gewöhnlicher Mörder am Werk ist. Und auch der erfahrene Nervenarzt Alfred Muesall erkennt die Handschrift eines modernen Tätertyps. Einen Künstler im Fach Mord, dessen bizarre Spur in das weltberühmte Berliner Metropol-Theater führt.
Der junge Kriminalassistent Edmund Engel begleitet seinen Vorgesetzten, Kommissar Schmöckwitz, zum Tatort eines grauenhaften Mordes. Zwei Frauen und ein Mann wurden erstochen, wobei die Frauen eigenartig kostümiert und regelrecht zur Schau gestellt wurden. Schmöckwitz vermutet einen Eifersuchtsmord, als kurz darauf ein weiteres Verbrechen geschieht, bei dem das Opfer ebenfalls eine eigenartige Gewandung trägt. Während dem jungen Engel sofort der Verdacht kommt, dass zwischen diesen Taten ein Zusammenhang besteht, wird dies nicht nur von Schmöckwitz, sondern auch vom Polizeichef selbst als absoluter Unsinn abgetan. Engel jedoch ermittelt weiter und setzt so seine Karriere aufs Spiel, bis er unerwartete Hilfe vom bekannten Arzt Muesall bekommt.
Brutale Morde - bizarr zur Schau gestellte Opfer
Schon die ersten Zeilen lassen durch die Rufe "Lotte is dot, Lotte is dot, Jule liecht im Sterben..." keine Zweifel aufkommen, dass man sich mitten in Berlin befindet. Im Berlin von 1911, um genau zu sein, und der junge Edmund Engel ist im Polizeipräsidium der Kriminalabteilung als Assistent zugeteilt. Zu tun gibt es nicht viel (was man am Kommissariat generell zu genießen scheint), und so ist er froh, dass er wenigstens einen Bericht zu der "Vermisstensache Langenfeld" schreiben kann. Penibel wie er ist, fallen ihm auch kleine Ungereimtheiten auf und er macht sich darüber seine Gedanken. Kurz danach werden er und sein Vorgesetzter, Kommissar Schmöckwitz, zu einem Mord gerufen.
Beckmann zeigt das Berlin der einfachen Leute, die Theaterwelt mit Blicken hinter die Kulissen und auch die bequeme Arbeit in der Burg - so wird das Polizeipräsidium genannt. Das Berlin vor exakten 100 Jahren wird mit all seinem Charme, aber auch seinen Widrigkeiten wiederbelebt, was nicht nur Berlinkenner beeindrucken wird, sondern auch die Leser, die diese Stadt noch nie gesehen haben.
Eindringlich und atmosphärisch, beinah schon melancholisch depressiv, wirkt die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts auf den Leser, der doch spannenden Geschichten gerne folgt. Wenngleich das Tempo nicht gerade rasant ist, so kommen dennoch nie Längen auf, da auch immer wieder die Schauplätze und auch die Perspektiven gewechselt werden. Der Hauptpart ist Engel zugeteilt, aber ab und an wechselt der Autor zu zwei befreundeten Ärzten, Muesall und Döblin, die sich regelmäßig treffen. Durch Zufall stolpert auch Muesall über die Mordfälle und Beckmann ermöglicht dem Leser, auch seine Gedankenwelt zu verfolgen.
Debile oder nur arbeitsscheue Kommissare?
In der Kriminalabteilung arbeiten drei Kommissare, aber bei keinem dieser drei lässt sich nur im Entferntesten so etwas wie intelligentes Kombinieren und schon gar nicht Interesse oder Engagement feststellen. Mag einem der eine oder andere Kommissar nicht wirklich clever erscheinen, so beschleicht einen auch der Verdacht, dass die Abteilung auch vom Polizeipräsidenten die Order hat, nur nicht zu genau hinter die Kulissen zu schauen, da dies nur ein Mehr an Arbeit nach sich ziehen könnte. Somit macht der Autor den Weg für seinen Protagonisten frei, der allen Kleinigkeiten auf den Grund gehen will, genau recherchiert und Punkt für Punkt alle Indizien zusammenträgt. Zur Seite stellt Beckmann ihm Muesall, damit zumindest irgendjemand bestätigt, dass Engels Gedankengänge doch nicht so verkehrt sind. Dass alle anderen Kommissare gar so unfähig sind, verursacht ein etwas unbehagliches Gefühl beim Leser; allzu glatt scheint alles auf den Protagonisten zugeschnitten zu sein, denn es wird das Gefühl vermittelt, dass, würde es Engel nicht geben, wahllos Leute eingesperrt würden, nur um einen Täter vorweisen zu können und endlich wieder dem Nichtstun frönen zu können.
Beckmanns Figuren sind sympathisch bis skurril, von freundlich bis brummig oder auch undurchsichtig und offenherzig. Und dennoch empfindet man es als bedauerlich, dass bei allen Darstellern nur an der Oberfläche gekratzt wurde. Selbst von Engel erfährt man relativ wenig, zu sehr ist alles auf die Handlung selbst fokussiert, die wiederum explizit bis ins letzte Eck ausgeleuchtet ist. Bei den Figuren scheint es kein Privatleben zu geben, der Leser erfährt weder in welchen Verhältnissen Engel lebt, noch was in seinem Kopf - außer den Überlegungen zum Fall - vorgeht. In einem reinen Krimi vielleicht nicht unbedingt von Belang, hätte es aber die Geschichte noch runder und stimmiger gemacht, hätte man mehr über die handelnden Figuren als Person erfahren.
Die Stärken des Buches liegen in der Beschreibung des prallen, bunten Lebens in Berlin und auch der Kriminalfall selbst ist schlüssig und spannend. Atmosphärisch dicht, lässt Beckmann den Leser eintauchen in eine lebendige und sprudelnde Stadt, die aber auch ihre düsteren und finsteren Seiten hat, die nicht verhehlt werden. Es wird kurzweilige Unterhaltung geboten und der Leser befindet sich selbst im Berlin 1911 und bekommt schier Lust, selbst das Metropol-Theater zu besuchen, um all die vergnügungssüchtigen Menschen selbst zu treffen und zu erleben und vielleicht den einen oder anderen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen.
Herbert Beckmann, Gmeiner
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