Mord und Brand
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2011
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- Gmeiner, 2011, Titel: 'Mord und Brand', Originalausgabe
Ein kriminelles Wiener Sittenbild – unterhaltsam trotz wenig Aufklärungsarbeit
Im Wien des Jahres 1911 brennt es lichterloh. Im realen und im übertragenden Sinn. Denn in der Bevölkerung brodelt es seit einiger Zeit. Waren des täglichen Bedarfs, besonders Nahrungsmittel, werden rarer und damit teurer. So teuer, dass ein normaler Arbeiter oder kleiner Angestellter sich bald kein Fleisch mehr leisten kann. Der Hass der unteren auf die oberen Klassen wächst ständig. In dieser aufgeheizten Stimmung geschehen mehrere Verbrechen – Brandstiftung und einige Morde. Polizeiagenten-Inspektor Joseph Maria Nechyba bekommt eine Menge zu tun.
Zwei Schurken
Im Mittelpunkt der kriminellen Handlungen stehen der Schneidergeselle Frantisek Oprschalek und Nepomuk Budka, ein mehrfach verurteilter Gewaltverbrecher und derzeitiger Hausierer für Groschenromane. Beide sind ständig auf der Suche nach neuen Einnahmequellen, und beide sind dabei nicht zimperlich. Besonders Oprschalek, der seine Stelle bei einem Schneidermeister verloren hat, weil Kleidungsfabrikanten den kleinen Betrieben immer mehr Kunden abspenstig machen. Irgendwann wird seine Situation so angespannt, dass er zum Pyromanen wird und zuerst sein Wohnhaus, danach eine Kleiderfabrik anzündet. Außerdem scheint eine beträchtliche kriminelle Energie freigesetzt worden zu sein, denn er beraubt seine Opfer vorher meist noch. Zwischendurch schwingt er sich zum Manager eines Hotels auf, weil er dessen Besitzer mit dessen Mädchenhandel erpresst. Doch alle seine kriminellen Karrieren sind nur von kurzer Dauer. Der Absturz auf die schiefe Bahn endet mit einem tatsächlichen Sturz in die Donau.
Nepomuk Budka hingegen hat schon eine kriminelle Karriere hinter sich, als die Handlung einsetzt. Als Buße hausiert er mit Groschenromanen und bekommt beiläufig einen Mordauftrag, gefolgt von einem zweiten. Seine Bekanntschaft mit Oprschalek lässt ihn Pläne schmieden, den Brandstifter für seine Zwecke einzuspannen. Ziemlich gewissenlos macht er sich daran, die Auftragsmorde auszuführen und nimmt einige Kollateralschäden in Kauf. Auch er endet nicht in Polizeigewahrsam, sondern unter einem Straßenbahnzug.
Täter bleiben der Polizei verborgen
Womit das größte Problem des Romans auf dem Tisch liegt. Polizeiagent Nechyba hat mit der Aufklärung der Brandstiftungen und der Morde – fast – nichts zu tun. Oprschalek und Budka ziehen – jeder für sich – eine Spur von Mord und Brand durch Wien, während Nechyba Menschenaufläufe auflöst, Wohnraum für notleidende Mütter organisiert und Bodyguard für den todkranken Komponisten Gustav Mahler spielt. Mit Kriminalarbeit hat das nicht viel zu tun. Zwar kann er bei einer Gelegenheit – den Tipp hat er von seinem Busenfreund, dem Zeitungsredakteur Goldblatt bekommen – Frantisek Oprschalek in dem Hotel verhaften, doch stellen sich seine Mitarbeiter so tollpatschig an, dass er ihnen entwischt. Wer letztendlich hinter den Brandstiftungen steckt, bleibt ihm ebenso verborgen wie lange Zeit die Rolle, die Nepomuk Budka spielt. Immerhin gelingt es ihm, die Auftraggeberin der Morde dingfest zu machen.
Zum Verzweifeln…
Als Darstellung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Wien am Beginn des 20. Jahrhunderts punktet der Roman. Auch in der Schilderung und Zeichnung der Charaktere. Nechyba ist der große Sympathieträger, wirkt aber eher wie ein tapsiger und gutmütiger Bär als wie ein scharfsinniger Kriminalist. Leser von Kriminalromanen würden sich wahrscheinlich mehr aktive Ermittlungsarbeit seinerseits und auch mehr Erfolge wünschen. Vielleicht verfolgt der Autor die Sichtweise, dass das Verbrechen sich immer selbst richtet. Für den Leser ist das jedoch eher unbefriedigend, ebenso wie Nechybas Fazit: Die Leute sind Verbrecher geworden, "aber nicht weil sie von Grund auf verdorbene Menschen waren, sondern weil s´ verzweifelt waren. Weil die Zeit, in der wir leben, einfach zum verzweifeln ist..." Da macht es sich der Autor ein wenig zu einfach. Es erklärt vieles, entschuldigt aber nichts, schon gar nicht Nechybas Untätigkeit.
Doch irgendwie schafft es der Autor, so sympathisch zu schreiben, dass man ihm diese Schwächen verzeiht. Dass man mit Nechyba mitleidet und sogar mit dem historisch verbürgten Brandstifter Franz Schottek. Dass man ebenso wie Nechyba die kulinarischen Ausflüge genießt und die Spaziergänge über den Naschmarkt und die Besuche bei Lebensmittelhändlern.
Gerhard Loibelsberger, Gmeiner
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