Der dunkle Thron
- Ehrenwirth
- Erschienen: Januar 2011
- 28
- Ehrenwirth, 2011, Titel: 'Der dunkle Thron', Originalausgabe
Ein großartiges und farbenprächtiges Bild der Tudor-Zeit
Kurzgefasst:
London 1529: Nach dem Tod seines Vaters erbt der vierzehnjährige Nick of Waringham eine heruntergewirtschaftete Baronie und den unversöhnlichen Groll des Königs Henry VIII. Dieser will sich von der katholischen Kirche lossagen, um sich von der Königin scheiden zu lassen. Bald sind die Papisten, unter ihnen auch Henrys Tochter Mary, ihres Lebens nicht mehr sicher. Doch in den Wirren der Reformation setzen die Engländer ihre Hoffnungen auf Mary, und Nick schmiedet einen waghalsigen Plan, um die Prinzessin vor ihrem größten Feind zu beschützen: ihrem eigenen Vater.
1529-1553
Dieser Roman ist Ihnen gewidmet. Genauer gesagt, all jenen Leserinnen und Lesern, die mir mit Zuschriften, Appellen, Drohbriefen und auf vielfältige andere Weise zu verstehen gegeben haben, dass sie wissen wollen, wie es mit dem Geschlecht derer von Waringham weitergeht.
So beginnt Rebecca Gablés Vorwort zu ihrem neuesten Buch. Es ist der inzwischen vierte Band der Waringham-Saga, die sich um ein englisches Adelsgeschlecht in den Wirren zwischen Hundertjährigem Krieg und Heinrich VIII. dreht. Die Zeit zwischen 1360 und 1485 wird in den ersten drei Bänden der Saga abgehandelt, die Handlung des neuen Romans Der dunkle Thron setzt 1529 ein (und geht bis 1553) - ein bemerkenswerter Zeitsprung. Denn während in der Trilogie die Generationen direkt aufeinander folgen - Robin of Waringham ist Hauptfigur in Das Lächeln der Fortuna, sein jüngster Sohn John in Die Hüter der Rose, dessen jüngster Sohn Julian wiederum in Das Spiel der Könige - ist Nicholas of Waringham, Protagonist in Der dunkle Thron, beim Einsetzen der Handlung 14 Jahre alt und der Urenkel von Julian, der 1485 in der Schlacht von Bosworth angeblich die Krone des gefallenen Königs Richard III. aus einem Busch auflas und sie dem Sieger Henry Tudor aufs Haupt setzte - und ihn so zu König Henry VII. von England machte, dem Vater von Henry VIII.
Ein schwieriges Erbe
Doch Nick hat bemerkenswert wenig von der Tat seines Urgroßvaters. Sein Vater Jasper of Waringham ist bei König Henry VIII. in Ungnade gefallen. Die Pferdezucht, einst Haupteinnahmequelle der Baronie, liegt am Boden, weil der König seinen Adligen und Rittern untersagt hat, Waringham-Pferde zu kaufen. Außerdem ist das Zeitalter der Schlachtrösser unwiederbringlich vorbei. Und weil Jasper seine Zeit lieber mit dem Studium von Büchern und dem Verfassen religiöser Streitschriften verbringt, sind Gut und Gestüt abgewirtschaftet. Hinzu kommt, dass Jasper mit den "Ketzern" sympathisiert. Vorgeblich deswegen wird er in den Tower of London gesperrt und gefoltert. Dort stirbt er im Beisein seines Sohnes. Nick erbt den Titel, das Gut, das Gestüt und die Schulden und muss sich nicht nur mit der schlechten wirtschaftlichen Lage, sondern auch mit der verhassten zweiten Frau seines Vaters und seiner Stiefschwester auseinandersetzen, die ihm den Neuanfang nicht leicht machen.
Zu seinen privaten Problemen gesellt sich unversehens die hohe Politik. Nick findet den wahren Grund für den Foltertod seines Vaters heraus und geht umso heftiger in Opposition zum König und besonders zu dessen zweiter Frau Anne Boleyn. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Annullierung der Ehe Henrys mit Katharina (Catalina) von Aragon und die Verstoßung der Tochter Mary aus der Thronfolge. Nick lehnt sich gegen die Reformen des Königs auf, einerseits, weil er überzeugter Katholik ist, andererseits, weil sie von dessen Sekretär Thomas Cromwell forciert werden. Er hält sich lieber an Thomas More, den er seit seiner Ausbildung bewundert. Doch als der wegen seiner Weigerung, des Königs Handlungen zu sanktionieren, hingerichtet wird, muss Nick in den Untergrund verschwinden. Catalina hatte ihm das Versprechen abgenommen, sich um ihre Tochter zu kümmern. Also verpfändet Nick sein Schloss endgültig und schleicht sich als Stallbursche ("Das ist eine Familientradition.") in den Haushalt der Prinzessin Elisabeth ein, in dem Mary inzwischen lebt. Von hier aus hält er Kontakt mit Chapuys, dem kaiserlichen Botschafter in England, mit Catalina und mit seinen Verwandten und Freunden.
Der Zufall kommt ihm auf die Schliche, er landet als Gefangener im Tower, nur um zu beobachten, wie König Henry auch seine zweite Frau abserviert, weil sie ihm keinen Sohn gebären kann. Ihre Nachfolgerin Jane Seymour sorgt für die Aussöhnung des Königs mit seinen Töchtern, und so kann Nick wieder als Earl of Waringham auf seine Burg zurückkehren. Doch das ist noch lange nicht das Ende seines Lebensweges. Es folgen noch einige steinige Abschnitte, unter anderem eine Fast-Enthauptung, bis er Mary zu ihrer Krönung führen kann.
Die Wunsch-Königin
Dies alles deutet lediglich an, wie tief dieser Roman in der englischen Geschichte verankert ist. Denn eigentlich erzählt Rebecca Gablé englische Geschichte nach. Sie recherchiert für jeden Roman mehrere Jahre, oftmals in Original-Quellen und Chroniken. In die Lücken der Überlieferung schmuggelt sie ihre Figuren ein. Und sie bezieht Stellung. In Die Hüter der Rose ist Jeanne d'Arc, die Jungfrau von Orléans, nicht die strahlende Freiheitskämpferin, sondern ein selbstsüchtiges, zumindest psychisch labiles Kind. Im Nachwort zum Dunklen Thron bezeichnet sie König Henry VIII. als "faulen, destruktiven, feigen Schwächling" und stellt ihn auch so dar. Seine Handlanger Thomas Cromwell und Richard Rich erledigen die Regierungs- und Drecksarbeit - oft genug ohne Wissen, aber im Namen des Königs. Seine älteste Tochter Mary hingegen ist die Königin, die sich die Engländer wünschen - was auch den historischen Tatsachen entspricht. Dieses Bild wurde erst von der Geschichtsschreibung durch das grausame der "bloody Mary" überlagert. Doch lange bevor Mary diesen Beinamen durch den Versuch, den Katholizismus in England durch zahlreiche Todesurteile gegen Protestanten wieder einzuführen, erwirbt, endet das Buch.
Ausgewählte Episoden
Zwar erzählt Rebecca Gablé die englische Geschichte nach, doch sie begeht nicht den Fehler, sich sklavisch an die Chroniken zu halten. Sie wählt lediglich die zweite (Anne Boleyn) und fünfte (Katherine Howard) Frau Henrys VIII. für nähere Behandlung aus, von den anderen - mit Ausnahme von Catalina - erfahren die Leser nur durch Nacherzählungen etwas, weil Rebecca Gablé sie überspringt. Warum ausgerechnet die beiden? Weil Nick of Waringham oder seine Familie mit beiden eng zu tun haben oder sogar verwandt sind: Anne Boleyn ist der Grund für Nicks Widerstand gegen den König, und sein Halbbruder Raymond ist ein entfernter Cousin der fünften Königin.
Sehr strukturiert legt Rebecca Gablé die Familiengeschichte an. Die Handlungsepisoden schwenken immer zwischen Nicks problematischem Privatleben und den politischen Episoden hin und her. Das eine hat zwar immer Einflüsse auf das andere, aber die Dosierung ist so vollkommen, dass der Leser immer im richtigen Moment vom einen zum anderen geführt wird. Ebenso wie ihrem Protagonisten Nick gönnt die Autorin den Lesern eine Auszeit im Waringhamschen Gestüt und auf dem Schloss, wenn Nick mal wieder einem Gefängnisaufenthalt entkommen ist. Andersherum wirft sich Nick und mit ihm die Leserschaft in ein neues Abenteuer am Hof, wenn die Mauern der Burg Waringham (übrigens im Internet auf der Homepage der Autorin zu betrachten) zu eng werden.
Noch nicht Schluss
Rebecca Gablé verwendet all die Zutaten, die auch schon in ihren anderen historischen Romanen zum Einsatz kommen: Ein junger Mann erbt einen Titel, muss ihn gegen Widerstände verteidigen, kommt in Kontakt mit dem Königshaus, landet mehrfach im Gefängnis, kann fliehen oder wird freigelassen und muss sich verstecken. Doch sie beherrscht ihr Handwerkszeug so souverän, dass ein Roman dabei herauskommt, der ein Vorbild dafür ist, wie historische Romane sein sollten: Figuren (nicht nur die historisch belegten), die den Leser mitfühlen lassen, eine Handlung, die die Leser erleben wollen, eine Ära, in die die Leser eintauchen wollen. Das Buch hat wie seine Vorgänger nur zwei Probleme: Es ist zu lang, um es in einem Rutsch zu lesen, obwohl man gerne möchte. Und es ist zu kurz, weil man nicht genug davon bekommen kann.
Aber Rebecca Gablé hat ihre Saga nicht wieder - wie am Ende von Das Spiel der Könige - für beendet erklärt. Stattdessen hat sie sich mit dem Satz "Wer Mary sagt, muss auch Elisabeth sagen" die Möglichkeiten für noch mehr Geschichten offen gehalten. Die Fans dürfen also auf Band fünf warten und hoffen.
Rebecca Gablé, Ehrenwirth
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