Ketzer
- Limes
- Erschienen: Januar 2011
- 2
- Limes, 2010, Titel: 'Hersey', Originalausgabe
Vielschichtiger Krimi mit zwiespältigem Helden
Kurzgefasst:
Auf der Flucht vor der Inquisition kommt Giordano Bruno nach Oxford. An seinem ersten Morgen im Lincoln College wird er von einem wild bellenden Hund und den entsetzlichen Schmerzensschreien eines Mannes geweckt. Das Tier wurde auf das Opfer gehetzt, doch der Rektor schweigt. Als ein weiterer Geistlicher, der dem katholischen Glauben abgeschworen hatte, brutal ermordet wird, fürchtet Bruno, dass er der Nächste sein könnte, denn der Mörder scheint es auf Glaubensverräter abgesehen zu haben. Holt Bruno die Vergangenheit, vor der er geflohen ist, wieder ein? Und welche Rolle spielt dabei die geheimnisvolle Tochter des Rektors, die sich verdächtig für Alchemie interessiert und für die der Mönch verbotene Gefühle hegt? Der streitbare Freigeist Giordano Bruno begibt sich auf den gefährlichen schmalen Grat zwischen Glauben und Ketzerei.
Diese Prämisse ist den weitgereisten Lesern historischer Romane eigentlich bekannt: Ein Geistlicher kommt in eine fast geschlossene Gemeinschaft und soll einerseits einen Mord aufklären und will andererseits ein verschollenes Buch finden. Aber Stephanie Parris´ historischer Krimi Ketzer ist keine Light-Version des Weltbestsellers Der Name der Rose von Umberto Eco und will es auch nicht sein. Ihr Held ist der italienische Philosoph Giordano Bruno, und der hat schon von Beginn an einen schwereren Stand als Ecos Protagonist William von Baskerville.
Parris schickt Bruno im Jahr 1583 nach England. Der Philosoph war in Italien Ordensbruder, wurde aber wegen Ketzerei verbannt und wird seitdem von der Inquisition verfolgt. Über Paris flieht er nach England, das unter der Herrschaft Elizabeths I. eigentlich die Religionsdifferenzen beigelegt hat. Doch unter der glaubensfriedlichen Oberfläche brodelt es noch gewaltig. Denn nach der großen Reform durch König Heinrich VIII. gilt der katholische Glaube in England zwar als ausgerottet. Doch im Untergrund existiert er weiter und Bruno gerät als ehemaliger Ordensbruder zwischen die Mühlen der gegensätzlichen Bekenntnisse.
Giordano Bruno soll im Auftrag von Sir Francis Walsingham, dem Geheimdienstchef von Königin Elizabeth I., an einem College in Oxford die katholischen Umtriebe erforschen. Offizieller Besuchsgrund ist allerdings eine wissenschaftliche Disputation über das neue Weltbild des Nikolaus Kopernikus. Und Bruno hat noch einen privaten Grund für den Besuch des Colleges: Er ist auf der Suche nach einem verschollen geglaubten Buch des griechischen Mystikers und Alchemisten Hermes Trismegistos. Doch als mehrere Fellows des Colleges eines gewaltsamen Todes sterben und Bruno mit der Aufklärung oder Vertuschung der Morde beauftragt wird, gerät er immer mehr zwischen die Fronten radikaler Alt- und Neugläubigen.
Reichhaltiger Hintergrund
Stephanie Parris packt in ihren historischen Krimi so ziemlich alles, was an religiösem Hintergrundwissen zum Elisabethanismus zur Verfügung steht. Außerdem lässt sie ihren Helden Giordano Bruno die eine oder andere schmerzliche Erfahrung - im wahrsten Sinne des Wortes - machen. Dazu noch eine natürlich unglückliche Liebesgeschichte und der Satz "In diesem College ist niemand der, der er scheint". Das alles könnte den Roman überladen. Doch auf wundersame Weise geschieht das nicht. Das mag am eher distanzierten Schreibstil liegen - Parris erzählt in der ersten Person und bedient sich einer lakonischen Sprache, die ein wenig an Raymond Chandler erinnert. Oder daran, dass sie aus dem Hintergrundwissen nur das benutzt, was gerade benötigt wird (trotzdem sei Lesern, die mit der Materie nicht vertraut sind, der Film "Elisabeth" empfohlen). Jedenfalls ruht die Handlung auf einem dicken Bett aus historischen Fakten. Was schön ist.
Weniger schön ist, dass der Protagonist nicht so recht in die Rolle passen will, in die Parris ihn stecken möchte. Oftmals tappt er wie ein ahnungsloses und ungläubiges Kind durch eine Welt, für die er kein Verständnis aufbringen kann oder will. Das liegt naturgemäß in der Figur begründet, denn der Italiener Bruno hat oft genug Probleme mit der englischen Mentalität. Und Parris´ Bruno ist ein Held im Denken, nicht im Handeln. Das merkt er selbst immer wieder an und das erfährt er oft genug am eigenen Leib, denn er muss Gefangenschaften und Folter ertragen. Das macht es allerdings für die Leser schwierig, einen emotionalen Kontakt zu ihm herzustellen, denn er präsentiert sich nicht grundsätzlich sympathisch. Doch als Leser möchte man einen sympathischen Helden, mit dem man sich identifizieren kann. Bruno ist dazu zu intellektuell, zu besserwisserisch, zu ahnungslos - kurz, viel zu menschlich. Ein Romanheld sollte aber ein bisschen übermenschlich sein. So viel künstlerische Freiheit ist erlaubt.
Insgesamt ein Roman, der Atmosphäre besitzt, der ein durchaus fesselndes Bild einer Epoche zeichnet, dessen Held aber wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung wirkt.
Stephanie Parris, Limes
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