Goldfasan

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2009
  • 1
  • Grafit, 2009, Titel: 'Goldfasan', Originalausgabe
Goldfasan
Goldfasan
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Annette Gloser
901001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2011

Der deutsche Michel trägt Totenkopf

Kurzgefasst:

1943. Hauptkommissar Peter Goldstein arrangiert sich mit den Nazis: Schon sehr frühzeitig verkürzt er seinen Namen auf Golsten und tritt nicht nur der Partei bei, sondern um der Karriere willen sogar der SS. Aktuell hat Golsten den Auftrag, sich den Haushalt von Walter Munder, dem stellvertretenden Kreisleiter der NSDAP in Herne, anzusehen. Dessen polnische Haushaltshilfe ist verschwunden, was erst mit zwei Tagen Verzögerung gemeldet worden ist. Ohne es zu ahnen, sticht Golsten mit seinen Befragungen in ein Wespennest. Und noch etwas ahnt Golsten nicht: Sein eigener Schwiegervater bietet in dem gemeinsamen Wohnhaus einem Juden Schutz vor den Nazis.

 

Herne im Ruhrpott, 1943. Die Zeiten haben sich geändert und aus Kommissar Peter Goldstein ist Hauptkommissar Peter Golsten geworden, angestellt bei der Bochumer Kriminalpolizei, SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt und befreit von dem anrüchigen, jüdisch klingenden Namen Goldstein. Er gilt als zuverlässiger Beamter, als einer, bei dem nicht mit Eigenmächtigkeiten und unvorhergesehenen Eskapaden zu rechnen ist.

SS-Mitglied ist er nur seiner Karriere zuliebe geworden, aber die versprochene Beförderung ist ausgeblieben. Golstens Schwiegervater dagegen ist als alter Sozialdemokrat nicht bereit, das Naziregime als gegeben hinzunehmen und opponiert auf der ganzen Linie dagegen. Anlaß genug für Auseinandersetzungen und dicke Luft in der Familie.

Als das polnische Dienstmädchen des stellvertretenden Kreisleiters der NSDAP in Herne spurlos verschwindet, wird Golsten beauftragt, den Fall zu untersuchen. Fast zeitgleich wird eine Babyleiche gefunden, ein weiterer Fall, der auf Golstens Tisch landet. Schließlich findet ein Flußschiffer auch die Leiche des polnischen Mädchens. Aber nachdem zunächst alle Ermittlungen ergebnislos verlaufen, kommt Golsten ganz langsam der Lösung näher. Nicht gerade zur Freude seines Vorgesetzten Saborski, der alles tut, um Golsten den Fall wieder aus der Hand zu nehmen. Saborski, Parteimitglied seit den frühen Zwanzigern und tief involviert in die braunen Netzwerke, ist ganz offenbar nicht daran gelegen, die wirklichen Täter zu finden. Golsten allerdings, trotz Parteimitgliedschaft und schwarzer Uniform doch der Wahrheit mehr verpflichtet als dem Naziklüngel, lässt sich nicht beirren. Auch ohne die Erlaubnis seines Vorgesetzten ermittelt er weiter und findet schließlich die wahren Täter. Eine Belohnung darf er dafür allerdings nicht erwarten...

Eine Zeitreise per Roman

Zweyer lässt in seinem Roman die Nazizeit auferstehen, lässt den Leser teilhaben an den großen und kleinen Sorgen der Menschen und führt ihn mitten hinein in die Machenschaften der Kriegsgewinnler und des Naziklüngels. Wer Franzosenliebchen gelesen hat, wird alte Bekannte wiedertreffen: Goldstein/Golsten, seine Ehefrau Liesbeth und seinen jetzigen Schwiegervater Hermann Treppmann, die Bewohner der Teutoburgia-Siedlung in Herne und auch Golstens unmittelbaren Vorgesetzten Saborski. Das Umfeld bleibt gleich, die Zeiten ändern sich. Der Leser kann miterleben, wie diese Menschen, die er in der Zeit der französischen Besetzung kennen lernte, jetzt unter ganz anderen Bedingungen agieren. Dabei verfügt der Autor über ein reiches Spektrum an Protagonisten. Dieses Spektrum reicht von den im Widerstand aktiven Edelweißpiraten und dem untergetauchten jüdischen Kommunisten über die kleinen Beamten bis hinein in die höheren Kreise der NSDAP und einen von der SS betriebenen Puff.

Und auch wenn die Handlung in Herne spielt, ist dies nur bedingt ein Ruhrpott-Krimi. Was der Autor schreibt, betrifft nicht nur den lokal begrenzten Bereich rund um Bochum und Herne - obwohl das Lokalkolorit hier eine wichtige Rolle spielt und den Roman sehr bereichert.

Zweyer hat die Zeit intensiv und verlässlich recherchiert, dies wird auf jeder Seite deutlich. Das betrifft nicht nur das Große und Ganze der Nazizeit. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die dem Leser deutlich vor Augen führen, wie das Leben ablief:

 

 

´Hast du schon mitbekommen, dass Dauerwellen verboten sind?'...'Vielleicht sind Dauerwellen kriegswichtig.' Marianne kicherte...
Liesbeth überlegte. ´Vielleicht werden die Chemikalien für was anderes benötigt?'
´Für die Wunderwaffen?' Marianne blickte skeptisch.
´Möglich.'
Marianne nahm erneut einen Schluck Muckefuck, verzog das Gesicht und meinte: ´Mag sein. Trotzdem, erst wurden Lippenstifte und Schminkutensilien verteufelt, dann gab es Kleider nur noch auf Karten, neue Schuhe sind gar nicht mehr erhältlich und jetzt wird die Dauerwelle verboten.'
´Wenn das mit den Bombenangriffen so weitergeht, werden Dauerwellen unser kleinstes Problem sein', flüsterte Liesbeth...

 

Jan Zweyer weiß genau, mit welchen Problemen sich der Schuster herumschlug, wie Hausfrauen versuchten, ein brauchbares Essen auf den Tisch zu kriegen und wer sich in diesen Kriegsjahren immer noch einen vollen Weinkeller leisten konnte. Zu einigen Punkten finden sich Nachbemerkungen im kurzen - aber lesenswerten! - Anhang.

Er braucht auch nicht viele Worte, um seine Protagonisten zu charakterisieren. Die Lebenssituationen, in denen sie vorgestellt werden und ihr Handeln sind Aussage genug. Er grenzt Gut und Böse scharf voneinander ab, einzig Peter Golsten darf bis zu einem gewissen Grad im Grenzbereich agieren. Dabei nimmt Zweyer dem Leser jede Hoffnung auf ein Happy-End. Er entlässt ihn viel mehr mit der Gewißheit, dass die Täter auch nach dem Krieg weiter Beute machen und ungestraft davon kommen werden. Diejenigen aber, die in die Mühle der Gestapo und des RSHA gerieten, die Widerständler und auch die Unschuldigen, erleben das Ende nicht mehr.

Dabei gerät der Kriminalfall nicht in den Hintergrund. Obwohl sich relativ schnell Zusammenhänge abzeichnen gibt es doch überraschende Wendungen. Der Leser hat Raum für eigene Vermutungen und kann Golsten zumindest in einem Punkt die Anerkennung nicht versagen: Der Mann ist wie ein Terrier! Hat er sich einmal festgebissen, dann will er auch das Ende wissen und ermittelt, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Was er dann damit anfängt, steht auf einem anderen Blatt Papier.

 

Späte Einsicht ohne Folgen

Peter Golsten ist dabei der Prototyp des deutschen Bürgers. Elastisch biegt er sich zurecht, um den Anforderungen der Zeit nachzukommen. Ein Sympathieträger ist er nicht, auch wenn er während des Romans seine Wahrheitsliebe über die Forderungen seines Vorgesetzten stellt und gegen Ende einfach die Schnauze voll hat:

 

 

Ihm reichte es grundsätzlich. Er hatte genug vom Sterben und der Angst, genug von diesen verlogenen Phrasen, vom Führergebrüll und dem Gerede vom Endsieg, genug von Deutschland und seinen Herrenmenschen, genug von Goldfasanen und ihren Familien.

Sein Schwiegervater hatte recht. Die Nazis waren nichts als eine Mörderbande. Im Kleinen wie im Großen.

 

Daß diese Erkenntnis reichlich spät kommt, hat Golsten wohl auch mit der Mehrheit der Deutschen gemein. Er versucht, sein Leben zu leben, mault über die ewigen Bohnen mit Speck, will keinen Streit mit seiner Frau, will irgendwie Karriere machen. Und wenn er dazu eine schwarze Uniform anziehen und eine Totenkopfmütze tragen muß, dann tut er das eben, der deutsche Michel.

Und so führt die späte Erkenntnis bei Golsten auch nicht zu Taten. Brav bleibt er in der Mühle, unterschreibt, was er unterschreiben soll und lügt. Belügt sich selbst, seine Familie, belügt Menschen, von denen er weiß dass sie todgeweiht sind. Und auch dies hebt Golsten nicht aus der Masse heraus.

Blick in den Spiegel

Goldfasan ist ein Buch, das den Leser durchaus in Konflikte mit dem eigenen Ich bringen könnte. Natürlich möchte jeder gerne für sich in Anspruch nehmen, dass er damals ganz anders gehandelt hätte. Aber hätten wir das wirklich? Hätten wir den Mut gehabt? Hätten wir durchschaut, was da gespielt wird? Ist Peter Goldstein/Golsten nicht einer von uns, einer wie wir?

Der Roman bietet eine gelungene Mischung aus Krimi und Geschichte, informativ, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend. Jan Zweyer führt uns zurück in Zeiten, in denen die Menschen Bewährungsproben erlebten und nicht alle haben sie bestanden. Dies zu lesen ist neben dem eigentlichen Kriminalfall ebenso spannend und fesselnd. Alle drei Bücher aus der Reihe gehören auf die "Must have"-Liste eingefleischter Histo-Fans.

 

Goldfasan

Jan Zweyer, Grafit

Goldfasan

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