Die andere Seite der Stille
- Osburg
- Erschienen: Januar 2008
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- Osburg, 2002, Titel: 'Anderkant die Stilte/ The Other Side of Silence', Originalausgabe
Gnadenlos, beklemmend und von rauer Eindringlichkeit
Kurzgefasst:
Nach Jahren der Erniedrigung und des Missbrauchs in einem Bremer Waisenhaus kehrt Hanna ihrer Heimat den Rücken und reist nach Deutsch-Südwestafrika, wo die Siedler nach deutschen Frauen verlangen. Doch statt Freiheit erfährt sie dort nur Gewalt und Verstümmelung, bis schließlich die Zeit der Vergeltung kommt.
Die junge Hanna wandert zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Deutsch-Südwestafrika aus. In ihrer Heimatstadt Bremen hält sie nichts, hier hat sie viele schlimme Jahre in der Obhut eines Waisenhauses gelebt. Der Traum vom Leben unter Palmen ist aber weit von der Realität entfernt, auf die Hanna in ihrer neuen Heimat trifft. Gewalt und Unterdrückung erwartet die Frauen, die mit so großer Hoffnung in die deutsche Kolonie gekommen sind. Als Hanna keinen Ehemann findet und in ein düsteres Haus am Rande der Wüste abgeschoben wird, wo sie für verkrachte Existenzen niedrigste sexuelle Dienste erbringen soll, beginnt sie, sich zu wehren. In den Einheimischen findet Hanna unerwartet Verbündete. Und so begibt sie sich auf einen Feldzug gegen die gewaltsamen Unterdrücker.
Brutale Wahrheit
Autor André Brink nimmt bei der Schilderung der Verhältnisse in der deutschen Kolonie kein Blatt vor den Mund. Emotionslos schildert er die Umstände, unter denen Hanna und ihre Kolleginnen leben müssen. Genau diese Distanz zum Geschehen ist es, die den Roman von André Brink zu einem eindrücklichen Zeugnis einer unrühmlichen Zeit machen. Er hebt weder einen Mahnfinger, noch setzt er auf besondere Effekte. Alleine seine Erzählungen reichen aus, um zunächst in einen Zustand von Hoffnungslosigkeit zu verfallen, um dann mit der Protagonistin Hanna zu reifen und schließlich eine kraftvolle Wut zu entwickeln. Der Autor hat es dabei nicht nötig, auf politische Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Er stellt die brutale Wahrheit ungeschminkt dar, lässt sie aber nicht als kollektive Verurteilung eines Volkes stehen, sondern schreibt sie gezielt den handelnden Individuen auf den Leib.
Anspruchsvolle Sprache
So intensiv und bewegend der Roman auch ist, leicht zu lesen ist er nicht. Das hängt nur zum Teil von der erzählten Geschichte ab, die das Potenzial hat, aufzuwühlen. Vielmehr ist der etwas umständliche, wenngleich passende Schreibstil des Autors, der den Lesefluss eher hemmt denn fördert. Zwar passt die Sprache hervorragend zum Roman in seiner ganzen Wucht, doch ermüdet sie schnell und lässt den Eindruck aufkommen, in zähem Morast zu versinken.
Ganz anders verhält es sich mit der Figurenzeichnung. Unerwartet feinfühlig geht André Brink hier zu Werk, obwohl auch hier nichts Beschönigendes einfließt. Hanna wird als eine junge Frau geschildert, die davon träumt, aus ihrem tristen Alltag in Bremen ausbrechen und in Südwestafrika ein neues Leben beginnen zu können. Die Leser erleben, wie die Träume in sich zusammenstürzen, als Hanna mit der Wirklichkeit konfrontiert wird. Aber sie erleben auch, wie die Frau anstatt daran zu zerbrechen an der rauen Wirklichkeit wächst. Hier ist nichts Gekünsteltes dabei - Hanna wird weder als naives Dummchen geschildert noch bekommt sie im Laufe der Geschichte einen Heldenstatus. Brink lässt sie sein, was sie ist: Eine starke Persönlichkeit, deren Leiden eine Grenze überschritten hat und die dadurch in der Lage ist, sich der Unterdrückung entgegen zu stellen. Anders übrigens, als manche Leidensgenossinnen von Hanna.
Beschönigende Darstellung?
Nicht ganz überzeugend ist André Brinks Darstellung der Einheimischen, die Hanna auf ihrem Rachefeldzug gegen die Unterdrücker unterstützen. Hier scheint, dass Brink von einem vorgefassten Bild "Weiß ist schlecht, schwarz ist gut" ausgeht. Bei den Einheimischen scheint Brink eine Art Weichzeichner zu verwenden - alle Menschen mit dunkler Hautfarbe verfügen über einen makellosen Charakter und bleiben dadurch an der Oberfläche stehen. Dies ist angesichts des ansonsten überzeugenden Romans außerordentlich schade.
Die andere Seite der Stille ist ein beklemmend ehrliches und aufrüttelndes Buch. Aber es ist keine Lektüre, die man sich mal eben auf den Nachttisch packt. Brink verlangt von den Lesern, sich mit der Geschichte zu befassen und auseinanderzusetzen. Nur dann vermag sich die Wucht des Romans richtig zu entfalten.
André Brink, Osburg
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