Die Capitana
- Insel
- Erschienen: Januar 2011
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- Insel, 2011, Titel: 'Mika Capitana', Originalausgabe
Romanbiografie über eine außergewöhnliche Frau
Kurzgefasst:
Im Sommer 1936 vibriert Madrid vor revolutionärer Glückserwartung; zugleich herrscht Angst vor dem, was der Putsch der rechten Militärs dem Land bringen wird. Die Straßen sind voller junger Menschen auf der Suche nach Waffen für den bevorstehenden Bürgerkrieg. Gemeinsam mit ihrem Mann Hipólito hat sich die argentinische Anarchistin Mika Etchebéhère dem bewaffneten Widerstand angeschlossen, um gegen Francos Truppen für eine gerechtere Welt zu kämpfen - so ungleich die Mittel auch sind. Ihre politische Überzeugtheit und ihre Liebe zu ihrem von Krankheit gezeichneten Mann haben Mika unversehens in den Krieg geführt. Als ein Schicksalsschlag ihren Lebenswillen zu erschüttern droht, sind es wieder die Ereignisse, die ihr die persönliche Trauer zu überwinden helfen, und Mika wird mit ihrer starken Ausstrahlung und ihrer Fähigkeit, Menschen zu begeistern, für die schlecht ausgerüsteten Milizen unentbehrlich. Sie ernennen sie zur Capitana, der einzigen Frau, die im Spanischen Bürgerkrieg eine Kolonne führt. Und während sie mit den unter ihrem Befehl stehenden jungen Männern und Frauen in den Schützengräben vor Madrid liegt und kämpft, wird ihnen von den moskauhörigen Kommunisten unterstellt, Feinde der Republik zu sein - ein weiteres Drama beginnt.
Die Studentin Mika Echebéhère schließt sich in Buenos Aires den Kommunisten an. Ihre kritische Haltung zu Stalin und der Politik der Internationale führt zu ihrem Ausschluss aus der Partei. Sie emigriert mit ihrem Mann 1931 nach Europa. Anfangs leben sie in Paris, dann in Berlin, wo sie den Wahlsieg Hitlers miterleben.
Kurz nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges gehen Mika und ihr Mann Hipólito nach Spanien, wo sie auf Seiten der Republikaner gegen die putschenden Faschisten kämpfen. Hipólito kommt bereits in einem der ersten Gefechte ums Leben. Mika will ihm folgen, zieht dann aber doch den nötigen Lebenswillen aus ihrer politischen Überzeugung. Ihre logistischen und strategischen Fähigkeiten führen dazu, dass sie schnell zur Capitana wird. Andrei Kozlov, ein sowjetischer Geheimagent, den Mika unter dem Namen Jan Well 1932 in Berlin kennen gelernt hat, wird für sie zur Bedrohung.
Eine tote Erzählerin
Micaela Feldman Etchebéhère, Mika genannt, wurde 1902 geboren und starb 1992. Sie war die einzige Bataillonskommandeurin während des Spanischen Bürgerkrieges. Mika war Anarchistin, Trotzkistin und Antifaschistin mit dem Glauben an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Sie heiratete Hipólito und wurde für sie überraschend Capitana in der "Partido Obrero de Unificación Marxista" (POUM). Voraussetzung dafür, dass ihre Untergebenen ihr folgten, war, dass sie von ihrem Frausein abstrahierte. In Osorios Roman heißt es deshalb auch: "Diese Frau ist wie ein Mann". Außerhalb Spaniens ist sie so gut wie unbekannt. Ihre Autobiografie La guerra mia wurde 1980 als La guerra mia. Eine Frau kämpft für Spanien übersetzt.
Die Romanbiografie Osorios umspannt die Zeit von der Emigration der Familie aus Odessa nach Argentinien über den Aufbau einer Existenz im Exil, die erneute Emigration, nun Mikas und Hipólitos nach Europa, die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges bis hin zum Tod Mikas 1992 in Paris. Mika erzählt aus der Perspektive einer alten Frau, die in einem Pariser Heim am Montparnasse lebt, im ehemaligen Zimmer des bereits verstorbenen Dramatikers Samuel Beckett. Im dritten Kapitel beginnt Mika mit der Aussage: "Guy Prévan schrieb nach meinem Tod...".
Eine lebende Biografin und Erzählerin
Die Capitana besteht aus drei Teilen. Jedes Kapitel beginnt mit einer Nummer, einer Orts- und Zeitangabe. Die Autorin erzeugt in den Überschriften eine Exaktheit in der Chronologie, die sie in der Anordnung der Kapitel auflöst, indem sie ständig zwischen Zeiten und Orten hin und her springt. Sie beginnt wie in einem Spannungsroman mit einem Teaser, beschreibt im ersten Kapitel eine Schlacht in Sigüenza, im September 1936. Zugleich macht sie bereits hier deutlich, dass sie etwas anderes vorhat: Osorio streut kursiv Fragen und Reflexionen Osorios ein.
In ihrer Romanbiografie verschränkt Elsa Osorio das Private mit dem Gesellschaftlichen, Fakten mit Subjektivem. Sie fragt, beschreibt, argumentiert, spekuliert und erzeugt ein sinnbestimmtes Individuum in dessen Zeit. Sie denkt schreibend über ihre Hauptfigur nach, setzt sich in wenigen Momenten mit dem Geschriebenen auseinander und macht deutlich, wie sie über ihr Sujet denkt, oder wie sie möchte, dass wir dieses Denken wahrnehmen sollen. Dies erinnert an Elisabeth Plessens Kohlhaas, wobei Osorio jedoch nicht mit deren Konsequenz vorgeht.
Osorio erzählt nicht linear, sondern folgt in der Montage ihres Textes der Logik einer wichtigen Entwicklung des Gegenwartsfilms. Sie wechselt häufig zwischen Geschehnissen und Schauplätzen, arbeitet mit Sprüngen durch das Raum-Zeit-Gefüge. Hinzu kommen Perspektivwechsel innerhalb eines Satzes, wie wir sie von Jaume Cabré kennen, der diese Form meisterhaft beherrscht.
Frei von Pathos konstruiert Osorio Erinnerung, die den Leserinnen und Lesern das Moment der Konstruktion nie aus dem Wahrnehmungsfeld geraten lässt und erzählt dabei die aufwühlende Geschichte einer außergewöhnlichen Frau.
Elsa Osorio, Insel
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