Der Librettist
- Osburg
- Erschienen: Januar 2011
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- Osburg, 2010, Titel: 'Månens anförvant', Originalausgabe
Der Verwandte des Mondes
Kurzgefasst:
Auf seinem Sterbebett erinner sich Lorenzo da Ponte (1749-1838). Er ist der Librettist der drei bekanntesten Opern Mozarts (Le nozze di Figaro, Don Giovanni, Cosi fan tutte), geborener Jude, geweihter katholischer Priester, verheiratet und Vater von mindestens sechs Kindern, Poet, Spieler und Abenteurer, Freund Giacomo Casanovas, Hofdichter in Wien, Theatermann und Buchdrucker in London, Kolonialwarenhändler und Weinbauer in Philadelphia, sowie der erste Professor für Italinisch an der Universität in New York.
Lorenzo da Ponte liegt im Sterbebett und erinnert sich an sein ausgefülltes Leben. Er ist 89 Jahre alt und als Librettist von drei Mozart-Opern zu Weltruhm gelangt, wenngleich er als Textdichter nicht so in Erinnerung ist wie der Komponist. Man schreibt das Jahr 1838, da Ponte lebt seit 35 Jahren in New York und schreibt einen bewegten Lebensbericht.
Geboren 1749 in Ceneda in Venetien als Sohn eines Gerbers, verlor er schon mit fünf Jahren seine Mutter. Sein Vater heiratete ein zweites Mal, was für Lorenzo zehn weitere Geschwister bedeutete. Gemeinsam mit zwei Brüdern vom Judentum zum Christentum konvertiert, zum Priester geweiht und trotzdem selbst geheiratet, lebt er ein unstetes Leben. Er ging nach Venedig und wurde wegen Ehebruchs für fünfzehn Jahre von dort verbannt und kam über Dresden 1781 nach Wien, wo er für zehn Jahre als Hofdichter für Opernlibretti zuständig war. So schrieb er Texte für seinen Befürworter Antonio Salieri, Vicente Martín y Soler und Wolfgang Amadeus Mozart, der ihn nachhaltig beeindruckte.
Über London, wo er seine spätere Frau Nancy kennerlernte und in Geldschwierigkeiten geriet, floh er letztlich vor seinen Gläubigern nach Amerika, wo er unter anderem Tabakhändler und Buchhändler war und sogar ab 1825 der erste Professor für italienische Literatur am Columbia College in New York wurde. Stets in Geldschwierigkeiten wurde er jedoch berühmt für seine Texte der Mozart-Opern "Le Nozze di Figaro", "Don Giovanni" und "Cosí fan tutte", die daher auch die drei Da Ponte-Opern genannt werden.
Ein Leben rückwärts erzählt
Der schwedische Autor Niklas Rådström nutzt für seinen biographischen Roman Der Librettist über das bewegte und bunte Leben von Lorenzo da Ponte einen geschickten Kniff, indem er ihn sein Leben aus der Ich-Perspektive und zugleich von hinten nach vorne, d.h. aus dem Sterbebett rückwärts bis tatsächlich zur Geburt erzählen lässt. Dieser interessanter Blickwinkel von der Altersweisheit rückblickend und sich das Leben immer zurückschachtelnd erinnernd, birgt zwar auch einige Gefahren, aber dennoch gelingt Rådström dadurch eine intensive Beschreibung der Lebensverhältnisse und Lebensumstände nicht nur da Pontes, sondern vor allem auch eine Entwicklung der Zeit und der Gesellschaft.
Diese Beschreibungen sind natürlich aus da Pontes Perspektive und damit bis zu einem gewissen Grad subjektiv, ergeben aber in der Summe ein stimmiges Bild der Zeit. Gerade aus den Teilen aus Wien, die man aus Erzählungen um Mozart kennt, kann man als Leser viele Stimmungen mitnehmen, vor allem aber auch die Lebensumstände der Menschen und der Atmosphäre an sich. Dagegen dürfte der Teil der Erzählung beispielsweise aus New York viele neue Einblicke bieten. Den Rahmen zu alle dem bildet dabei immer da Pontes Familiengeschichte, mit seinen vielen Kindern, aber auch mit zahlreichen Verlusten.
Da Ponte - Mozart - Casanova
Neben seiner eigenen Familiengeschichte tauchen zwei Namen immer wieder auf, die ihn durch sein ganzes Leben beschäftigen und begleiten: Wolfgang Amadeus Mozart und Giacomo Casanova, die er beide lange gekannt hat und mit denen er zusammengearbeitet hat. Dabei erinnert Casanova ihn immer wieder an seinen eigenen Lebenswandel, mit Frauengeschichten und unzähligen unehelichen Kindern, die gelegentlich irgendwo in die Welt gesetzt wurden, und Mozart, von da Ponte "Amadeo" genannt, steht für seine Kunst als Schreiber und für seine Liebe zu Literatur und Musik, die für ihn untrennbar miteinander verbunden sind.
Welche Bedeutung meine Dichtung auch hatte, sie entsprang nicht der Einzigartigkeit meiner Stimme, sondern aus der Fähigkeit, anderen zu dienen. Die Töne waren nicht da, um meine Zeilen hervorzuheben, ihnen Leben einzuhauchen, sie zu verstärken, sondern meine Worte dienten der Musik, wie der Mond der Sonne dient, und nicht umgekehrt. Amadeo und die anderen, weniger Glanzvollen, denen ich gedient habe, illuminieren die Welt und geben ihr Leben. Mein Licht ist erst zu sehen, wenn ihres im Schatten versunken ist und die Welt dunkel wird, dann kann mein schwacher Schein Wegweiser sein und vielleicht ein wenig Wärme spenden. Sie sind Verwandte der Sonne und der Sterne, ich bin ein Verwandter des Mondes.
"Der Verwandte des Mondes" ist mit "Månens anförvant" auch der wörtlich übersetzte schwedische Originaltitel des Romans und zeigt bereits das poetische Talent da Pontes. In seinen zehn Wiener Jahren hatte er es, inspiriert durch den Dichter Metastasio, zu einigem Ruhm gebracht, der sich allerdings leider nicht bis heute gehalten hat, jedenfalls nicht in dem Maße, wie er es damals tat.
Eine Chronik über fast 90 Jahre
Insgesamt bietet Niklas Rådström dem Leser in seinem fast 90 Jahre umspannenden Roman einen interessanten und intensiven Einblick in das ausgehende 18. und den Beginn des 19. Jahrhunderts und erzählt anhand seiner eigenen Familiengeschichte und durch viele kleine und auch größere Anekdoten sein Leben. Gespickt mit vielen Berühmtheiten, die hier wieder einen breiteren Öffentlichkeit aus der Versenkung geholt werden wie beispielsweise der Komponist Vicente Martín y Soler, und vielleicht ein paar kleinen Angebereien eilt er, abgesehen von seiner literarischen Phase, von einem Misserfolg zum nächsten und von einer finanziellen Krise in die andere, was mit Hauptgrund für seine zahlreichen Fluchten ist. Zu Beginn des Romans ist er alt und hat mit der Universitätsprofessur endlich Ruhe gefunden, und zum Ende des Romans wird er geboren und hat auch noch nichts schlimmes verbrochen, so dass dies einen versöhnlichen Rahmen für ein ereignisreiches Leben gibt.
Das Buch hat keinerlei Zugaben, aber wer sich tatsächlich für das Leben Lorenzo da Pontes interessiert, kann zusätzlich zu seiner tatsächlichen Autobiografie greifen oder sich seinen großen überlieferten Werken widmen und vielleicht mal wieder eine der drei Da Ponte-Opern von Mozart besuchen, denn leider werden die anderen so gut wie nie gespielt. Ein eindrücklicher Roman, nicht nur für Musikliebhaber, sondern auch für Chronisten der Zeit.
Niklas Rådström , Osburg
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