Das Blut von Magenza
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- Erschienen: Januar 2012
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- , 2012, Titel: 'Das Blut von Magenza', Originalausgabe
Deus lo vult!
Man schreibt das Jahr 1095 als Papst Urban II. alle Christen dazu aufruft, das Grab Jesu in Jerusalem aus den Händen der "Ungläubigen" zu befreien. Jedem, der an diesem Kreuzzug teilnimmt, verspricht er das ewige Himmelreich und den Erlaß aller Sünden. Tausende machen sich nun auf den Weg in den Osten. Noch bevor der eigentliche Kreuzzug beginnt, wälzt sich ein gewaltiger Menschenstrom durch Frankreich und Deutschland. Und warum warten, bis man ins Heilige Land kommt? Auch in den Ländern Europas gibt es Heiden, die es zuerst zu vertreiben gilt, die Juden zum Beispiel. Auf dem Weg dieses Stroms liegen auch die Städte Speyer, Worms und Mainz.
In Mainz glaubt die jüdische Gemeinde trotz eindringlicher Warnungen aus Rouen nicht daran, daß der Zug der Kreuzfahrer eine Bedrohung sein könnte. Die Gemeindeältesten verlassen sich auf den Schutz, den ihnen Heinrich IV. gewährte, und auf die Verpflichtung des Mainzer Bischofs, die Einwohner seiner Stadt vor Schaden zu bewahren.
Der Steinmetz Widukind jedoch schaut mit Sorge in die Zukunft. Ihm wird schnell klar, daß seine jüdische Nachbarin und ihre Familie in großer Gefahr sind. Auch der Mainzer Burghauptmann Gerhard zweifelt an der Loyalität des Bischofs gegenüber Kaiser und Stadt. Des Bischofs Kämmerer Embricho dagegen sieht eine Chance, große Reichtümer an sich zu bringen. Er ahnt nicht, daß sein Agent Hanno das falsche Spiel durchschaut. Zudem geht Embricho davon aus, daß Hanno eine willige Marionette in seinen Diensten ist, hat er den jungen Mann doch selbst einst aus der Gosse geholt und ihm ein anständiges Leben ermöglicht - so anständig, wie das Leben eines Agenten eben sein kann. Bischof Ruthard dagegen hofft immer noch, daß die Prüfung durch die Kreuzfahrer an ihm und an Mainz vorüber gehen wird. Mit den anstehenden Entscheidungen fühlt er sich überfordert.
Viele Schicksale laufen in Mainz zusammen, die unterschiedlichsten Träume, Wünsche und Hoffnungen. Und zu diesen Träumen und Hoffnungen gehören Menschen. Aber sie alle müssen eine schwere Prüfung bestehen, denn der Kreuzzug geht weiter und der Zug der bewaffneten Pilger wälzt sich unaufhaltsam den Rhein hinab, bis er vor den Mauern von Mainz eintrifft.
Das Vermächtnis von SchUM
Die Städte Speyer, Worms und Mainz mit ihren großen jüdischen Gemeinden waren im Mittelalter ein Zentrum jüdischer Kultur und Religion. Spira, Warmaisa und Magenza nannten die Juden ihre Heimatstädte, angelehnt an die früheren lateinischen Namen. Die jeweils ersten Buchstaben aller drei Städte zusammen gefügt, ergab sich das hebräische Wort Schum (Wobei das U sich aus dem Buchstaben Waw - für Warmaisa - ergibt, der im Hebräischen auch als u gelesen werden kann.). Schum bedeutet Knoblauch, und so wurde die Knoblauchknolle zum Sinnbild der Gemeinden von Speyer, Worms und Mainz. Mittlerweile wurde die Aufnahme der SchUM-Städte in die Liste des Weltkulturerbes beantragt.
Vor diesem beeindruckenden Hintergrund entwickelt Claudia Platz ihren Roman und bevölkert ihn mit einer Vielzahl an Protagonisten christlichen und jüdischen Glaubens. Dabei gelingt es ihr, das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Mainz sehr anschaulich darzustellen. Der Leser ist vielleicht erstaunt, daß hier keine Ghettokultur geschildert wird. Aber genau das ist ein Vermächtnis von SchUM. Bis zum Mittelalter, genauer: bis zur Zeit der Kreuzzüge, lebten Juden und Christen ohne Berührungsängste in den Städten miteinander. In den jüdischen Gemeinden von SchUM entstanden wichtige theologische Werke, gab es weithin bekannte Talmudschulen, unterrichteten weltberühmte Gelehrte. Es bestanden für Juden kaum Einschränkungen in der Wahl der Berufe. Der Kaiser selbst hatte die jüdischen Gemeinden unter seinen Schutz gestellt. Auch wenn SchUM keineswegs das Paradies war, so gab es hier doch vielfältige Beziehungen zwischen Christen und Juden, verkehrte man achtungsvoll und freundschaftlich miteinander, gehörten die jüdischen Gemeinden ganz selbstverständlich zu den Städten. Hier ist Claudia Platz mit ihren Nachforschungen ganz tief eingetaucht und wir verdanken ihr eine wirklichkeitsnahe Schilderung des damaligen Miteinanderlebens.
Erst mit den Kreuzzügen begann eine nachhaltige und immer intensiver werdende Unterdrückung, mit der eine Weiterentwicklung der jüdischen Gemeinden behindert und eine weitgehende Integration verhindert wurde. Claudia Platz zeigt in ihrem Roman einen Zustand, den sich viele Menschen heute kaum vorstellen können, denn das Bewußtsein der heute Lebenden assoziiert Judentum mit Ausgrenzung und Verfolgung. So ist heute auch kaum noch verstehbar, warum die Gemeinde von Magenza die Warnungen aus Rouen nicht ernst nahm. Der Autorin des Romans ist es jedoch wunderbar gelungen, die Haltung der Gemeindeältesten darzustellen, ihr Vertrauen auf den Kaiser und auf den Schutz des Bischofs. So werden für den Leser tragische Entscheidungen ebenso nachvollziehbar wie die Gründe für das Versagen der Schutzmechanismen. Von der Autorin wurde ganz offenbar eine enorme und umfangreiche Recherchearbeit geleistet und in einen detailfreudigen, lebensvollen und streckenweise hoch dramatischen Roman umgesetzt.
Spannender Mix aus Realität und Fiktion
Claudia Platz vereint in ihrem Roman historisch belegte und fiktive Protagonisten zu einem bunten und schillerndem Bild der Stadt Mainz und ihrer jüdischen Gemeinde Magenza. Dabei gelingt es ihr, im Bezug auf die historischen Personen mit der Gestaltung ihres Charakters erfreulich dicht an den überlieferten Fakten zu bleiben. Auch die fiktiven Protagonisten bevölkern lebendig und vielfältig die Seiten dieses Buches und werden geschickt in die reale Geschichte eingewoben. Allerdings ist mit Griseldis eine vielleicht doch etwas zu moderne junge Dame in das Geschehen geschlüpft, noch dazu eine, die durch ihre Auffälligkeit und ihren unkonventionellen Lebensstil für den ihr zugedachten Job eigentlich völlig untauglich ist. Inmitten der ansonsten eher vielschichtigen Charaktere und der nachvollziehbar gestalteten Konflikte kann der Leser eine Ausnahme wie Griseldis jedoch ganz gut verkraften. Zudem bekommen einige Figuren die Chance zur Veränderung und entwickeln im Verlauf der Handlung neue Sichtweisen und auch neue Charakterzüge. Das sorgt für zusätzliche Spannung und weckt das Interesse des Lesers. Sehr angenehm auch, daß niemand einfach nur fies oder bezaubernd ist. Das Personal in diesem Roman hat Ecken und Kanten. Viel Potential, das von Claudia Platz gut genutzt wird.
Die Autorin treibt die Handlung des Romans auf mehreren Ebenen voran, führt die einzelnen Handlungsstränge jedoch immer wieder zusammen, so daß man als Leser nie den roten Faden verliert und immer den Überblick über das Geschehen behält. Die Sprache ist klar und strukturiert, allerdings in den Dialogen oft sehr modern. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache.
Im Übrigen hat die Autorin nicht nur die geschichtlichen Ereignisse umfassend recherchiert. Auch ihre Schilderung des Lebens in der jüdischen Gemeinde, der Bräuche und Verhaltensregeln, ist verlässlich und korrekt. Dies dürfte vor allem für jene Leser eine angenehme Erfahrung sein, die mit den jüdischen Riten vertraut sind. Nur in den Anmerkungen der Autorin zum jüdischen Kalender hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Den Schaltmonat Adar eins gibt es nicht in jedem Sonnenjahr. Es gibt ihn in einigen speziellen, mathematisch bestimmten Jahren, um den jüdischen Kalender an das Sonnenjahr anzugleichen.
Unbedingt empfehlenswert
Der Leinpfad Verlag legt mit Das Blut von Magenza ein echtes Schwergewicht vor. Nicht nur, daß 610 Seiten ein dickes Buch ausmachen. Auch inhaltlich bringt der Roman eine Menge mit. Die Covergestaltung ist angenehm schlicht und erinnert an alte Chroniken. Alle Kapitel sind mit einer genauen Zeitangabe überschrieben, sowohl nach dem christlichen als auch nach dem jüdischen Kalender. Es gibt ein umfangreiches Personenverzeichnis, in dem fiktive und historische Personen deutlich erkennbar aufgelistet sind. Dazu kommen im Anhang die Anmerkungen der Autorin, welche hier ebenfalls zur Lektüre empfohlen werden.
Insgesamt ein spannendes und interessantes Buch zu einem wichtigen historischen Thema. So geschrieben, daß man sich gut in die Zeit hineinversetzen und mit den Protagonisten mitgehen kann. Und auch wenn es hier um die Gemeinde von Magenza geht, so ist es doch nicht einfach nur ein "regionales" Thema. Hier geht es um ein tragisches Kapitel in der deutschen Geschichte, das bisher nur selten literarisch bearbeitet wurde. Diesen Roman kann man wirklich nur empfehlen!
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