K

  • DVA
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • DVA, 2010, Titel: 'C', Originalausgabe
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Almut Oetjen
811001

Histo-Couch Rezension vonFeb 2012

Die Welt kalt und unsentimental beobachten

Kurzgefasst:

England, vor der Wende zum 20. Jahrhundert: Serge Karrefax kommt mit einer Glückshaube zur Welt, was dem Jungen eine außergewöhnliche Zukunft verheißt. Und tatsächlich, sein Leben spiegelt all die Wunder des soeben angebrochenen neuen Zeitalters. »K« steht für Kommunikation: Begeistert von der neuen Funktechnologie, verbringt Serge die Nächte mit der Suche nach Signalen im Äther. »K« steht für Krieg: Im Ersten Weltkrieg wird er als Funker eingezogen, und er liebt es, in seiner Flugmaschine, Kokain im Blut, Hölderlin auf den Lippen, über die Verwüstungen hinwegzufliegen. »K« steht aber auch für Krypta: Nach Séancen, Sex und Paranoia im Swinging London der Zwanziger verschlägt es Karrefax in das Ägypten Howard Carters. Bis sein Leben an jenem Tag, an dem er in eine der altägyptischen Grabkammern hinabsteigt, eine Wendung nimmt...

 

Serge Karrefax wird 1898 im südenglischen Anwesen Versoie geboren. Sein Vater arbeitet als Lehrer in einer Gehörlosenschule und ist ein Erfinder, der die Entwicklung der Elektronik voranbringt. Seine Mutter ist taub, war einmal Schülerin seines Vaters und fertigt Seide. Schon früh führen Serge und seine Schwester Sophie Experimente durch, basierend auf dem "Spielbuch der Wissenschaften". Während Sophie später am Imperial College Biologie studiert, beschäftigt sich Serge mit Funkgeräten. Er absolviert die Schule für Militärische Aeronautik und geht zur Air Force, die ihn im Ersten Weltkrieg als Aufklärer einsetzt, bis er in deutsche Gefangenschaft gerät. Nach dem Krieg studiert er Architektur und arbeitet in Ägypten für das britische Nachrichtenwesen.

Ein Liebling der literarischen Avantgarde

Tom McCarthy wird in Großbritannien gehandelt als Vorhut einer neuen Literatur. Sein dritter Roman K, im Original C, beginnt traditionell, wie eine viktorianische Geschichte: Der frisch zugelassene Arzt Dr. Learmont schaukelt auf seinem Einspänner seinem Ziel entgegen, dem Ort, an dem die Hauptfigur der Erzählung, der Engländer Serge Karrefax, geboren wird. Im weiteren Verlauf arbeitet sich die Geschichte aus dem Viktorianismus heraus in die Moderne, beschreibt Szenen aus dem Leben des jungen Serge in einer Zeit, die mit dem Aufkommen und der Blüte der literarischen Avantgarde zusammenfällt.

Wiederkehrende Motive

Als Serge mit 15 Jahren im Jahr 1913 nach Kloděbrady fährt, um ein Magenproblem zu kurieren, bezeichnet der Arzt die Krankheit als einen Prozess. Die Rhythmisierung erfolgt über einen (K wie) Kreislauf aus Einläufen und Hydrotherapie. Ein Einlauf wird nachvollziehbar beschrieben. Serges Sicht verschlechtert sich, er hat den Eindruck, durch Seide zu blicken. Beide Motive sind wiederkehrend in K, wie McCarthy überhaupt mit Wiederholungen, Variationen und Echos arbeitet.

Vier Kreisläufe

Das Buch ist in vier Teile gegliedert, in denen Serge vier wichtige Entwicklungen durchläuft: seine Kindheit und die Behandlung während einer schweren Erkrankung, den Ersten Weltkrieg, die Nachkriegszeit einer missbrauchten Generation, die sich in der Welt kaum mehr zurechtfindet, sich verausgabt in Sex und Drogenerlebnissen, sowie der Zeit in Alexandria, während der Serge mitarbeitet an den Grundlagen einer Welt der drahtlosen Informationsübertragung und mit der Welt des Übernatürlichen in Berührung kommt. Der Roman umspannt den Zeitraum von 1898-1922, wichtige Jahre in der Entwicklung weltumspannender Kommunikationsnetze.

Die vier Teile beginnen alle mit der Abbildung eines beinahe die (jeweils linke) Buchseite füllenden K, das von Mal zu Mal stärkere Auflösungserscheinungen zeigt. Die Teile tragen die Überschriften "Kappe", "Krieg", "Kollision" und "Kammer" - Begriffe, die für zentrale Ereignisse im jeweiligen Kapitel stehen. Die Kapitel folgen grob der Kreislauflogik aus Geburt, Tod und Wiedergeburt. Ein Erschießungskommando, ein Autounfall und eine Krypta sind wichtige Elemente dieser Logik.

McCarthy verschränkt in K die Moderne mit der Antike, den wachsenden Fortschrittsglauben mit der Sphäre des Spirituellen. Die Britische Luftwaffe, für die Serge Aufklärungsflüge durchführt, ist nicht als Bestandteil einer Kriegsmaschine inszeniert, sondern als ein Todeskult, der Serge die Erfahrung vermittelt, worum es tatsächlich geht - so abstrakt wie morbide im Roman formuliert.

Die Geschichte als Saatgut

Serge ist als Charakter völlig unterentwickelt und uninteressant. Es ist aber auch nicht seine Aufgabe, ein Charakter zu sein. Vielmehr ist er eine Wahrnehmungsinstanz. Er schaut auf das Leben und wichtige Entwicklungen der Zeit, emotionslos und auf eine nicht-betroffene Weise beschreibt er alles detailliert. An dieser Nicht-Betroffenheit ändert auch nichts, dass er während einer Beerdigung eine Erektion bekommt und einmal sagt, dass ihm der Krieg gefällt. Serge träumt Träume der Zukunft, von der Synthese des Fleisches mit Metall.

McCarthy hat zwar einen historischen Roman geschrieben, ist aber an der Historie weniger interessiert als daran, diese als das Saatgut dessen zu konstruieren, was wir heute ernten. Leserinnen und Leser, die etwas über das Innenleben von Figuren erfahren wollen, die auf der Suche nach Gefühlen sind, werden an diesem Roman wohl keine Freude haben, ihn kalt, spröde, sperrig finden.

Tom McCarthy hat mit K einen Bildungsroman geschrieben, dessen vielfältigen Bezügen und Verschlüsselungen man mit entsprechender Entdeckungsfreude nachspüren kann.

K

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