Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle
- Osburg
- Erschienen: Januar 2012
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- Osburg, 2012, Titel: 'Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle', Originalausgabe
Einmal in die Hölle und zurück
Am 18. Juni 2015 jährt sich die Schlacht von Waterloo zum 200. Mal, bei der der endgültige Untergang Napoleon Bonapartes besiegelt wurde. Doch der Beginn des Niedergangs liegt deutlich früher, bei dem katastrophalen Russlandfeldzug von 1812, der vermutlich mehr als 430.000 Soldaten das Leben kostete. Marc Fochler stellt diesen Feldzug in den Mittelpunkt seines Debütromans Gottesbeweis oder Pivous Abstieg in die Hölle.
Der aus dem Elsass stammende Polizeiagent Karl Pivou wird vom Pariser Polizeiminister Savary nach Russland zur Grande Armée geschickt, um den Mord an einem Tambour aufzuklären und einer Bande von Geldfälschern auf die Spur zu kommen. Diese Fälscher untergraben durch schlecht gemachte Fälschungen von Rubel-Assignaten das ohnehin schwache Vertrauen in das Papiergeld weiter und drohen somit die Finanzierung des Nachschubs zu gefährden, da Napoleon auf die Kooperationsbereitschaft einheimischer Händler angewiesen ist.
Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig, da Pivou erst einmal der Armee nachreisen muss, was alles andere als einfach ist, und weil eine Einmischung von Zivilisten in die Belange des Militärs überhaupt nicht gern gesehen wird. Zudem setzen die Fälscher selbst natürlich alles daran, ihr Geheimnis zu bewahren - egal was dafür nötig sein sollte. Während seiner Reise lernt Pivou den italienischen Adligen Christoph di Corvo kennen, der ein großer Kenner Dantes Göttlicher Komödie ist und glaubt, die darin enthaltende Veltro-Prophezeiung entschlüsselt zu haben und der Pivou (und damit den Leser) an seinen Erkenntnissen teilhaben lässt.
Viele Stränge, durchzogen von einigen Längen
Gottesbeweis ist alles andere als leichte Kost und das aus mehreren Gründen: Zum einen nimmt Fochler viele Fäden auf, die er zu einer Geschichte verweben möchte. Da sind zum einen die Geschehnisse rund um Pivou, die an sich schon recht komplex sind. Neben seinen Bemühungen, die Fälscherbande zu entlarven und den Mörder des Tambours zu finden, wird Pivou auch in den Feldzug mit hinein gezogen und spürt die Strapazen am eigenen Leib. Zudem lässt er sich auf tiefergehende Diskussionen mit Di Corvo über den Bau der Welt, das Erklärliche und das Unerklärliche, den Glauben und die Wissenschaft ein und mehr als einmal wird dabei sein Weltbild erschüttert.
Außerdem sind am Anfang eines jeden Kapitels Auszüge aus Dantes Leben eingestreut, die genau 500 Jahre vor der eigentlichen Geschichte spielen und in denen der Leser etwas über das Leben und Wirken des großen Dichters erfährt, die politische Situation, in der er gefangen ist, sowie über das Entstehen der Göttlichen Komödie. Den meisten Raum widmet Fochler aber dem Feldzug an sich, den Schwierigkeiten, vor denen Napoleon steht und an denen er scheitert, dem Hunger, der Kälte, dem Leid und den Schlachten.
Das sind viele Handlungen, die es zu verfolgen gilt und über die man als Leser den Überblick behalten muss. Dass das nicht immer ganz einfach ist, liegt auch an Fochlers ausführlicher und detailreicher Erzählweise. Er strafft selten, sondern führt seinem Leser vieles haarklein vor Augen. So beschreibt er beispielsweise immer wieder die Marschtage in allen Einzelheiten und das an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen, die sich in nichts Wesentlichem unterscheiden - und das trifft somit auch auf das Erzählte zu.
Es fordert an einigen Stellen schon Durchhaltevermögen, der Geschichte immer weiter zu folgen und nicht den Überblick zu verlieren. Es passiert öfter, dass plötzlich ein anderer Handlungsstrang in den Fokus rückt und man sich denkt "Ach ja, diesen Teil gibt es ja auch noch!" Dann muss man meistens kurz mit dem Lesen innehalten und sich überlegen, was beim letzten Mal passiert ist, als dieser Strang auftauchte, und wie es da endete.
Ungewöhnlich, teilweise schwierig und doch lohnenswert
Doch trotz dieser Längen und Ausführlichkeit lohnt sich der Roman. Pivous Jagd nach den Fälschern sowie seine Diskussionen mit Di Corvo über Die Göttliche Komödie und alles, was damit zusammenhängt, bringen Spannung und Philosophie in die Geschichte, doch der eigentliche Hauptdarsteller ist Napoleons Russlandfeldzug. Fochler schafft ein eindringliches, bedrückendes Portrait, das den Leser zwangsläufig gefangen nimmt und tief berührt. Es ist nicht immer leicht, in diese Abgründe zu blicken, vor allem die menschlichen, denn es kommt unweigerlich das Schlechteste im Menschen zum Vorschein in dieser Extremsituation und nur sehr selten das Beste. Fochler ist auch nicht gerade zimperlich was die Beschreibungen der Kämpfe, des Elends und der Leichenberge, die die Grande Armée säumen, betrifft. Die Analogie mit den Höllenkreisen der Göttlichen Komödie ist sehr interessant und Pivou steigt tatsächlich in die Hölle hinab - und der Leser mit ihm.
Gottesbeweis ist ein düsteres Buch mit wenig Hoffnung und Freude und trotzdem ein ungewöhnlicher Roman, der seine ganz eigene Faszination birgt und den Leser erreicht und mitreißt, wenn er sich darauf einlassen, deutliche Beschreibungen aushalten und die vorhanden Längen durchhalten kann. Eine ungewöhnliche Geschichte, die sich deutlich über den Durschnitt historischer Romane heraushebt.
Marc Fochler, Osburg
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