Engel der Rache
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2012
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- Gmeiner, 2012, Titel: 'Engel der Rache', Originalausgabe
Düstere Rachemorde im Mittelalter
Kurzgefasst:
Rothenburg ob der Tauber im Jahre 1418. Geheimnisvolle Vorfälle halten die Freie Reichsstadt in Atem. Am Anfang steht der Selbstmord einer 14-jährigen Färbertochter, deren eilig bestatteter Leichnam auf rätselhafte Weise verschwindet. Kurze Zeit später schlägt der Leichendieb erneut zu. Als dann auch noch die Frau des Baders tot aufgefunden wird, macht sich große Angst breit. Auf Bitten des örtlichen Franziskanerkonvents beginnt Bruder Hilpert von Maulbronn ein über die Grenzen seines Klosters hinaus bekannter Meisterdetektiv den mysteriösen Dingen auf den Grund zu gehen.
Rothenburg ob der Tauber, 1418: Nachdem Bruder Hilpert, Bibliothekarius des Klosters Maulbronn und immer wieder erfolgreich als Meisterdetektiv tätig, seinen vierten Fall gelöst hat, stellt ihn als Dank sein Abt bis Ostern frei. Die Zeit nutzt Bruder Hilpert, um seinen Freund, Vogt Berengar, und dessen Verlobte Irmingardis nach Rothenburg ob der Tauber zu begleiten. Irmingardis will ihre Tante Jutta, Priorin vom Orden der Dominikanerinnen, besuchen und Bruder Hilpert nutzt die Gelegenheit zum Wiedersehen mit seinem väterlichen Freund, Bruder Alban.
Zur gleichen Zeit sorgen mehrere rätselhafte Vorfälle in der Freien Reichsstadt für Aufruhr: Zunächst verschwindet der Leichnam einer vierzehnjährigen Färbertochter, die sich das Leben nahm, vom Schindanger. Wenig später verschwindet erneut ein Leichnam - diesmal allerdings direkt aus der Franziskanerkirche. Die Patriziertochter Egberta Tuchscherer war kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes verstorben und wurde anschließend in der Kirche aufgebahrt.
Schließlich geschieht ein mysteriöser Mord - die flatterhafte junge Frau des Baders, Violante Aschenbrenner, wird erwürgt aufgefunden. Auf Bruder Albans Bitten befasst sich Hilpert mit dem skandalösen Verschwinden des Leichnams aus der Kirche. Schon bald erkennt er Zusammenhänge zwischen allen Vorfällen und kommt brisanten Entwicklungen auf die Spur ...
Der Racheengel geht um
Erfolgreiche Privatdetektive müssen sich ihre Fälle nicht suchen, sondern stolpern geradewegs in sie hinein - dieses Prinzip gilt auch für Bruder Hilpert, der es in Engel der Rache mit seinem fünften Fall zu tun bekommt. Diesmal ist die Freie Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber Schauplatz der mörderischen Ereignisse, in die der Bibliothekarius mitsamt seinem Freund Berengar hineingezogen wird. Zum Lektüregenuss ist es nicht unbedingt notwendig, auch die vorherigen Bände der Reihe um Bruder Hilpert zu kennen. Die wichtigsten Fakten zu den Hauptfiguren erfährt der Leser am Anfang, sodass er sich gleich in der Handlung zurecht findet.
Alltag im Mittelalter
Von Anfang bis Ende werden die mittelalterlichen Gepflogenheiten sehr anschaulich dargestellt. Zahlreiche Fußnoten erläutern Begriffe, die heutigen Lesern nicht unbedingt so geläufig sind wie den Zeitgenossen des frühen 15. Jahrhunderts. Dazu gehören nicht nur Übersetzungen lateinischer Vokabeln und Fachtermini aus der Kirchenwelt, sondern auch etwa kurze Erklärungen zu den damaligen Finanzen, sodass der Leser ein klares Bild vom Wert des Geldes erhält. Der mittelalterliche Alltag ist sehr schön recherchiert, ohne dass diese Darstellungen jemals in trockene Dozieren verfallen. Egal ob es die Schankstuben sind, das Haus des Baders, das Leben der Trunkenbolde, der Dirnen oder der Kirchenleute, der Leser nimmt teil an ihrem alltäglichen Tun und ihrer Arbeit und erhält ein klares, vor allem nicht idealisiertes Bild vom Mittelalter mit all seinen schönen und weniger schönen Facetten. Eine gute Ergänzung bilden zudem eine historische Karte der Stadt, eine Auflistung der mitwirkenden Personen, der Jahreslöhne wichtiger Berufsgruppen und der damaligen Längenmaße - ein schöner Überblick, erst recht für alle Leser, die bisher wenig mit mittelalterlichen Werken zu tun hatten.
Mit dem zurückhaltenden und zugleich scharfsinnigen Bruder Hilpert sowie seinem Alter Ego Berengar gibt es zwei sympathische Hauptfiguren, die sich gut ergänzen. Bruder Hilpert ist trotz seiner Ausflüge in die kriminalistischen Gefilde ein überzeugender Geistlicher, der nicht aus der Rolle fällt. Der leutselige Berengar unterstützt ihn nicht nur durch Ermittlungen, sondern sorgt auch für die eine oder andere humorvolle Szene aufgrund seiner vorlauten Art. Eine reizvolle Nebenfigur ist Melusine, die Tochter des Baders, die sich heftige Wortgefechte mit ihrer kaum älteren Stiefmutter liefert und dem Leser durch ihr selbstbewusstes Auftreten gefällt - ohne, dass sie dabei zu modern und dadurch unrealistisch wirkt. Geklärt werden muss nicht nur, warum die Leichen verschwinden, sondern auch, warum die Frau des Baders umgebracht wurde und was es mit dem mysteriösen Tod von Egberta Tuchscherer auf sich hat, für den zunächst ihre Amme verantwortlich gemacht wird. Einen kleinen Teil der Auflösung ahnt der Leser frühzeitig, doch dann entpuppt sich die Lösung als weit vielschichtiger als gedacht. Alle Fäden der Handlung werden befriedigend zusammengeführt und offene Fragen beantwortet, der Epilog ist im Grunde einfach gestrickt und wirkt dennoch beim Leser nach.
Mehr Historienroman als Krimi
Ein bisschen Geduld müssen allerdings alle Leser aufbringen, die sich vorwiegend auf den kriminalistischen Teil des Romans freuen. Obwohl sich von Anfang an mysteriöse Dinge in Rothenburg ob der Tauber ereignen, braucht es geschlagene hundert Seiten, ergo ein Drittel des Romans, ehe Bruder Hilpert endlich in die Ermittlungen einsteigt. Dementsprechend schnell muss es dann in der zweiten Romanhälfte gehen und vor allem im letzten Drittel ergeben sich einige Ermittlungsansätze für Bruder Hilpert ein bisschen zu rasch. Neben Geduld braucht es auch eine Portion Aufmerksamkeit, vor allem am Anfang des Buches: Hier wechseln die Schauplätze häufig, viele Personen werden eingeführt, die vor allem teilweise noch etwas undurchsichtig sind. Der Stil ist grundsätzlich sehr flüssig, weder zu modern noch zu gestelzt und immer wieder mit zeitgenössischen Formulierungen durchsetzt, um die Authentizität zu erhöhen. Ab und zu stört die etwas gehäufte Verwendung von "welcher" als Relativpronomen, was sich auf Dauer ein bisschen steif liest. Dazu gibt es einzelne Formulierungen, die zwar teils amüsanten Charakter bei der Beschreibung von Charakteren haben, in der Fülle aber mitunter dick aufgetragen sind, etwa bei der "fleischgewordene(n) Heimsuchung namens Jutta".
Unterm Strich bleibt für den Leser ein gelungener Mittelalterroman aus der Bruder-Hilpert-Reihe. Der kriminalistische Teil kommt ein bisschen spät in Gang, auch wenn er seinen Reiz hat und für Spannung sorgt. Überzeugend sind vor allem die beiden Hauptfiguren und die vielen historischen Details, die den Alltag in Rothenburg ob der Tauber im frühen 15. Jahrhundert zu Leben erwecken.
Uwe Klausner, Gmeiner
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