Solang die Welt noch schläft
- List
- Erschienen: Januar 2012
- 6
- List, 2012, Titel: 'Solang die Welt noch schläft', Originalausgabe
Eine Ode an das Fahrrad
Kurzgefasst:
Berlin, um 1890. Josefine, Tochter eines Berliner Hufschmieds, lernt auf einer Reise in den Schwarzwald die gefährliche, für Frauen geradezu skandalöse Leidenschaft des Radfahrens kennen. Zurück in Berlin, riskiert sie dafür alles. Und sie verliert alles - ihre Familie, ihre Freundinnen und fast sich selbst. Doch Josefines Kämpferherz ist groß! Und die Liebe eines Mannes ermutigt sie, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Bei einem strapaziösen Radrennen will sie beweisen, was in ihr steckt. Am Ende erkennt sie, dass nicht der Sieg zählt, sondern ganz andere Werte: Freundschaft, Vertrauen und Liebe.
Dreieinhalb Jahre Gefängnis: Josefine muss einen Unfall mit dem Fahrrad teuer bezahlen. Die junge Berlinerin ist eine der ersten Frauen, die ihre Leidenschaft Fahrrad zu fahren, kaum zügeln kann. Die Tochter eines Hufschmieds hat aber noch eine andere Passion: Sie möchte Mechanikerin werden. Doch ebenso wie die Fahrt mit dem Fahrrad ist ihr als Frau die Mechaniker-Ausbildung verwehrt. Während sich Josefine ihren Weg bahnt, kämpfen ihre Freundinnen Clara und Isabelle mit ihren eigenen Problemen. Clara, die so gerne Medizin studiert hätte, muss sich dem Willen ihres Ehemanns beugen und ihre eigenen Ambitionen zurück stecken. Und die verwöhnte Tochter aus reichem Hause, Isabelle, soll einen Mann heiraten, den sie zwar achten aber nicht lieben kann. Denn Isabelles Leidenschaft gilt ebenso dem Fahrrad fahren, wie Josefines.
Drei Schicksale, eine Geschichte
Obwohl die drei Freundinnen jede für sich einen anderen Lebensweg einschlägt und sich mit ihren eigenen Problemen herumschlagen muss, gleicht sich das Schicksal der jungen Frauen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sie sind gesellschaftlichen Zwängen unterworfen und ihnen bleibt in vielen Bereichen die Selbstbestimmung verwehrt. Denn Frauen haben sich nach der Meinung der Gesellschaft den Männern unterzuordnen. In jeder Hinsicht. Wie ungehörig sind da in den Augen vieler die Wünsche nach Unabhängigkeit und Freiheit. Die Autorin Petra Durst-Benning greift den gesellschaftlichen Wandel, der sich 1890 bereits abzuzeichnen beginnt, auf und verknüpft die generelle Veränderung in der Denkweise mit der Entwicklung des Fahrrads. Wobei letzterer sehr viel Platz eingeräumt wird. So viel, dass Nicht-Fahrradfahrern denn doch etwas die Freude an der Lektüre getrübt werden könnte. Denn die Verbissenheit, mit der die jungen Frauen das Fahrradfahren praktizieren, ist nicht immer nachvollziehbar und wirkt mit der Zeit etwas aufgesetzt.
Lebendig erzählt
Grundsätzlich ist die Geschichte jedoch so lebendig erzählt, dass es ein Leichtes ist, sich Friedas Häuschen, die Stimmung auf der Rennbahn oder den düsteren Schlafsaal im Gefängnis vorzustellen. Mit der Lust an greifbaren Bildern geht Petra Durst-Benning hier ans Werk und präsentiert den Lesern ein wunderbares Gemälde von Berlin und seinen gesellschaftlichen Schichten. Mühelos arbeitet die Autorin die unterschiedlichen Stellungen der Protagonisten aus, zeigt Zusammenhänge auf und flicht die ersten Emanzipationsbemühungen der Frauen ein. So schafft Petra Durst-Benning es auch, die ganze Spannweite von eher politisch-femininen Themen bis hin zu den technischen Bereichen umzusetzen und damit eine breite Leserschaft anzusprechen. Dabei schafft sie es - mit wenigen Ausnahmen - die Balance zu halten und keinen der Bereiche überborden zu lassen.
Staunen und leer schlucken
Selbst jene Leser, die sich mit der Verbissenheit in Sachen Fahrradfahren nicht ganz identifizieren können, werden angesichts der Vorurteile und falschen Behauptungen von weiten Bevölkerungsschichten staunen. Denn Frauen, die sich aufs Fahrrad setzen, spielen nach Meinung der zeitgenössischen Mediziner mit ihrer Gesundheit und verhalten sich hochgradig unschicklich. Mit einem leisen Augenzwinkern erzählt die Autorin, mit welchen Schreckensszenarien die Gegner der weiblichen Auseinandersetzung mit dem Fahrrad aufwarten.
Petra Durst-Benning legt mit dem Auftakt-Roman zur Jahrhundertwind-Trilogie einen Roman vor, der gleichermaßen überrascht, unterhält und nachdenklich stimmt. Sie packt alles hinein, was für große Gefühle wichtig ist: Leidenschaft, Liebe, Mut und Neid. Dass da und dort den Charakteren Tiefe fehlt und sie einem etwas gar blassen Muster folgen, ist zwar bedauerlich, vermag aber dem eigentlichen Thema wenig anzuhaben. Die Autorin hat es verstanden, die gesellschaftliche Entwicklung des Jahrhundertwechsels einzufangen und ihr ein Gesicht zu geben. Da mag man einen Überschwang bei den Gefühlen und damit verbunden eine etwas einseitige Skizzierung der Figuren entschuldigen.
Gelungene Darstellung
Bei der Präsentation des Romans hat sich der Verlag eindeutig Mühe gegeben. Ein liebevoll gewähltes und in der Machart überzeugendes Cover mit haptischen Elementen lädt dazu ein, das Buch in die Hand zu nehmen. Und die auf der Innenseite der Buchdeckel abgedruckten Zitate aus der Zeit um die Jahrhundertwende lassen nicht nur Schmunzeln, sondern teilweise auch die Stirn runzeln und den Kopf schütteln. Grafische Darstellungen im Buch und einige höchst interessante Anmerkungen der Autorin zur geschichtlichen Entwicklung des Fahrrads runden den Roman ab.
Petra Durst-Benning, List
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