Kellerkind und Kaiserkrone
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2012
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- Gmeiner, 2012, Titel: 'Kellerkind und Kaiserkrone', Originalausgabe
Der Superman des 19. Jahrhunderts
Als im Jahr 1841 der kleine Bruno Kohler das Licht der Welt erblickt, ist er der ganze Stolz seiner Eltern und wächst geliebt und behütet auf. Doch diese glückliche Zeit ist schlagartig vorbei, als Brunos Vater im Zuge der Märzrevolution 1848 als Revolutionär hingerichtet wird. Fortan haben es der kleine Bruno und seine Mutter sehr schwer. Während die Mutter mit Heimarbeit einen kargen Lebensunterhalt verdient, ist der kleine Bruno als Revoluzzer-Kind ständigen Hänseleien und Repressalien ausgesetzt. Doch als er eines Tages dem Sohn des reichen jüdischen Kaufmanns Hirsch das Leben rettet, wendet sich sein Schicksal, denn Vater Hirsch wird fortan sein großzügiger Gönner. So ermöglicht Vater Hirsch Bruno nicht nur Schulbesuch und Jura-Studium, er ebnet ihm mit seinen Beziehungen auch den Weg in die höchsten wirtschaftlichen und politischen Kreise. Bruno ist der strahlende Überflieger, und als er dann auch noch auf heldenhafte Weise das Herz seiner Angebeteten gewinnt, ist das Märchen komplett.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer
Die Geschichte, die dem Leser hier erzählt wird, ist haarsträubend konstruiert und man mag sich fragen, welche Zielgruppe Verlag und Autor für diesen Roman im Auge haben; der mitdenkende Leser wird es wohl eher nicht sein. Sprachlich schlicht und am Mainstream orientiert, eignet sich dieser Roman allenfalls für Leser, die in erster Linie anspruchslose Unterhaltung und schnell konsumierbare Geschichten wollen und die auch nicht zwingend Wert auf schlüssige Handlungsabläufe oder ausgefeilte Charaktere legen.
Einem aufmerksamen Leser werden dagegen recht schnell die vielen inhaltlichen Ungereimtheiten und sprachlichen Anachronismen auffallen. Offensichtlich ist auch, dass sich die Kenntnisse des Autors in Bezug auf gesellschaftliche Gepflogenheiten und Etikette des 19. Jahrhunderts sowie auf das zu dieser Zeit sehr ausgeprägte hierarchische Denken in Grenzen halten. Wer hier ein Sittengemälde des 19. Jahrhunderts erwartet, wird enttäuscht sein. Der historische Hintergrund bleibt rudimentär und austauschbar und dient in erster Linie als Staffage für die Heldentaten des Protagonisten, historische Ungenauigkeiten inklusive. Eine Überdosis Heile Welt, jede Menge Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten, ein tiefer Griff in die Klischeekiste, wenig Realität und wenig Authentizität, das sind die Charaktereigenschaften dieses Romans.
Schablonenhafte Charaktere und ein Protagonist mit Heiligenschein
Ein weiterer Negativpunkt ist die Eindimensionalität in der Figurenzeichnung, es gibt nur die Guten und die Bösen, Schwarz und Weiß, und jede Seite wird dann auch mit den entsprechenden klischeehaften Attributen und Charaktereigenschaften versehen. Alle Figuren sind schablonenhaft bis karikativ, gleichgültig ob es sich dabei um fiktive Charaktere oder historische Persönlichkeiten handelt. Vielschichtigkeit und Tiefgründigkeit in der Charakterzeichnung sucht man bei allen Figuren vergebens.
Das größte Ärgernis ist aber der Protagonist selbst. Bruno ist der strahlende Held, dem alles in den Schoß fällt und dem jeder sofort zu Füßen liegt, er ist perfekt und fehlerfrei und damit als Hauptfigur unglaubwürdig. Es findet bei ihm im Laufe der Geschichte keine charakterliche Entwicklung oder persönliche Reife statt, denn Bruno ist von Anfang an unfehlbar. Das hält ihn aber auf der anderen Seite nicht davon ab, sich immer wieder unüberlegt in unnötige Lebensgefahr zu bringen, aus der ihn dann wieder andere erretten müssen.
Warum alle sofort von Bruno begeistert sind, warum einflussreiche Persönlichkeiten gleich beim ersten Aufeinandertreffen brisante politische Themen mit ihm diskutieren und warum angesehene und gesellschaftlich etablierte Väter sofort bereit sind, ihre einzigen Töchter einem armen Studenten wie Bruno anzuvertrauen, bleibt ein Geheimnis des Autors. Nur zur Erinnerung: Wir befinden uns im 19. Jahrhundert mit sehr rigiden Moralvorstellungen.
So beeindruckt Bruno selbst einen Staatsmann wie Bismarck gleich bei der ersten Begegnung mit seinem politischen Sachverstand und man fragt sich als Leser, wo der trotz aller Heldenhaftigkeit doch oftmals reichlich naiv wirkende Bruno diesen Sachverstand eigentlich her hat. Dabei sind diese Dialoge unterm Strich nichts weiter als Phrasendrescherei und oftmals unfreiwillig komisch.
Brunos gesellschaftlicher Aufstieg ist nicht sein eigener Verdienst, sondern hauptsächlich das Werk seiner großzügigen Gönner und Fürsprecher und das macht ihn als Held weder glaubwürdig noch sympathisch. Wie Bruno zu der stolzen Anzahl an Gönnern und Fürsprechern kommt, ist genauso abstrus und man kann den Autor zu seiner Fähigkeit, sich alles passend hinzubiegen, nur beglückwünschen. Dass dabei oft die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt, ist dann eher zweitrangig.
Schuster bleib bei deinen Leisten
So manchem Leser wird dieses Sprichwort in den Sinn kommen, wenn er sich tapfer durch diese abstruse Geschichte gekämpft hat. Dabei hätte das angedachte Sujet einer Coming-of-Age-Geschichte durchaus Potential gehabt. Schlussendlich möchte man dem Autor nur ans Herz legen, sich auf andere Talente und Stärken zu besinnen und das Schreiben von Romanen doch lieber denen zu überlassen, die ihr Handwerk verstehen.
Harald Görlich, Gmeiner
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