Der Duft von Seide
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- Erschienen: Januar 2012
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- , 2012, Titel: 'Der Duft von Seide', Originalausgabe
Eine Frauenliebe im 19. Jahrhundert
Was passiert, wenn sich zu einer Zeit, wo es gesellschaftlich nicht toleriert ist, zwei Frauen näher kommen? Autorin Stefanie Zesewitz setzt ihre Protagonistinnen Julia Norton und Camiel le Blanc Ende des 19. Jahrhunderts just dieser Frage aus. Julia lebt in einer unglücklichen Ehe mit einem wesentlich älteren Mann, der in seiner Frau primär die Mutter seiner künftigen Erben sieht. Mehrere Fehlgeburten haben Julia nicht nur körperlich, sondern auch geistig erschöpft. Längst hat sie für ihren Ehemann keine positiven Gefühle mehr übrig, denn er lässt Julia spüren, dass sie in dieser einen, für ihn wichtigen Aufgabe versagt hat. Ausgehungert an Liebe und Zuneigung zieht sich Julia ins Krankenbett zurück und quält sich nur dann auf, wenn sie gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen hat. An einem solchen Abend begegnet sie der frisch nach England zurückgekehrten Camiel le Blanc, einer Nichte von Freunden der Familie Norton. Die verunsicherte Julia fühlt sich von der selbstbewussten Camiel sofort angezogen. Camiel hingegen wird von Julias Verletzlichkeit berührt. Die beiden Frauen kommen sich freundschaftlich näher und beschließen, mehrere Wochen nach Bath zu reisen, um dort Julias Zustand zu verbessern. Im mondänen Badeort kommen sich Julia und Camiel näher, wohl wissend, dass ihre wachsende Liebe in der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, keinen Raum hat.
Folgerichtige Entwicklung
Es ist von Anfang an klar, dass sich das Frauen-Liebespaar Julia und Camiel entwickeln wird. Ob das auf die Spannung des Romans drückt, ist wohl eine Frage des persönlichen Geschmacks. Denn das Wissen darum, dass aus den beiden so ungleichen Frauen ein Liebespaar wird, lässt genügend Spielraum offen, um die Geschichte so zu erzählen, dass nicht alles vorhersehbar ist. Besonders die Frage, wie es nach einem Kuraufenthalt in Bath weitergehen soll, wo die beiden stehen und welchen Weg sie beschreiten werden, ist ein wesentlicher Faktor, der dem Roman durchaus Spannung zu verleihen vermag. Die Entwicklung, die die Geschichte nimmt, ist folgerichtig. Stefanie Zesewitz bereitet ihre Leserinnen auf die Begegnung und die gegenseitige Anziehungskraft ihrer Protagonistinnen vor. Sie zeichnet auf, wie Julia unter der gefühllosen Härte ihres Ehemanns leidet und langsam zerbricht. Sie zeigt die tiefe Einsamkeit von Camiel auf, die nach einem Bruch mit ihrer bisherigen Gefährtin auf der unbewussten Suche nach einer neuen Liebe ist. So ist es kaum erstaunlich, dass die beiden jungen Frauen den Weg zueinander finden.
Historie als wichtiger Faktor
Der Duft von Seide ist klar ein Liebesroman, auch wenn einer mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Der Verdacht, dass das ausgehende 19. Jahrhundert hier lediglich als nette Kulisse beigefügt wird, erhärtet sich aber keinesfalls. Die Historie ist bei diesem Roman ein wichtiger Faktor, zeigt die Geschichte doch auf, mit welchen Vorurteilen und mit welcher Ablehnung gleichgeschlechtliche Paare einst rechnen mussten. Julia macht im Laufe des Romans eine große Entwicklung durch. Sie verlässt grösstenteils die Rolle des hinnehmenden angepassten Mädchens und zeigt sich an der Seite von Camiel zunehmend kühn und entschlossen. Hier schießt Stefanie Zesewitz historisch allerdings etwas übers Ziel hinaus. Die in ihrer Zeit stark behaftete Julia macht eine etwas zu rasante persönliche Entwicklung durch, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte etwas erschüttert.
Nicht konsequent durchgehalten
Zu erkennen ist auch das Bemühen der Autorin, sich sprachlich auf die geschilderte Zeit einzulassen. Besonders in den Dialogen kommt die gesetzte Steifheit, wie sie für jene Zeit typisch war, zum Ausdruck. Allerdings leider nicht konsequent genug, um sie als Stilmittel würdigen zu können. Denn vor allem im Dialog miteinander bedienen sich die beiden jungen Frauen einer modernen Sprache und eines ebensolchen Verhaltens. In Bezug zu der eher schleppenden Sprache der anderen Dialoge wird der Bruch deutlich. Bedauerlich ist auch, dass Stefanie Zesewitz ihre Figuren etwas gar schnell die jeweiligen Hindernisse aus dem Weg räumen lässt. So kommt zwar die Geschichte voran, es will aber alles nicht ganz so recht zusammen passen.
Dennoch: Der Duft von Seide ist ein ungewöhnliches Leseerlebnis über gleichgeschlechtliche Liebe, das ohne Voyeurismus auskommt und einige grundsätzliche Fragen über die gesellschaftlichen Zwänge und Normen aufwirft.
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