Tod im Thiergarten
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- Erschienen: Januar 2011
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- , 2011, Titel: 'Tod im Thiergarten. Von Gontards zweiter Fall (1842)', Originalausgabe
Langatmig, weil lehrreich
Im Mai 1842 werden im Berliner Thiergarten die Leichen zweier junger Männer gefunden. Ludwig Dölau und Johann Kesselschläger haben sich ganz offensichtlich erhängt, zerfressen von Schuldgefühlen wegen begangener Schandtaten. Zu dumm nur, dass niemand weiss, welche Schandtaten das sein mögen, von denen beide in ihren Abschiedsbriefen schreiben. Und nur eins verbindet die beiden: Sie waren beide Zuträger des Staatlichen Sonderkommissariats, der politischen Polizei. Deren Chef, der Geheimrath Dr. Wiesenburg, ist sich sicher, dass nur die sogenannten Demagogen Dölau und Kesselschläger auf dem Gewissen haben können. Demagogen, das sind alle, die in irgendeiner Form das Bestehen der Monarchie gefährden könnten: Demokraten, Umstürzler, Anhänger des Bundes der Gerechten&
Mit Hilfe seiner zahlreichen Spione versucht Wiesenburg, jeden Anflug von eigenständigem Denken aufzudecken und im Keim zu ersticken. Insbesondere der Major Christian Philipp von Gontard scheint ihm ein recht subversives Subjekt zu sein, lehrt Gontard doch an der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule die kommende Generation das Kriegshandwerk, ist von Adel und verkehrt trotzdem mit suspekten Kreaturen in den literarischen Salons Berlins oder im bekannten Café Stehely. Und doch wendet sich Wiesenburg an Gontard, denn der Dozent ist bekannt für sein Interesse an Kriminalfällen und hat mit seinen logischen Schlussfolgerungen schon das eine oder andere Mal den schwerfälligen Criminal - Commissarius Werpel ausgestochen. Gontard allerdings fühlt sich mit seinem neuen Auftrag alles andere als wohl, ahnt er doch, dass dieser Auftrag ihn in Gewissenskonflikte stürzen könnte.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
Dieser historische Krimi führt seine Leser in eine nur scheinbar ruhige, prickelnde Zeit, in eine spannende Stadt, zu einem politisch brisanten Fall. Dies sind allerbeste Voraussetzungen für unterhaltsame Lesestunden. Allerdings hat Horst Bosetzky einige Hürden auf dem Weg zum gemütlichen Leseabend eingebaut. So nutzt er jede noch so kleine Chance, um historische Persönlichkeiten in den Roman einzuführen. Und es ist durchaus interessant zu erfahren, wer damals alles so durch Berlin streifte. Allerdings wird jede einzelne dieser Persönlichkeiten, selbst, wenn sie nur einen Kurzauftritt hat, mit mindestens einer halben Seite Text vorgestellt.
Im gesamten Roman wird der Leser mit Informationen geradezu überschüttet. Es sind so viele, dass sie sich wohl niemand merken kann. Immer muss es der ausführliche Lebenslauf mit umfangreicher Erwähnung aller Forschungserkenntnisse und Verdienste sein. Diverse Örtlichkeiten in Berlin erliegen dem gleichen Schicksal. Und wenn Gontards Freund Kahlbaum während einer Ausflugsfahrt nach Tegel eine Seite lang über die Geschichte des Örtchens Tegel doziert, dann wird der Krimi endgültig zum Lehrbuch und als lebensnahe Geschichte einfach unglaubwürdig. Auch das permanente Zitieren mehr oder weniger bekannter Schriftsteller während eines Gesprächs unter Freunden scheint nicht sehr realistisch zu sein. Vielmehr wirkt dieser Roman, als habe der Autor sich ein Katheder auf eine Bühne gesetzt und dort ein Lehrstück für Studenten des ersten Studienjahres inszeniert. So kann beim Lesen einfach nicht das Gefühl entstehen, mit diesem Roman in eine andere Zeit einzutauchen. Der Leser bleibt distanziert. Und das ist sehr schade, denn Horst Bosetzky vermittelt an vielen Stellen auch das Lebensgefühl der damaligen Zeit. Er kennt eben seine Berliner.
Ein Königreich für ein Glossar!
Verständlich, dass Horst Bosetzky seinen Lesern viele Informationen über Zeit und Leute geben möchte. Ganz sicher auch, dass der Autor ein hervorragender Kenner der Berliner Historie ist. Aber die Fülle an Informationen, das seitenlange Repetieren von Lebensläufen, stört den Lesefluss und lässt den Spannungsbogen immer wieder in sich zusammen fallen. Und so dümpelt der Krimi vor sich hin, scheint gelegentlich sogar ganz in Vergessenheit zu geraten, taucht dann plötzlich wieder auf und findet schließlich doch zum Ende. Das ist ausgesprochen schade, denn der Autor bietet interessante Protagonisten, viel Berliner Atmosphäre und reiche Sachkenntnis. Man ist versucht, beim Lesen: Ein Königreich für ein Glossar!, zu rufen. All die vielen Informationen nicht in den Text, sondern in einen Anhang gesteckt, jederzeit für die Leser abrufbar, das hätte diesem Krimi gut getan.
Der Detektiv dieser Reihe, Christian Philipp von Gontard, nimmt mit diesem, seinem zweiten, Fall, ein wenig mehr Format an, wirkt nicht mehr ganz so unbedarft wie im ersten Band der Reihe. Das ist erfreulich und es bleibt zu hoffen, dass auch andere Protagonisten wie Friedrich Kussmaul oder evtl. auch Gontards Ehefrau Henriette, im Verlauf der Reihe ein wenig greifbarer werden.
Ein tolles Projekt
Mit der Reihe Es geschah in Preussen hat der Jaron Verlag ein wunderbares Projekt gestartet. Mit dem HistoKrimi bekommt der Leser die Möglichkeit, einen Blick auf Berlin im 19. Jahrhundert zu werfen. Wichtige politische Ereignisse und wissenschaftliche Entdeckungen spielen in den Krimis eine Rolle. Toll wäre, wenn die Bücher mit einer Karte ausgestattet wären, denn die Reihe setzt sich über mehrere Jahre fort. Mit einer Karte in jedem Buch könnte man die Stadtentwicklung Berlins sehr genau erkennen, könnte als ortsunkundiger Leser aber auch den Protagonisten auf ihren Wegen viel besser folgen.
Tod im Thiergarten ist ein Muss für alle Berlin-Fans, so, wie die ganze Reihe Es geschah in Preussen. Und auch, wenn der Krimi hier ein wenig zu kurz kommt, der Roman bietet Informationen in Hülle und Fülle, ist hervorragend recherchiert und vermittelt Berliner Flair.
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