Das Mädchen von Ravensbrück

  • Braumüller
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • Braumüller, 2012, Titel: 'Das Mädchen von Ravensbrück', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
911001

Histo-Couch Rezension vonApr 2012

Bedrückendes Portrait einer KZ-Insassin

Kurzgefasst:

1934. In Wien herrscht Bürgerkrieg: Straßensperren, Schüsse, Todesgefahr. Doch mittendrin geht die achtjährige Leni ruhig an den Panzern vorbei, in den Händen eine schwere Milchkanne mit Suppe und Knödeln für die Kämpfer. Die Mutter hat sie geschickt, im Auftrag der Roten Hilfe. Niemand hält sie auf. Mit 16 wird Leni verraten und verhaftet. Nur ihre Jugend rettet sie vor dem Schafott. Sie überlebt das Konzentrationslager Ravensbrück und kehrt in ihre Heimatstadt zurück, wo es den Leuten nicht gut gegangen ist, wo keiner hören will, was in den KZs geschah, so wie sie vorher nicht sehen wollten, welche Untaten die Nazis vor aller Augen begingen.

 

Die Wienerin Leni wächst in einer Familie heran, die sich dem heimlichen Widerstand gegen die Nazis verschrieben hat. Der Vater wird zur Front eingezogen, die Mutter stirbt, als Leni 15 Jahre alt ist. Das Mädchen will die Arbeit ihrer Mutter weiterführen und setzt sich im Verborgenen für die Rote Hilfe ein. Da wird sie an die Gestapo verraten. Im Gefängnis erlebt sie die Willkür der Gestapo. Nur ihr junges Alter bewahrt sie vor dem Tod - doch Leni wird ins KZ Ravensbrück geschickt. Dort lernt die junge Wienerin zu überleben, doch die harten Jahre zollen ihren Tribut. Als sie nach Kriegsende nach Wien zurück kehrt, stößt sie an ihre Grenzen. Doch da ist der Widerstandskämpfer Viktor. Und Leni ahnt, dass es auch für sie eine Zukunft gibt.

Keine leichte Lektüre

Was Susanne Ayoub hier in einer Kurzfassung auf gerade mal etwas mehr als 250 Seiten präsentiert, ist alles andere als leichte Lektüre. Zwar versieht sie die junge Leni mit einer immensen mentalen Kraft, die dazu beiträgt, dass sie die Jahre in Haft übersteht, doch schildert die Autorin die Verhältnisse in den letzten Jahren des Krieges in einer ungeschminkten Art, die die Leser sehr nahe an die Gräuel des Krieges und insbesondere der KZs heranführt. Leni wird dabei nicht zur Superheldin aufgebauscht. Vielmehr ist es eine Mischung aus Glück und eigener Stärke, die die junge Frau davor bewahrt, unterzugehen. Dennoch trägt die Wienerin mit ungarischen Wurzeln starke seelische Wunden davon, die auch nach Kriegsende das Leben der jungen Frau bestimmen. Hier zeigt sich, dass die Autorin sich intensiv mit der psychischen Verfassung der KZ-Opfer auseinander gesetzt hat. Sehr schön geht Ayoub auch auf die Nachkriegssituation in Wien ein: Sie lässt die Bevölkerung ihre eigene Optik darstellen und zeigt die Diskrepanz der allgemeinen Ansicht zu den tatsächlichen Begebenheiten auf. Anhand des Wiederaufbaus stellt die Autorin die Folgen der konsequenten Demagogie auf, der die Wiener Bevölkerung jahrelang ausgesetzt war. Einzig die fast liebevolle Schilderung der russischen Besetzungsmacht lässt Zweifel an der Distanz der Autorin zu den einzelnen Beteiligten aufkommen.

Knappe Sprache

Ayoub bedient sich einer sehr trockenen, knappen Sprache, die schnell auf den Punkt kommt. Dadurch vermag sie es, die allgemeine Kriegsstimmung sehr gut wiederzugeben und dem Leser den Eindruck zu vermitteln, das Geschehen aus nächster Nähe mitzuerleben. Sowohl die drastischen Foltermethoden als auch die Hoffnungslosigkeit der zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer und anderen Systemkritiker lassen den Leser in einer fatalen Stimmung zurück. Durch die unprätentiöse Schilderung kommt das Geschehen sehr nahe. Weil Leni weder überzeichnet noch mit Superhelden-Qualitäten ausgestattet ist, ist es auch nicht möglich, die eigene Betroffenheit auf die Protagonistin zu schieben und ihr sozusagen den Auftrag zu erteilen, alles zum Guten zu wenden. Susanne Ayoub zwingt ihr Publikum dazu, sich mit den Kriegsgräueln auseinander zu setzen und einen näheren Blick auf die Gesellschaft zu werfen, die selbst nach der Befreiung nicht bereit ist, die Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Hier legt die Autorin ihren Finger auf eine offene Wunde.

Ein Glossar wäre fein

Da sich Lenis Leben hauptsächlich im Kreise von Österreichern bewegt, kommen hier auch viele Ausdrücke vor, die von der deutschen Sprache abweichen. Wer sich mit den Gepflogenheiten der Wiener Gesellschaft und den landestypischen Idiomen nicht auskennt, wird nicht alles verstehen. Hier wäre ein Glossar für das Publikum außerhalb Ostösterreichs hilfreich. Das Fehlen eines solchen Glossars ist allerdings angesichts des starken Romans und der berührenden Geschichte Lenis lediglich ein kleiner Schönheitsfehler.

Wer bereit ist, sich auf die bedrückende Geschichte über eine junge Frau im Konzentrationslager einzulassen, findet mit Das Mädchen aus Ravensbrück eine hochkarätige Lektüre. Susanne Ayoub gibt mit diesem Buch den nichtjüdischen Menschen, die aufgrund ihrer Gesinnung im KZ landeten, ein Gesicht.

Das Mädchen von Ravensbrück

Susanne Ayoub, Braumüller

Das Mädchen von Ravensbrück

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