Der Kuss des Feindes
- Fischer
- Erschienen: Januar 2012
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- Fischer, 2012, Titel: 'Der Kuss des Feindes', Originalausgabe
Liebe überwindet Glaubensgrenze
Kurzgefasst:
Kappadokien um 800 n. Chr.: Über zehntausend Menschen leben in der geheimen unterirdischen Stadt Korama. Es sind Christen. Sie haben hier Zuflucht gefunden vor den Arabern, die das Land erobert haben. Arif, der Sohn eines arabischen Hauptmanns, entdeckt bei einem Streifzug das Christenmädchen Savina und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Unbemerkt folgt er ihr und entdeckt so den geheimen Zugang in das Höhlensystem der Christen. Eigentlich müsste Arif seinem Vater melden, dass er die Stadt der Christen entdeckt hat.
Savina und Arif dürften sich nie begegnen: Sie ist eine Christin, er ein Moslem. In dieser Zeit - 800 n.Chr. - müssen sich die Christen in Kappadokien vor den Arabischen Belagerern verstecken. Denn diese wollen die Ungläubigen endgültig vernichten. Nur dass die Belagerer die Christen nicht finden können. Über 10.000 Menschen verstecken sich in Höhlen im unwegsamen Gebirge. Die junge Savina sehnt sich jedoch nach Luft und Licht und schleicht sich heimlich an die Oberfläche. Dort entdeckt sie Arif, der sich von seinem Stamm abgesetzt hat, um seinen Mut zu beweisen, indem er den schmutzigen Ungläubigen auf die Spur kommt. Nach anfänglichem Zögern lassen die beiden jungen Menschen zu, dass sie sich näher kennen lernen - und dadurch erkennen können, dass vieles nicht stimmt, was über die Menschen des anderen Glaubens erzählt wird. Doch noch bevor sie ihre Freundschaft vertiefen können, stehen sie plötzlich in zwei verschiedenen Lagern, die sich bereit machen für den letzten, vernichtenden Kampf.
Plädoyer für Toleranz
Savina und Arif, die beiden Helden des Romans, sind das, was man heute als Teenager bezeichnet. Sie stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie haben die Werte ihrer Gesellschaft übernommen, ohne sie zu hinterfragen und müssen nun erkennen, dass es nicht ganz so schwarz und weiß ist, wie sie geglaubt haben. Die beiden Jugendlichen begegnen einander in einer neugierigen Offenheit und sind nach kurzer Zeit bereit, Toleranz gegenüber der fremden Kultur zu üben. Die Wahl der jungen Protagonisten kommt nicht von ungefähr. Titus Müller hat mit "Der Kuss des Feindes" ein klassisches Jugendbuch geschrieben. Allerdings eines, das den erwachsenen Leserinnen und Lesern genau so viel zu erzählen hat, wie den Jüngeren.
Interessante Epoche
Ins Zentrum des Romans rückt Müller die unterirdischen Städte in Kappadokien. Was zunächst den Anschein macht, ein reines Fantasy-Element zu sein, stellt sich bei näherer Betrachtung als höchst interessante Schilderung eines hierzulande nur wenig bekannten Umstandes heraus. Die unterirdischen Städte, in die sich die christlichen Bergbewohner bei aufkommender Gefahr flüchteten, gab es tatsächlich. In einem kurzen Abschnitt zum Ende des Buches schildert Autor Titus Müller den wahren Sachverhalt - und öffnet dabei die Türen zu einem unbekannten und faszinierenden Reich. Über diese unterirdischen Städte möchte man gerne mehr erfahren. Dies besonders, nachdem der Autor im Verlauf seiner Geschichte mehr und mehr Details schildert, die staunen lassen. Die Rede ist von mehrere Stockwerken, von unterirdischen Ställen, Kirchen und Friedhöfen, von Straßen und Gassen: Es ist, als würde sich das Leben im Berg genauso abspielen, wie oberirdisch. Nur ohne Sonnenlicht und offenen Himmel.
Mobbing und Machtstreben
Sehr schön arbeitet Titus Müller auch die diffizilen Gefüge in den beiden Gemeinschaften heraus. Zum einen ist es bei den Arabern der Wunsch, als großer Anführer an die Spitze einer Gemeinschaft zu kommen und dort als Machthaber das Schicksal der ganzen Gemeinschaft zu bestimmen. Die Rede ist aber auch von gezielter Ausgrenzung des Schwächeren, von Mobbing und einer tiefen Verbundenheit zwischen einem Bruder ohne und einem Bruder mit geistiger Behinderung. Titus Müller geht hier keineswegs zu weit: Der Behinderte ist das schwächste Glied in der Kette, wird aber vom Autor nicht zum ewigen Opfer stilisiert. Zwar wird der Junge nicht als Gewinn für die Gemeinschaft anerkannt und muss sich deshalb auch von vielen eine schlechte Behandlung gefallen lassen, er erhält sich aber sein Staunen und die Bereitschaft, anderen Menschen mit Offenheit zu begegnen.
Andererseits sind es die starren Strukturen, nach denen die Menschen im Berg leben, die dem Roman ihren Stempel aufdrücken. Ebenso wenig wie die Belagerer sind die Belagerten bereit, sich einem fortschrittlichen Geist zu öffnen. Sichtbar wird dies anhand des Weisen Onnophrios, der die Gefahr erkennt und - anders als in vergangenen Zeiten - zur Flucht statt zum Kampf rät. Der alte Mann wird von den kampfbereiten Menschen ausgelacht und ignoriert, ist es dann aber, der sich in der höchsten Not dem Feind entgegen stellt.
Kurze Sequenz
Dieser historische "Jugend"-Roman vermag mit einer spannenden Geschichte ebenso zu überzeugen, wie mit starken Charakteren und einem faszinierenden Hintergrund. Dass er mit knapp 280 Seiten recht kurz geraten ist, liegt am Umstand, dass er sich auch an ein jugendliches Publikum wendet, das in der Regel weniger gern zu üppigen Werken greift. Auf jeden Fall aber möchte man mehr über das Leben in den unterirdischen Städten erfahren. So bleibt zu hoffen, dass sich der Autor nicht gleich wieder von diesem Thema abwendet, sondern ihm auch in einem klassischen historischen Roman Raum gibt.
Wie auch immer: Der Kuss des Feindes ist ein gelungener historischer Roman für Jugendliche und Erwachsene, mit feiner Feder geschrieben und überzeugend aufgebaut.
Titus Müller, Fischer
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