Der Leichensammler
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2012
- 1
- Goldmann, 2011, Titel: 'Devoured', Originalausgabe
Ein Forensiker ermittelt im düsteren London
Kurzgefasst:
London 1856: Professor Adolphus Hatton befindet sich in seinem rechtsmedizinischen Labor, als er von Inspector Adams von Scotland Yard zu einem Tatort gerufen wird. In einem Haus, das mit exotischen Sammlerstücken vollgestopft ist, liegt die ermordete Lady Bessingham. Die junge Mäzenin führte einen Salon, in dem sich Künstler, Dichter und Wissenschaftler trafen. Schon bald wird Hatton und Adams klar, dass sie es mit einem komplizierten Fall zu tun haben, der auf perfide Weise mit Lady Bessinghams Sammelleidenschaft zusammenhängt...
London im Jahr 1856: Der Chirurg Adolphus Hatton wird von Inspector Adams von Scotland Yard zu einem Tatort gerufen. Lady Bessingham liegt erschlagen in ihrem Arbeitszimmer, auf den Täter gibt es zunächst keine Hinweise und ein reiner Raubüberfall ist auszuschließen. Der Fall ist brisant, denn die Ermordete war nicht nur eine Dame der adligen Gesellschaft, sondern auch als Mäzenin der Wissenschaften populär.
Es stellt sich heraus, dass offenbar die Briefe gestohlen wurden, die der junge Benjamin Broderig von seinen Forschungsreisen an seine Gönnerin Lady Bessingham geschrieben hat. Zudem ist das Dienstmädchen Flora verschwunden, das eine recht enge Beziehung zu seiner Herrin gehabt haben soll.
Zur gleichen Zeit tauchen in London die Leichen von etwa zwölfjährigen Mädchen auf. Von einem der Opfer führt eine Spur zu einem Buchhändler, der ebenfalls ermordet aufgefunden wird. Obendrein ist der Tote auf groteske Weise zugerichtet. Es folgen noch weitere Leichen - geht ein Serienmörder um... ?
Über den Aufbruch der Forensik
Mit Der Leichensammler startet Denise Ellen Meredith ihre Serie um den Forensiker Adolphus Hatton - ein bisschen holprig zwar, aber nicht uninteressant. Mitte des 19. Jahrhunderts steckt die Forensik noch in den Kinderschuhen. Das Sezieren von Leichen ist zwar seit nunmehr knapp zwanzig Jahren legal, wird aber immer noch kritisch beäugt. Adolphus Hatton ist gemeinsam mit seinem französischen Assistenten Albert Roumande ein engagierter Vertreter dieser neuen Zunft, doch ihnen schlägt immer wieder Misstrauen entgegen und es ist alles andere als leicht, Fördermittel für neue Gerätschaften zu erstehen. Der Roman versteht es gut, die Zeitumstände anschaulich zu vermitteln und Einblicke in die medizinische Arbeit zu gewähren. Der Titel mag zwar eklige Assoziationen hervorrufen, doch tatsächlich gibt es kaum wirklich explizite Szenen und selbst die Leichenfunde werden nicht plakativ geschildert. Einen blutigen Horrorroman, wie der Titel womöglich suggerieren mag, findet man hier wahrlich nicht. Darüber hinaus gibt es interessante Details zu den gegensätzlichen Lebensbedingungen der armen Bevölkerung und der vornehmen Oberschicht. Schonungslos werden die düsteren Seiten jener Epoche dargelegt - von der bitteren Armut und dem Schicksal blutjunger Prostituierten über Korruption und Menschenhandel bis hin zum Zusammenprall von Darwinismus-Theorien und kirchlichen Theorien und den teils fragwürdigen Ermittlungsmethoden der Polizei.
Ausbaufähige Charaktere
Was Charaktere und die Kriminalhandlung angeht, lässt der Roman allerdings einiges an Potential ungenutzt. Grundsätzlich ist Adolphus Hatton keine uninteressante Figur: Hatton ist der ehrgeizige und disziplinierte Mediziner, dessen Privatleben deutlich hintenan steht. Eine Frau gibt es in seinem Leben nicht, sein Assistent ist zugleich sein engster Freund und selbst bei seiner geliebten Schwester meldet er sich nur selten. Hatton als nicht einfacher, aber auch nicht unsympathischer Charakter, dessen Arbeit im Vordergrund steht - das ist einerseits besser, als sein Privatleben ausufernd zu thematisieren, doch in Zukunft wird man hoffentlich ein bisschen mehr über diese andere Seite erfahren. Albert Roumande bleibt recht blass, obwohl er mit seiner leicht exzentrischen Art ein reizvoller Charakter sein könnte. Roumande hat teilweise recht eigenwillige Ansichten, die er offen äußert; durch das ganze Buch zieht sich sein emsiges Bemühen um neue Gerätschaften, für die er Unmengen von Briefen an alle möglichen Geldgeber in London schreibt. Auch sein Einsatz für die unbekannten ermordeten Mädchen ist generell einnehmend, allerdings wirkt Roumande hin und wieder auch ein bisschen moralinsauer.
Eine gelungene Figur ist Benjamin Broderig - immer wieder werden seine Briefe an Lady Bessingham zwischengeschoben, die von seinen teils erschreckenden und teils bewegenden Expeditionen im Urwald erzählen. Hatton empfindet ihn schon bald als klugen Freund, doch andererseits ist sein Verhalten auch verdächtig und sein Verhältnis zur verstorbenen Lady offenbar weitaus komplexer als zunächst angenommen. Enttäuschend ist dagegen Arnold Ashby, der kriecherische Sekretär des Dukes of Monreith, der anfangs ein vielversprechender Charakter zu sein scheint und dessen Rolle dann recht belanglos versandet.
Luft nach oben
Die Krimihandlung hat ihren Reiz und Täter wie auch Motive werden nicht zu früh offensichtlich. Allerdings plätschern die Ermittlungen zu sehr vor sich hin, es fehlt an spannenden und dramatischen Szenen sowie cleveren Schlussfolgerungen. Hatton mag ein geschickter Mediziner sein, als Amateurdetektiv fällt er nicht durch außergewöhnliches Talent auf. Dass der ermittelnde Inspector eine eher zwielichtige Gestalt ist, macht es nicht unbedingt besser.
Unterm Strich ist Der Leichensammler vor allem wegen seines historischen Hintergrunds und der Atmosphäre lesenswert - der kriminologische Teil überzeugt dagegen weniger und es mangelt an faszinierenden Charakteren. Alles in allem kein schlechtes Debüt, doch das Setting lässt noch einiges an Luft nach oben frei für die weiteren Bände.
D. E. Meredith, Goldmann
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