Die Samenhändlerin

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2005
  • 3
  • Ullstein, 2005, Titel: 'Die Samenhändlerin', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
721001

Histo-Couch Rezension vonAug 2006

Blütezeit eines fast vergessenen Handwerks

Die Nürnberger Wirtstochter Hannah Brettschneider erliegt dem Charme des in Sachen Samen und Blumenzwiebeln reisenden Helmut Kerner und wird schwanger. Als sie dem jungen Mann in seine Heimat Gönningen nachreist, sieht sie sich unvermittelt der schönen Seraphine gegenüber, die in wenigen Wochen Helmuts Frau werden soll. Der reiche Samenhändler-Sohn muss sich zwischen den beiden Frauen entscheiden. Weil ihm Hannah mit ihrer lebendigen Fröhlichkeit besser zusagt, führt er die werdende Mutter zum Altar. Seraphine, überzeugt davon, dass Hannah Helmut zur Ehe gezwungen hat, versucht mit allen Mitteln, ihren einstigen Bräutigam zurück zu gewinnen. Der aber träumt von ganz anderem: Er möchte mit seinen Sämereien nach Russland reisen und neue Märkte erschließen.

Blühendes Dorf

Sehr schön setzt Petra Durst-Benning das Samenhändler-Dorf Gönningen in Szene. Von diesem Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb aus wandern in der Mitte des 19. Jahrhunderts jedes Jahr zweimal die Händler mit ihren Samen und Blumenzwiebeln in die Welt hinaus, zunächst, um die Bestellungen aufzunehmen, dann, um die Ware auszuliefern. Für die Frauen im Ort heißt das jeweils, monatelang auf die Rückkehr ihres Liebsten oder Vaters zu warten. Immer wieder kommt es aber vor, dass eine Familie vergebens wartet. Denn die Reise ist voller Gefahren. Auch Seraphine und ihre Mutter warten vergebens auf die Rückkehr ihres Ernährers - er fiel in einem ärmlichen Tal in der Schweiz einem Verbrechen zum Opfer. Anhand seines Schicksals macht die Autorin deutlich, unter welchen Umständen die Händler unterwegs einst unterwegs waren. Mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt Durst-Benning die wachsende Verzweiflung von Mutter und Tochter, die ahnen, dass dem Vater etwas Schlimmes zugestoßen sein muss.

Pragmatische Liebesgeschichte

Wer zu Beginn der Geschichte noch vermutet, er halte einen dem klassischen Muster folgenden Liebesroman in Händen, sieht sich schnell getäuscht. Zwar spielt die Liebe durchaus eine Rolle, eine wichtige gar. Aber entgegen dem üblichen Muster steht Helmut ohne Wenn und Aber zu seiner Liebschaft und löst die Verlobung mit der zwar von ihm geschätzten, aber nicht geliebten Seraphine auf. Das junge Ehepaar wächst trotz gesellschaftlicher Unterschiede in eine stabile Beziehung hinein. Andererseits verfällt die verlassene Seraphine in eine Obsession und entwickelt einen ungehemmten Hass gegenüber der Nebenbuhlerin. Petra Durst-Benning beschreibt sehr anschaulich, wie sich die Wut und Verzweiflung bei Seraphine aufbaut und welche Gedankengänge die junge Frau leiten. Es ist bald absehbar, dass die fröhliche Hannah gegen Seraphine nicht viel in der Hand hat. So sind die Sympathien schnell verteilt. Erst recht, als sich die abgewiesene Rivalin zu einer Bedrohung für die junge Ehefrau entwickelt.

Chancen nutzen

Während die menschliche Dramatik rund um die beiden Nebenbuhlerinnen aber eher an der Oberfläche schwimmt, geht die historische Komponente in die Tiefe. Quasi nebenbei beschreibt Petra Durst-Benning nicht nur, wieso sich der Ort zu einem europäischen Zentrum für Samen und Blumenzwiebeln entwickelt hat, sie lässt über die kluge Hannah auch die Entwicklung sichtbar werden, die im 19. Jahrhundert einsetzte. Dies betrifft besonders die Möglichkeit, Waren über ein Bestellsystem zu ordern, was den Händlern ermöglicht, auf eine der beiden jährlichen Reisen zu verzichten. Es ist eine hoffnungsvolle Zeit, die Petra Durst-Benning beschreibt.

Die Samenhändlerin ist nicht der vielschichtigste Roman von Petra Durst-Benning - und mit Sicherheit auch nicht der spektakulärste. Aber es ist ein solider historischer Roman, der einige vergnügliche Lesestunden beschert und den Fokus auf einen Berufszweig legt, der heute fast schon in Vergessenheit geraten ist.

Die Samenhändlerin

Petra Durst-Benning, Ullstein

Die Samenhändlerin

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