Eine Geschichte aus zwei Städten

  • Insel
  • Erschienen: Dezember 1901
  • 1
  • Insel, 1859, Titel: 'A Tale of Two Cities', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonSep 2012

Ein Klassiker in Zeiten der Französischen Revolution

Kurzgefasst:

Paris und London während der Französischen Revolution: Als der Franzose Charles Darnay von den Revolutionären in Paris zum Tode verurteilt wird, rettet ihm der junge Engländer Sydney Carton das Leben, indem er freiwillig das Schafott besteigt. Er opfert sich aus Liebe - zu der unerreichbaren Lucy Darnay, der Frau des Verurteilten ...

 

Als Dr. Alexandre Manette nach 17 Jahren in der Bastille endlich von seiner Tochter und Freunden befreit wird, kehrt er Paris den Rücken und geht nach London. Dorthin zieht es auch den jungen Charles Darnay, der eigentlich ein Neffe des Marquis St. Evremonde ist und somit ein Adliger. Der Marquis allerdings ist ein brutaler Mensch, von dem sich Darnay abgewandt hat und mit dem er nichts mehr zu tun haben will. Stattdessen verliebt er sich in Dr. Manettes Tochter Lucie.

In London wird Darnay vom Spion John Barsad verleumdet und vor Gericht gestellt, wo er von den Anwälten Stryver und Carton verteidigt und freibekommen wird. Gerade Carton ist ein Lebemann, der aus seinem Leben bislang nichts gemacht hat und der dem Alkohol und den Huren frönt wie kein anderer. Dennoch befreundet er sich mit der Familie Manette, gerade Lucie will ihn auf den rechten Weg führen. Doch sie nimmt Darnays Antrag an und wird ihn heiraten.

Währenddessen planen die Eheleute Defarge in Paris ein Komplott gegen den Marquis St. Evremonde, der nachts im Schlaf erstochen wird. Die Revolution ist im Gange, die Bastille wird gestürmt. Defarge findet in Manettes ehemaliger Zelle einen Brief, der beweist, dass die Evremondes Schuld sind an dem Mord am Bruder von Madame Defarge, die Rache an der gesamten Familie Evremonde bis ins letzte Glied geschworen hat, sodass auch Darnay, Lucie und deren inzwischen fünf Jahre alte Tochter Lucy in Gefahr sind. Darnay hat wiederum in London vom Tod seines Onkels erfahren und reist nach Paris, wo er als adliger sofort verhaftet wird. Seine Familie reist ihm nach, doch besteht eine Chance, ihn vor der Guillotine zu retten?

Gelungene Atmosphäre

Wie nähert man sich einem Roman, der in England im Jahr 1859 erschienen ist und somit mehr als 150 Jahre alt ist und der mit über 200 Millionen verkauften Ausgaben das meistgedruckte original englischsprachige Buch aller Zeiten ist? Charles Dickens hat den Großteil seiner Romane als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt, und die Idee zu diesem Roman kam ihm, als er selber mit seinen Kindern und Freunden ein Theaterstück aufführte. Erinnert an einen eigenen Paris-Aufenthalt vier Jahre zuvor und durch ein Buch über die Französische Revolution entstand der Roman, der in drei grosse Abschnitte eingeteilt ist und der zwischen April und November 1859 in seiner soeben neu gegründeten Zeitschrift "All the Year Round" zunächst in wöchentlichen Ausgaben erschien, die später noch einmal in monatlichen und halbjährlichen Ausgaben zusammengefasst wurden.

In seinen Romanen schafft es Dickens immer, dem Leser ein Atmosphäre der Zeit zu vermitteln, was meist seine eigene Zeit war, also das 19. Jahrhundert. In A Tale of Two Cities, wie der Roman im Original heisst, gelingt ihm dies ebenfalls, obwohl er über eine Zeit schreibt, in der er selbst nicht gelebt hat. Gerade das erste Kapitel des Romans ist eine wortgewandte Einführung in das England und das Frankreich der Zeit, zunächst vorrevolutionär, aber schon mit Spannungen angereichert, die bald zur Explosion kommen sollten. Hier erweist sich Dickens als großartiger Erzähler, der, wie seinerzeit üblich, in wortreicher, blumiger Sprache ein authentisches Bild des 18. Jahrhunderts malt.

Leichte Hänger im Mittelteil

In diese Stimmung setzt er allmählich seine Geschichte, die mit einem gebrochenen Dr. Alexandre Manette beginnt. Der gesamte erste Teil, der ungefähr 75 Seiten umfasst, handelt von der seiner Befreiung und der Wiederbegegnung mit seiner Tochter und ist mit "Ins Leben zurückgerufen" überschrieben, wie auch der ursprünglich geplante Titel des Romans lautete. Im zweiten Teil entwickelt sich die Geschichte und die Revolution beginnt, ehe der dritte Teil, der ungefähr die letzten 150 der insgesamt 500 Seiten behandelt, Charles Darnay zurück nach Frankreich ruft, wo er verhaftet wird und das Schicksal seinen Lauf nimmt.

Im Stil der Zeit schreibt Dickens seine Geschichte auf, bei der man gerade im Mittelteil allerdings denken mag, dass man noch etwas unentschlossen ist, wohin denn die Reise des Roman gehen soll. Da werden Nebengeschichten erzählt, die es für das Gesamtgefüge des Romans nicht gebraucht hätte, und auch Personen und Personenkonstellationen kommen vor, die letztlich unbedeutend im Sande verlaufen. Dass beispielsweise der Spion John Barsad und die Gouvernante Miss Pross eigentlich Geschwister sind, ist eine schöne Idee, leider aber für die Geschichte völlig irrelevant, da dieser Aspekt nicht weiter verfolgt und nicht von Belang ist.

Ausgefeilte Charaktere

Dennoch sind seine Charaktere alle ausgefeilt und bis ins Detail vor dem Auge vorstellbar. Wenn auch für heutiges Verständnis alles etwas langsam und schleppend und sprachlich blumig und verworren vor sich geht, so sind doch die jeweiligen Handlungen verständlich und nachvollziehbar. Damals herrschten noch andere Werte wie Ehre, Freundschaft und Moral, zumindest hatten sie eine viel größere Bedeutung als heute, und so betrachtet ergibt sich eine authentische Geschichte, die man heute vielleicht etwas angestrengt liest, die aber trotzdem ein Bild der Zeit wiedergibt.

Dr. Manette ist ein gebrochener Mann, der nach 17 Jahren Bastille erst langsam wieder ins Leben zurückfindet und dabei von seiner liebenden Tochter Lucie aufopfernd umsorgt wird. Sein künftiger Schwiegersohn Darnay fragt auch erst beim Vater um die Hand der Tochter und versichert ihm, dass alles beim alten bleiben werde, er werde ihm nicht die Tochter entreissen, und das beruhigt Dr. Manette und er willigt ein. Alles ein bisschen steif für heutige Ansichten, damals aber üblich. Syndey Carton ist ein Anwalt, der mehr am Saufen und an Huren interessiert ist und sich erst langsam vom Saulus zum Paulus wandelt, was allerdings auch etwas überraschend geschieht. Auch die Nebencharaktere haben alle etwas eigenes, so dass der Roman von einem bunten Personal aus mehreren Gesellschaftsschichten stimmungsvoll zusammengestellt wurde.

Zwar beweist Dickens nicht den Humor, den er in seinen sonstigen Werken hervorbringt, und auch sonst ist Eine Geschichte aus zwei Städten ein eher Dickens-untypischer Roman, aber man darf sich auch als Autor nicht immer wiederholen. Obwohl Dickens sich gerade auch in der Öffentlichkeit von seiner Frau getrennt hatte, was seinerzeit eher ein Skandal gewesen wäre, war die Geschichte von Anfang an erfolgreich und fiel nicht negativ auf den Autor zurück. Auch das mag ein Qualitätsmerkmal sein.

Wer sich an den Roman heranwagt, der wird spätestens im dritten Teil für seine Ausdauer belohnt werden. Hier zieht Dickens das Tempo an, und mit zwei Gerichtsverhandlungen und einer blitzenden Guillotine im Hintergrund wird es sogar noch einmal richtig spannend. Gerade wenn Carton befreit wurde und die Familie sich trennt, um nach London abzureisen, erweist sich der Roman als Pageturner, zumal wenn Miss Pross im Haus der Manettes die rachsüchtige Furie Madame Defarge gegenübertritt. Das ist grosses Kino, wenn es das damals schon gegeben hätte, und allein für dieses Finale lohnt sich die Lektüre.

Man muss sich Zeit nehmen

Das Ende des Romans mag in heutigen Augen schwach erscheinen. Eine vormalige Nebenfigur in Form von Sydney Carton wird zu Hauptfigur, die sich für jemand anderen opfert und somit seinem eigenen verkorksten Leben wenigstens so einen Sinn gibt - das ist heute schwach und für viele nicht verständlich, vor 150 Jahren aber war dies ein hohes moralische Gut und wohl kaum mehr aufzuwiegen. Insgesamt ist das Buch nichts für hektische Leser, die einen spannenden Roman haben wollen, bei dem auf jeder Seite etwas neues passiert. Leser von Klassikern wie Dickens sollten sich die Zeit nehmen, die sich der Autor ebenfalls nimmt, und in die Geschichte eintauchen und sich führen lassen. Dann wird man ein besonderes Leseerlebnis haben.

Es wäre schön gewesen, wenn der Insel-Verlag, der die neueste Auflage von 2011 herausgebracht hat, ein paar Informationen zum Roman und zu seiner Geschichte beigefügt hätte. Das wäre zumindest zum Dickens-Jahr 2012 eine Gelegenheit gewesen, den Lesern den Roman auch mit weiteren Erläuterungen näher zu bringen und vielleicht mehr Appetit auf das Werk Dickens´ zu lenken. Doch leider wurde nicht nur diese Chance vom Verlag nicht genutzt, denn es gibt keinerlei Zugaben zum Roman. Als Krönung enthält sogar der Klappentext inhaltliche Fehler, die ein völlig falsches Bild des Romans vermitteln. Auch das Coverbild ist in seiner Modernität unglücklich geraten und sagt nichts über den Roman aus. Das ist schade, hier hätte man einen grossen Klassiker mit einer würdigeren Ausgabe entstauben können. Immerhin stört es den Lesegenuss nicht.

Eine Geschichte aus zwei Städten

Charles Dickens, Insel

Eine Geschichte aus zwei Städten

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