Doch du wirst nie vergessen
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2012
- 1
- Lübbe, 2011, Titel: 'Belle', Originalausgabe
Lust und Laster im New Orleans des frühen 20. Jahrhunderts
Kurzgefasst:
London 1910. Obwohl Belle in einem Bordell aufwächst, erlebt sie eine behütete Kindheit. Als sie mit fünfzehn Jahren den brutalen Mord an einer Prostituierten beobachtet, gerät sie jedoch selbst in die Fänge von Mädchenhändlern und wird zur Prostitution gezwungen. Für Belle beginnt eine grauenvolle Odyssee - und nur ihr Traum von der Heimat gibt ihr noch Kraft...
London, 1910: Die fünfzehnjährige Belle wächst im Bordell ihrer Mutter auf. Obwohl sie keinen Vater hat und ihre Mutter Annie nicht sehr herzlich ist, führt Belle ein recht glückliches Leben - im Dienstmädchen Mog hat sie eine mütterliche Vertraute und vom abendlichen Treiben im Bordell wird sie behutsam ferngehalten. Ihr größter Traum ist es, eines Tages einen kleinen Hutladen zu eröffnen. Schließlich lernt sie auf der Straße auch noch den achtzehnjährigen liebenswerten Jimmy kennen und beginnt zum ersten Mal zu schwärmen.
Kurz darauf aber geschieht etwas Schreckliches: Belle wird zufällig Zeugin, als eine der Huren ermordet wird. Der Täter, ein gefährlicher Krimineller mit Verbindungen in hohe Kreise, kann fliehen. Wenige Tage später wird Belle von ihm und einem Handlanger entführt und nach Paris verschleppt. Er will damit nicht nur verhindern, dass sie gegen ihn aussagt, sondern verkauft sie auch als Hure.
Die verzweifelte Belle wird mehrfach vergewaltigt, ehe sie nach New Orleans gebracht wird. Hier kommt sie in das elegante Freudenhaus von Madame Martha. Nach dem ersten Schock beginnt Belle ihr Schicksal allmählich zu akzeptieren - in New Orleans erwarten sie zumindest viele charmante und attraktive Freier, ein angenehmes Wohnumfeld und sie fängt an, bald ein wenig Spaß an ihrem neuen Leben zu haben. Trotzdem gibt sie die Hoffnung nicht auf, eines Tages wieder frei zu sein und nach Hause zu kommen - nach London, wo inzwischen Mog und Jimmy zusammen mit Freunden fieberhaft nach ihr suchen und sie befreien wollen ...
Spannung und Dramatik
Mit Denn du wirst nie vergessen begibt sich Lesley Pearse auf gewohntes Terrain: Ein mitreißendes Frauenschicksal in historischer Umgebung voller Höhen und Tiefen, Liebe und Intrigen. Der Roman ist sicher kein besonders anspruchsvoller Roman, sondern in erster Linie ein unterhaltsamer Schmöker für Frauen, die von großen Gefühlen und dramatischen Schicksalen lesen wollen - als solcher ist er jedoch sehr gut gelungen.
Hauptfigur Belle besticht zwar wie die anderen Charaktere auch nicht durch außergewöhnliche Vielschichtigkeit, ist aber eine sympathische und charmante Protagonistin. Zu Beginn ist sie ein liebenswertes, sehr naives fünfzehnjähriges Mädchen, das von Sexualität bislang keine Ahnung hat. Erst durch den beobachteten Mord an der Hure erfährt Belle, dass das Bordell ihrer Mutter nicht einfach nur ein geselliger Ort zum Tanzen und Trinken ist, sondern dass zwischen den Frauen und ihren Gästen noch ganz andere Dinge passieren. Mit der Entführung und den Vergewaltigungen zerbricht Belles heile Welt endgültig, ohne dass sich das Mädchen aufgeben würde. Belle ist ein hübsches, intelligentes Mädchen, dessen Handlungen generell immer nachvollziehbar sind. Sie gibt sich nicht auf, versteht es aber zugleich auch, sich an die Gegebenheiten anzupassen und das Beste aus ihrer widrigen Lage zu machen. Egal ob sie als Hure in einem Etablissement arbeitet oder sich von einem Freier als private Geliebte aushalten lässt, sie hat immer im Hinterkopf das Ziel, genug Geld zu verdienen, um eines Tages das Hurenleben hinter sich lassen zu können.
Eine weitere reizvolle Gestalt ist Etienne, der gutaussehende Franzose, dessen Aufgabe es ist, Belle nach Amerika zu bringen. Anfangs begegnet Etienne ihr kalt und bedrohlich, doch auf der langen Überfahrt nach New York sowie der weiteren Fahrt nach New Orleans kommen sich die beiden näher. Tatsächlich handelt Etienne nur unter erheblichem Druck und fürchtet, seine Familie zu verlieren, wenn er sich seinem Auftraggeber widersetzen sollte. Je länger die Fahrt dauert, desto lieber gewinnt er Belle und zwischen den beiden entwickeln sich sogar zarte Gefühle. Eine weitere Sympathiefigur ist Noah, ein junger Journalist, der Mog und Jimmy bei der Suche nach Belle hilft und dafür mehrmals nach Frankreich reist. Immer wieder begegnet Belle auf ihrer Odyssee Menschen, denen sie zunächst vertraut und sie dann doch enttäuschen; auch für den Leser ist es nicht immer vorherzusehen, ob sie nun wirklich auf einen neuen Freund und Helfer getroffen ist oder ob sie ein weiteres Mal verraten wird.
Überzeugendes Setting
Der Autorin gelingt es gut, die Welt der Huren weder zu beschönigend noch ausschließlich düster darzustellen. Die Frauen in Annies Haus gehen ihrer Arbeit freiwillig nach und haben durchaus Spaß am Leben, sehnen sich aber dennoch insgeheim nach einer anderen Zukunft. In Paris gerät Belle in ein Bordell, in dem Jungfrauen an brutale Männer verschachert werden und erlebt die dunkelsten Stunden ihres Lebens. Bei Madame Martha in New Orleans erscheint ihr Prostitution dagegen nach einer Weile gar nicht mehr so fürchterlich zu sein: Madame Martha gibt ihr einige Wochen Zeit, sich zu einzugewöhnen, in dem Etablissement herrscht eine elegante und luxuriöse Atmosphäre, die Männer sind oft gutaussehende Gentlemen. Nach und nach erkennt Belle, dass Sexualität tatsächlich genossen werden kann und dass auch viele Freier liebenswerte Männer sind, die die Huren wie Damen behandeln. Doch auch dieses Bild gerät schließlich ins Wanken und Belle erkennt, dass hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch wenn sie sich über die Monate hinweg vom verzweifelten Mädchen zu einer selbstbewussten und geschickten Hure entwickelt hat und sie teilweise den Sex mit ihren Freiern sogar genießt, vergisst sie nie ihren Wunsch nach Freiheit. Das Leben der Huren wird vielschichtig dargestellt und zeigt die unterschiedlichen Bedingungen je nach Ort und der zuständigen Bordellleiterin.
Interessant sind nicht nur die Beschreibungen der Halbwelt, sondern die weiteren Örtlichkeiten des frühen 20. Jahrhunderts - die Armenviertel in London, das lebhafte Treiben in Paris, die multikulturelle Gesellschaft in New Orleans, der Trubel der Hafenstadt Marseille. Zusammen mit Belle begegnet der Leser sowohl elenden Absteigen als auch mondänen Hotels und erfährt interessante Details zum Leben in jener Zeit.
Geringe Schwächen
Ein bisschen übertrieben ist die anfängliche Naivität Belles, die weniger wie eine Fünfzehnjährige, sondern eher wie eine Zwölfjährige erscheint. Dass sie bis dahin nicht weiß, dass ihre Mutter ein Bordell und kein einfaches Gasthaus führt, ist noch nachvollziehbar - dass sie aber nicht einmal weiß, was das Wort "Hure" bedeutet, ist eher unglaubwürdig. Die Schilderungen ihrer Nächte mit den Freiern fallen manchmal ein wenig unnötig detailliert aus, an einigen Stellen wären Andeutungen effektiver gewesen. Letztlich springt bei der dramatischen Auflösung der Zufall ein paar Mal zu Hilfe, der Belles Freunden in die Hände spielt.
Unterm Strich ist Lesley Pearse mit Doch du wirst nie vergessen ein sehr unterhaltsamer Roman geglückt, der für viele vergnügliche Lesestunden sorgt und Lust auf den Nachfolgeband macht. Die dramatische Geschichte liest sich sehr flüssig und kurzweilig, sofern man keine zu hohen Ansprüche stellt und nur solide Unterhaltungslektüre erwartet.
Lesley Pearse, Lübbe
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