Kains Erben
- Ehrenwirth
- Erschienen: Januar 2012
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- Ehrenwirth, 2012, Titel: 'Kains Erben', Originalausgabe
Kains Erben - Mord unter Brüdern
Kurzgefasst:
England, Ende des 13. Jahrhunderts. Ein entsetzliches Erlebnis raubt der kleinen Amicia die Heimat, die Burg Carisbrooke auf der Isle of Wight. Einsam, verfolgt von Schreckensbildern und ohne Wissen um ihre Herkunft wächst sie unter der Obhut der Mönche von Quarr Abbey auf. Als die Mönche Amicia mit der Pflege eines verletzten Ritters betrauen, schleichen sich neue Bilder in ihre Träume: zwei eiskalte Augen, Szenen eines Massakers, ein nicht enden wollender Schrei. Ohne dass Amicia weiß, warum, ist ihr der Fremde unheimlich. Sie versteht nicht, warum der Abt sie mit ihm wegschickt, nachdem er genesen ist. Eine gefährliche Reise beginnt ...
Charlotte Lyne's neuester Roman Kains Erben wird von den zahlreichen Fans in Deutschland längst voll Ungeduld erwartet, sind doch seit dem zuletzt veröffentlichten und so erfolgreichen Romans Glencoe aus der Feder der Autorin bereits wieder zwei Jahre vergangen. Bei dem Buch kann sich die Leserschaft auf einen Roman aus der Wahlheimat der Autorin freuen. England und die Isle of Wight, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, also deutlich früher, als die seitherigen England-Romane der Autorin sind Zeit und Ort dieser Geschichte.
Edward I. "Longshanks - Hammer of the Scots" und die neue Ordnung
Edward I. war ein starker englischer König. Allerdings hatte er einen Aufstand des englischen Adels, der sich gegen seinen Vater Heinrich III. erhob, miterlebt. Wahrscheinlich ein Grund, weshalb er unbarmherzig gegen seine Feinde vorging. So zeichnete er für die Unterwerfung von Wales, deren Herrscher zuvor den englischen Adel unterstützt hatte, verantwortlich, begann Kriege in Form eines päpstlichen Kreuzzuges, der Lossagung von Frankreich (er hatte für Lehen auf kontinentalem Boden dem französischem König zu huldigen) und Unterwerfung des schottischen Volkes - die historische Figur des Sir William Wallace, bekannt aus dem Film "Braveheart" mit Mel Gibson dürfte hier manchem geläufig sein. Die königlichen Garantien für die Juden in England, die auf Erlösse von William the Conqueror, 1066, zurückreichten, wurden unter Edward I. immer mehr zurückgenommen und vager.
Die Isle of Wight - eine Insel vor der Südküste Englands - genoss zu dem damaligen Zeitpunkt einen Sonderstatus, da sie der englische König nicht für sich beanspruchen konnte und Isabelle de Fortibus - verwitwete Herrscherin der Insel - keine Steuern an den König zu zahlen hatte. Auch das ein Dorn im Auge des Herrschers. Sie entzog sich mehreren Versuchen, sie mit einem Günstling des englischen Königshauses zu verheiraten und sich damit unter den Einfluss des Königs zu bringen. Übrigens erfolgreich, bis zum Schluss.
Wenig zimperlich waren die Barone und Ritter, die zuvor versucht hatten, Heinrich III. zu Fall zu bringen, wenn es darum ging, beim neuen König auf Schönwetter zu machen. Es wurde intrigiert, gemordet und neue Bündnisse wurden geschlossen, um den veränderten Machtverhältnissen im Land Rechnung zu tragen, die Gunst des Königs zu erlangen und neue Ländereien zu erhalten. In dieser bewegten Zeit spielt der Roman "Kains Erben" von Charlotte Lyne.
Das Ende einer Kindheit - welche Rolle spielt ein Findelkind im Mahlwerk der Politik?
Klirrend schob er das Schwert in die Scheide und stieß mit behandschuhten Händen Abel in den Rücken. Abel schrie nicht einmal. Er fiel vom Brunnenrand wie ein Apfel vom Baum. Wie oft hatten sie in diesem Hof gestanden, endlose, sonnige Tage lang, hatten Steine in den Brunnen geworfen und gezählt, wie oft ihre Herzen schlugen, ehe die Steine ins Wasser platschten! Amicia konnte nicht anders, sie musste zählen: sieben - acht - neun - zehn. Das Geräusch tat ihren Ohren weh, und ihre Finger umklammerten ihr Brautgeschenk. [...] Dann wurde sie von fremden Händen gepackt. Der Schlag gegen die Schläfe tat nicht einmal weh, sondern nahm ihr nur den Atem. Noch einen Schmerzensschrei hätte sie, markerschütternd und so lang gezogen, als würde er nie mehr enden. Funken sprühten vor ihr auf, winzige Drachen, die Feuer spien, und gleich darauf spürte sie Sackleinen, das ihr die Wangen aufschürfte. Als ein zweiter Schlag ihre Stirn traf, ließ sie sich endlich fallen und sah nichts mehr als gnädige Schwärze.
Die eigentliche Geschichte beginnt gut zehn Jahre nach der hier beschriebenen Eingangsszene. Geschickt entwirft Charlotte Lyne ein Labyrinth der zahlreichen und verschiedensten Handlungssträngen. Sie springt dabei abschnittweise von Szene zu Szene, was einerseits vielleicht anstrengend anmuten könnte, ganz sicher aber konzentriertes Lesen erfordert; andererseits wird so die Spannung erhalten, so dass man bis ganz zum Schluss mitfiebern kann, wie die Zusammenhänge tatsächlich gewesen sind.
Charlotte Lyne verknüpft politisches Ränkespiel, die Erstarkung des Zisterzienserordens unter Edward I. und die Judenfrage im 13. Jahrhundert in England.
Es ist eine der Stärken der Autorin, gesellschaftliche Einzelereignisse beschreiben zu können, sie jedoch in ihrem komplexen Gesamtzusammenhang zu belassen, ohne den Anstrich eines trockenen Sachbuchs zu bekommen. Charlotte Lyne's Romane haben einen lebendigen Esprit, der ganz besonders von der eleganten Ausdrucksweise der Autorin noch unterstützt wird.
Kains Erben ist kein politisierendes Geschichtsbuch und wird von dem Teil der Leserschaft geliebt werden, der einen historisch authentischen Roman mit gelungener Figurenzeichnung zu schätzen weiß. Zweifelsfrei hebt er sich von vielen fiktiv-historisierenden Fantasy-Romanen, die es mittlerweile auf dem Markt der historischen Romane gibt, wohltuend ab.
Vorkenntnisse der englischen Geschichte im betreffenden Zeitalter sind nicht erforderlich, dennoch spiegelt der Roman seine Zeit wider und ermöglicht dem geneigten Leser, parallel dazu mit Sekundärliteratur, die handelnden Figuren an ihrem Platz in der Geschichte nachzuvollziehen.
Eine schön gestaltete Hardcover-Verpackung mit Nachbemerkungen der Autorin, einem Glossar und den Danksagungen runden Charlotte Lyne's neuen Roman ab. Einziger Wermutstropfen dürfte sein, dass Kains Erben nicht ganz an die Vorgänger-Romane, insbesondere an Die zwölfte Nacht oder an Glencoe, herankommt. Trotzdem: Sehr empfehlenswert!!!
Charlotte Lyne, Ehrenwirth
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