Der Wind der Erinnerung
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2012
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- Droemer-Knaur, 2010, Titel: 'Wildflower Hill', Originalausgabe
Abschied nehmen vom großen Traum
Kurzgefasst:
Als Emma das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Beattie erbt, hat sie wenig Lust, sich mit Kisten voller Erinnerungsstücke herumzuschlagen. Doch ein mysteriöses Foto lässt sie nicht mehr los. Es zeigt Beattie als junge Frau neben einem Mann, der besitzergreifend die Arme um sie legt. Zwischen den beiden: ein kleines rothaariges Mädchen. Der Mann ist nicht Emmas Großvater - und wer ist das Kind? Schon bald vermag sich Emma den Geheimnissen von Beatties Vergangenheit nicht mehr zu entziehen. Sie taucht ein in das Jahr 1929 und lernt ihre Großmutter von einer neuen Seite kennen...
Was, wenn der große Traum zerplatzt wie eine Seifenblase? Für Primaballerina Emma Blaxland bedeutet ein schwerer Sturz das Ende ihrer Karriere. Mit dem Schicksal hadernd kehrt Emma in ihre Heimat Australien zurück. Dort erfährt sie, dass ihre Großmutter Beattie ihr ein altes Haus in Tasmanien vermacht hat. Widerwillig macht sich Emma auf, das Haus zu räumen und es zum Verkauf anzubieten. Verbittert kämpft sich Emma durch das Chaos. Bis sie auf Unterlagen stößt, die das Leben der Großmutter in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. Denn Beattie war nicht immer die wohlhabende Modedesignerin, als die Emma sie kannte. Nach und nach erfährt Emma vom Kampf Beatties ums Überleben. Und um die Liebe ihrer Tochter. Denn als sich Beattie in den 30er Jahren auf eigene Füße stellte, hatte sie als alleinerziehende Mutter kaum eine Chance. Je mehr Emma vom Schicksal ihrer Großmutter erfährt, desto besser ist sie in der Lage, ihre eigene Situation mit neuen Augen zu sehen.
Gefühlvoller Schmöker
Der Wind der Erinnerung ist ein gefühlvoller Schmöker für gemütliche Lesestunden. Große Ansprüche stellt der Roman an sein Publikum nicht. Süffig geschrieben und einer auf den ersten Blick eher unspektakulären, soliden Geschichte folgend, kann er zunächst nicht mit dramatischen Höhepunkten oder tiefgreifenden Erkenntnissen aufwarten. Im Gegenteil: Emmas weinerliches Selbstmitleid weckt wenig Sympathie mit der Protagonistin. Zwar blitzt bereits hier eine recht geschickt gezeichnete menschliche Schwäche durch, doch versteckt sich die Feinheit der Figurenzeichnung noch hinter der eher banalen Story. Das ändert sich auch mit dem Wechsel des Schauplatzes nicht.
Erst das Eintauchen in vergangene Zeiten verschiebt die Sichtweise ganz sanft und holt die Leser ins Boot. Zwar ist es nicht wesentlich einfacher, sich mit der Figur von Beattie anzufreunden, als mit jener von Emma. Doch ist die Atmosphäre gut getroffen, die Schilderung des Umfeldes, in dem sich Beattie zunächst bewegt überzeugend gelungen. Und ohne dass sich die Leser dessen richtig bewusst werden, vermag die Autorin Kimberley Wilkins ein dichtes erzählerisches Netz zu weben, in dem sich die Leser verfangen.
Über sich hinaus wachsen
Erst wenn die letzte Zeile gelesen und die Geschichte langsam verklungen ist, vermag der Leser sich aus dem Netz zu lösen und Abstand zu gewinnen. Emma hat auch durch diesen besonderen Zauber, den Beatties Geschichte ausmacht, nicht an charakterlicher Stärke oder Sympathie gewonnen. Sie bleibt eine blasse, uninteressante Figur, die kompromisslos ihre eigenen Befindlichkeiten pflegt. Dennoch ist sie eine stimmige Protagonistin, denn die Stärke des Romans liegt eindeutig bei Beattie und ihrem Überlebenskampf. Beattie steht für eine ganze Reihe von jungen Frauen, die sich den gesellschaftlichen Normen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entgegen stellen und ein selbstbestimmtes Leben führen. Dabei vergisst Kimberley Wilkins jedoch nicht, ihre Protagonistin mit einer gehörigen Portion Selbstzweifel und hin und wieder auch etwas Naivität auszustatten. Bedauerlich ist zwar, dass die Autorin mit dem Halb-Aborigine Charlie ein inzwischen recht abgegriffenes Thema einbauen musste, doch ist dieser Ausflug in die Mainstream-Kultur verzeihlich.
Zweiteilung nicht notwendig
Es liegt auf der Hand, dass Kimberley Wilkins ihren Roman auf das Publikum ausgerichtet hat, das Geschichten mag, die auf zwei Zeitebenen spielen. Angesichts der unterschiedlichen Qualität der beiden Erzählstränge drängt sich allerdings die Frage auf, ob es nicht genügt hätte, Beatties Geschichte zu erzählen und auf den in der Gegenwart spielenden Teil mit Emma zu verzichten. Dadurch hätte Der Wind der Erinnerung auf jeden Fall an Tiefe gewonnen und den Sprung vom guten Mittelfeld in die Liga der beachtenswerten Romane geschafft.
Schön aufgemacht, solide erzählt, mit einer gut gelungenen Mischung an Gefühl und atmosphärischer Schilderung steht Wilkins' Roman aber auf jeden Fall für entspannende Lesestunden.
Kimberley Wilkins, Droemer-Knaur
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