Im Land der Mond-Orchidee
- Piper
- Erschienen: Januar 2012
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- Piper, 2012, Titel: 'Im Land der Mond-Orchidee', Originalausgabe
Zu stark auf den Zufall gebaut
Kurzgefasst:
Verlassen von ihrem Ehemann und voller Angst vor dem fremden Land - so findet sich die junge Neele Selmaker 1880 auf einem Auswandererschiff nach Java wieder. Außerdem muss sie feststellen, dass sie ein Kind unter dem Herzen trägt. In Batavia angekommen, werden all ihre Zukunftspläne zunichtegemacht: Das florierende Internat, in dem sie helfen wollte, entpuppt sich als verfallenes Waisenhaus, der Leiter ist spurlos verschwunden. Doch dann lernt Neele einen geheimnisvollen jungen Mann kennen, den malayischen Beamten Ameya. Nicht nur die strengen Gesetze Javas verbieten eine Annäherung zwischen den beiden, darüber hinaus verbirgt Ameya ein grauenvolles Geheimnis vor Neele ...
Die Idee, die die Autorin Anne de Witt ihrem Roman Im Land der Mond-Orchidee zugrunde legt, ist bestechend. Neele Selmaker muss im Jahr 1880 ihre angestammte Heimat in einem norddeutschen Moor verlassen, um ihren Ehemann nach Java zu begleiten. Frieder Selmaker hat allerdings anderes im Sinn: Kurz bevor das Schiff nach Java ablegt, setzt er sich ab. Neele ist verzweifelt. Auch wenn sie in ihrer Ehe nicht glücklich war, fühlt sie sich von Frieder dennoch verraten. Schließlich ist sie nicht nur schwanger von ihrem Ehemann, er war es auch, der sie zum Auswandern nach Java gezwungen hat. Nur dank ihren Freunden, dem jungen Arzt Lennert und seiner Schwester Paula, fasst sie Mut, sich ihrem Schicksal zu stellen. Auf Java erwartet die drei Auswanderer jedoch bereits das nächste Problem: Das Internat, in dem sie hätten Arbeit finden sollen, entpuppt sich als heruntergekommenes Waisenhaus, das längst nicht mehr in Betrieb ist. Neele, Paula und Lennert müssen sich eine neue Existenz aufbauen. Dabei hilft ihnen unter anderem der malayische Beamte Ameya, der bald Neeles Herz erobert. Doch eine Verbindung zwischen einer Deutschen und einem Einheimischen ist undenkbar.
Stimmige Details
Es gelingt Anne de Witt, die Geschichte zunächst auf ein solides Fundament zu stellen. Der Einstieg in den Moment, in dem Neele sich auf die Reise ins Unbekannte machen muss, ist gut gewählt. Zudem zeichnet sich die Autorin durch einen facettenreichen Erzählstil aus. Sie präsentiert dem Publikum nicht nur exotische Schauplätze, sondern vermag schon die düstere und in vielen Bereichen hoffnungslose Stimmung in der dem Untergang geweihten Moorlandschaft aufzubauen. Auch die Charakterisierung der einzelnen Protagonisten ist stimmig und lässt auf eine tiefgründige Geschichte hoffen. Das bestärkt sich zunächst, vermag die Autorin doch die Diskrepanz zwischen dem neugierigen, aufgeschlossenen und auswanderungswilligen Geschwisterpaar und der verzagten und tief verunsicherten Neele aufzuzeigen. Selbst das düstere Geheimnis um Neeles Mutter, die sich vor vielen Jahren das Leben genommen haben soll, wirkt stimmig und nicht aufgesetzt. Der gute Eindruck erstreckt sich auch noch über die erste Zeit in Java. Umsichtig und mit einer farbigen Lebendigkeit schildert Anne de Witt die ersten Gehversuche der drei Auswanderer in Java. Ohne Verklärung erklärt die Autorin dem Publikum die fremde Welt und lässt es teilhaben an vielen neuen Eindrücken, die auf Neele, Paula und Lennert einstürzen.
Sie verliert an Tempo
Doch nach den ersten Wochen auf Java verliert die Geschichte merklich an Tempo. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass die Handlung nun stark in Richtung glühender Liebesgeschichte driftet und dadurch viel von ihrem Zauber verliert. Zu tun hat es aber sicher auch damit, dass die Autorin im Verlauf der Geschichte den Zufall immer stärker bemüht und dadurch einige Konstruktionen entstehen, die weit entfernt von jeder Glaubwürdigkeit sind. Zwar muss einem Roman auch zugestanden werden, eine fantastische Note zu haben. Doch hier verliert die Geschichte zu viel Charakter. Dies durch das diffuse Gefühl, dass in einigen Bereichen zu dick aufgetragen wurde. Leider kann Anne de Witt diesen schalen Geschmack bis zum Schluss nicht mehr wett machen. Dass sie sich für ein Cliffhanger-Ende entschieden hat, ist ein zusätzlicher Negativ-Punkt. So bleibt nach der letzten Zeile nicht etwa ein versöhnlicher Eindruck haften - dafür kommt das Ende auch etwas zu unvermittelt -, sondern es bleibt das Gefühl, mitten in einer Geschichte zu stecken, die nicht fertig erzählt worden ist. Das macht nicht etwa neugierig auf die Fortsetzung, es erweckt eher den Eindruck, um ein stimmiges Ende betrogen worden zu sein.
Gespaltener Eindruck
Letztlich hinterlässt Anne de Witts Auswanderer-Roman einen gespaltenen Eindruck. Zum einen ist die Autorin eine wunderbare Erzählerin und kann ausgezeichnet Stimmungen und Atmosphäre hervorzaubern. Zum anderen strapaziert sie den Zufall gar zu stark, was dem Roman vor allem in der zweiten Hälfte deutlich schwächeln lässt. Trotz allem aber vermag Im Land der Mond-Orchidee jene Leserschaft zu unterhalten, die sich durch die Auswanderer-Romane gerne in fremde Welten entführen lässt.
Anne de Witt, Piper
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