Der Tote am Hindenburgdamm
- Rütten und Loening
- Erschienen: Januar 2012
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- Rütten und Loening, 2012, Titel: 'Der Tote am Hindenburgdamm', Originalausgabe
Viele Zutaten für eine Krimi-Mahlzeit
Kurzgefasst:
Sylt 1923. Kriminalinspektor Niklas Asmus wird auf die Insel versetzt. Dort empfängt man ihn nicht gerade mit offenen Armen. Und ein Hort des Friedens scheint Sylt auch nicht zu sein. An dem Tod eines Landstreichers zeigt sich die örtliche Polizei allerdings wenig interessiert, und als auf einer Werft ein Anschlag verübt wird, beginnt lediglich Asmus Nachforschungen anzustellen. Dann jedoch findet man einen Toten an Sylts wichtigstem Bauwerk - an dem umstrittenen Damm, der die Insel mit dem Festland verbinden soll.
Ein Staatsbeamter wird an einen Ort versetzt, wo er zunächst nicht gut gelitten ist. Er eckt ständig bei seinen Vorgesetzten an, er gehört nicht zur Schicht der oberen Zehntausend, die Einheimischen sind misstrauisch. Dass dieser Beamte Niklas Asmus heißt, ist aber nicht der einzige Unterschied zu Sönke Hansen, jenem Deichbauinspektor, dem Kari Köster-Lösche inzwischen vier Romane gewidmet hat. Wirkt das Grundgerüst ihres neuen Romans Der Tote am Hindenburgdamm, als füllte sie alten Wein in neue Schläuche, so hat Niklas Asmus ein paar mehr Schwierigkeiten zu überwinden.
Der Roman spielt in einer Zeit des politischen Umbruchs. Das Jahr 1923 ist gekennzeichnet von der Instabilität der Weimarer Republik. Die Reparationszahlungen, die das Deutsche Reich nach dem verlorenen Weltkrieg leisten muss, belasten den Staatshaushalt. Die Wirtschaftskrise lässt die Inflation galoppieren. Der Rechtsruck in der Politik ist allgemein spürbar, doch auch die Kommunisten versuchen, ihre politische Vision durchzusetzen. Doch auf Sylt, wohin Kriminalinspektor Niklas Asmus aus Rostock strafversetzt wird, versucht man, das mondäne Leben aufrecht zu erhalten. Er stößt auf die altbekannten Konflikte: Alteingesessene betrachten alles Neue - in diesem Fall den immer stärker werdenden Tourismus einerseits und erste Umweltschutzbemühungen andererseits - skeptisch. Neureiche Urlauber und finanzkräftige Investoren verlangen immer mehr und immer neue Zerstreuungen und Modernisierungen. Aktuellstes Projekt: der Hindenburgdamm, der die Insel mit dem Festland verbinden soll. Doch das Prestige-Projekt für Urlauber und Investoren hat auch Nebenwirkungen. Wie verändert sich das Watt? Was passiert mit den Fährverbindungen, die wohl überflüssig werden? Was sagen die Dänen, die auch ihren Anteil am Fährgeschäft hatten, dazu? Und die Inselbewohner?
Einer gegen alle
Fast scheint es, als müsse Niklas Asmus und mit ihm der Roman unter der Last der Welt und ihrer Probleme zugrunde gehen. Doch Köster-Lösche beginnt recht bald, den Berg von Sorgen - nun ja, nicht abzutragen, aber so zu verschieben, dass er bezwingbar wird. Asmus wird in Zwischenmenschliches katapultiert, das seine Ursprünge in der hohen Politik hat. Insgesamt zwei Todesfälle muss er aufklären, ein dritter fällt ihm quasi durch die Vorgeschichte in den Schoß. Doch sein Vorgesetzter, ein bekennender Kommunist, und dessen Stellvertreter, ein Ja-Sager und Speichellecker, verstehen es, ihm seine Herkunft aus einer vormals reichen Rostocker Reeder-Familie und seine ehemalige Stellung als Kriminalinspektor vorzuhalten. Und seine Ermittlungen zu torpedieren. Fast scheint es so, als überfrachte Köster-Lösche ihren Helden mit zu viel Marschgepäck.
Nichtsdestotrotz bleibt er sympathisch - auch wenn manche Hinwendung zur Inselbevölkerung und ihr Wohlwollen das eine oder andere Mal ein wenig zu aufgesetzt wirkt. Die Funktion dieser Szenen ist eigentlich klar: Das Volk traut Asmus, nicht "der" Polizei. Doch den Konflikt mit seinen Vorgesetzten trägt Asmus nicht aus, jedenfalls nicht in diesem Buch. Vielleicht geht die Fehde ja in einem Folgeband weiter.
Selbstverständlich gibt es auch Inselbewohner, die ihm nicht ablehnend gegenüber stehen. Doch zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte gibt es mit jedem von ihnen einen Streit, der entweder in seiner Herkunft oder in seinem Amt begründet liegt. Diese Konflikte wirken zum Teil aufgesetzt oder erzwungen, als dürfte eine Beziehung zu einem Menschen nicht konfliktfrei sein. Ist sie auch nicht, aber die Ursachen sind oftmals unwahrscheinlich. Immerhin trifft er auf eine junge Frau, die ihn zunächst über die Natur der Dünen und ihre Flora und Fauna aufklärt. Natürlich - und hier wird wohl nicht zu viel verraten - wird aus den beiden ein Paar. Sie gehen in den Garten ihrer Eltern und schauen den Bohnen beim Wachsen zu. Das ist sympathisch und entschädigt für die eine oder andere Ungereimtheit in der Geschichte.
Alles besser
Wie immer hat Köster-Lösche es geschafft, einen Roman über die "gute, alte Zeit" zuschreiben, ohne zu verheimlichen, dass sie so gut doch nicht war. Freilich schwebt über allem die ermüdende Erkenntnis, dass früher doch alles besser war. Dieses Gefühl wird der Leser so schnell nicht los - selbst wenn alteingesessene Sylter sich für den Fortschritt aussprechen. Aber die Geschichte macht eben nicht halt. Der Hindenburgdamm wurde vollendet, die NSDAP trotzte ihrem Verbot und kam zehn Jahre später an die Macht und Sylt wurde doch noch zur deutschen Touristen-Insel Nr. 1.
Kari Köster-Lösche, Rütten und Loening
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