Das Vermächtnis der Montignacs
- Piper
- Erschienen: Januar 2013
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- Piper, 2006, Titel: 'Next of Kin', Originalausgabe
Geistreiches Krimivergnügen im London der dreißiger Jahre
London 1936: Als der schwerreiche Peter Montignac stirbt, erwartet jedermann, dass er sein Vermögen seinem Neffen Owen hinterlässt - traditionell erben bei den Montignacs stets die männlichen Nachkommen und nach dem frühen Tod von Peters Sohn Andre hatte der verwaiste Owen diese Stellung inne. Doch zur Überraschung aller Beteiligten vermacht Peter sein millionenschweres Vermögen seiner Tochter Stella, während Owen komplett leer ausgeht.
Für Owen ist diese Nachricht ein Schock, besitzt er doch Spielschulden in Höhe von 50.000 Pfund. Zwar arbeitet er in einer Kunstgalerie, aber er ist dringend auf weiteres Einkommen angewiesen. Zusätzlich verwirren ihn die unangebrachten Gefühle, die er für seine Cousine Stella empfindet, mit der er wie mit einer Schwester aufwuchs.
Zur gleichen Zeit sucht der junge Richtersohn Gareth Bentley verzweifelt nach einer guten Arbeit. Trotz seines Jurastudiums will er auf keinen Fall als Anwalt arbeiten. Sein Vater drängt jedoch darauf, dass er sich bald einen festen Job sucht. Durch gemeinsame Bekannte lernen sich Gareth und Owen in einem Club kennen. Gareth ist sofort fasziniert vom charismatischen, selbstbewussten Owen. Owen wiederum spürt die Bewunderung des anderen und will sie für sich nutzen. Ein perfider Plan soll ihn von seinen Geldproblemen befreien - und Gareth spielt in diesem Plan eine wichtige Rolle ...
Familiendrama mit Krimiflair
Als Krimi und Familienmelodram vor historischem Hintergrund lässt sich Das Vermächtnis der Montignacs beschreiben, das ein weites Mal beweist, weshalb John Boyne zu den führenden zeitgenössischen britischen Autoren zählt.
Den historischen Hintergrund für diesen Roman bildet das brisante Verhältnis Königs Edward VIII. mit der Amerikanerin Wallis Simpson, für die der König schließlich auf seinen Thron verzichtete. Kaum ein anderes Thema bewegt die Londoner Gesellschaft in diesen Tagen und Wochen mehr - die einen aus Neugierde und Klatschsucht, die anderen aus politischer Besorgnis. Zu Beginn wirkt diese Mesalliance vor allem als Spiegelbild zur folgenschweren Ehe Owens eigener Eltern und demonstriert die unterschiedlichen Haltungen der Charaktere zu diesem Punkt. Doch was zunächst lediglich wie ein untermalendes Zeitkolorit wirkt, entpuppt sich nach und nach als ausgesprochen bedeutsam für die zentrale Handlung des Werkes, in der vieles anders ist, als es anfangs erscheint.
Vielschichtige Charaktere
John Boyne versteht es auf exzellente Weise, seine Charaktere dem Leser schon auf den ersten Seiten vertraut zu machen, ohne sie explizit beschreiben zu müssen. Die Figuren werden stattdessen durch ihr Handeln und ihre Ausdrucksweise vor den Augen des Lesers lebendig; jede Person hat ihre kleinen Eigenheiten, Macken, Schrullen und Redeweisen, durch die sie zu einem unverkennbaren Individuum wird. Auf Schwarz-Weiß-Zeichnung wird dabei verzichtet - selbst die Mörder und Intriganten in diesem Roman tragen sympathische Züge, während die anständigen Charaktere wiederum mit Schwächen versehen sind.
Da ist einmal der ehrenwerte Richter Roderick Bentley, ein Vollblutjurist, der sich nur nach seinem Sinn für Gerechtigkeit leitet lässt und gegen jegliche Beeinflussung immun ist. Der Richter erscheint als ausgesprochen integrer, durchaus strenger, aber nicht unsympathischer Mann, der bei seinen beruflichen Entscheidungen persönliche Empfindlichkeiten stets außen vor lassen möchte - eine Eigenschaft, die im späteren Verlauf noch auf eine harte Probe gestellt wird. Anders steht es da mit seiner Frau Jane, eine schöne und elegante Dame der Gesellschaft, die sich in erster Linie von ihren Gefühlen leiten lässt; dementsprechend nachsichtiger ist Jane mit dem unsteten Gareth. Die Ehe der beiden ist nach über dreißig Jahren immer noch glücklich, doch ihre unterschiedliche Haltung in einer bestimmten Angelegenheit stellt zunehmend eine Belastung dar. Der unglückliche Gareth ist zwar ein verweichlichter Müßiggänger, aber ein schlimmes Schicksal wünscht man ihm dennoch nicht. Seine Bequemlichkeit und Ziellosigkeit wie die hündische Untergegebenheit gegenüber Owen stoßen einerseits ab, andererseits erscheint Gareth als harmloser junger Mann, der ungewollt zum Spielball in einem vielschichtigen Plan wird, der sich auf mehreren Ebenen entspinnt.
"Sein Onkel war tot, und in Kürze würde er, Owen Montignac, ein sehr reicher Mann sein. Das Einzige, was er sich nicht leisten konnte, war ein Gewissen."
Owen Montignac ist die komplexeste Figur des Romans. Dem Autor gelingt die äußerst schwierige Aufgabe, den Protagonisten trotz seiner vielen Fehler und problematischen Züge nicht gänzlich unsympathisch erscheinen zu lassen. Ohne Frage ist Owen eine egoistische Person, handelt kriminell und nutzt seine Mitmenschen aus. Zum Liebling des Lesers wird er nie, gewisse Rückschläge gönnt man ihm von Herzen. Und doch schafft es der Erzähler, den Leser zumindest so weit auf Owens Seite zu ziehen, dass man sich wünscht, dass seine Pläne sich letztlich erfüllen. Owen ist mitnichten nur eine negative Figur, sondern weckt auch ein gewisses Verständnis. Ursprünglich sollte sein Vater Henry das Erbe der Montignacs antreten, ehe er wegen einer unstandesgemäßen Heirat verstoßen wurde und früh verstarb. Owen wuchs zwar wie als Sohn seines Onkels auf, doch das Erbe sollte zunächst sein Cousin Andrew erhalten, ehe es schließlich an Stella geht. Sein Kummer und seine Wut über das Schicksal seiner Eltern und die Überzeugung, dass seinem Vater das Erbe gestohlen wurde, sind nachvollziehbar. Zugleich sorgt Owens gewitzte und clevere Haltung für ein besonderes Lesevergnügen; gerne verfolgt man seine ausgeklügelten Pläne und hat Freude daran, wie falsch ihn seine Umwelt einschätzt.
Reizvoll verwobene Handlung
Neben der Vielschichtigkeit der Charaktere sind vor allem die kleinen Andeutungen aus ihrer Vergangenheit wirkungsvoll, die der Erzähler gut platziert einbaut. Andrew Montignacs früher Tod, die Beziehung zwischen Stella und Owen, das Verhältnis des ehemaligen Kindermädchens Margaret zu ihren Schützlingen sind ein paar dieser Punkte, die zunächst nur en passant gestreift werden, die aber allmählich ihre tiefere Bedeutung entfalten. Diese knappen Rückblicke in die Vergangenheit fügen sich an passenden Stellen in die Handlung ein und tauchen manch ein Ereignis der Gegenwart bald in ein anderes Licht.
Das komplexe Geschehen lässt bis kurz vor Schluss offen, welchen Weg es letztlich einschlägt und hält den Rezipienten gekonnt gefesselt. Immer wieder wartet die Handlung mit kleinen Überraschungen auf, doch erscheinen diese Wendungen nie plakativ oder unrealistisch. Stattdessen wird jede neue Wendung sorgfältig vorbereitet und geschickt im Voraus angedeutet, bis sich am Ende ein weitverzweigtes Netz aus raffinierten Winkelzügen über die gesamte Handlung spannt. Des Weiteren gelungen ist der dezente wie geistreiche Humor, der bei allen tragischen und berührenden Entwicklungen immer wieder zwischen den Zeilen hervorblitzt. Mal sind es zynische Kommentare einzelner Figuren, die amüsieren, mal ist es die Ironie des Erzählers, die auf liebenswerte Weise die Schwäche der Charaktere entlarvt und immer ist es ein dezenter, sparsam dosierter Humor, der sich in in das elegante Gefüge des Romans eingliedert.
Die Schwächen fallen dementsprechend sehr gering aus. In der durchdachten Komposition der Handlung sticht nur ein Punkt heraus, der vergleichsweise konstruiert wirkt; letztlich hätte man diesen Punkt sogar ohne Konsequenzen streichen können, sodass dieser eine unrealistische Aspekt unnötigerweise eingefügt wurde. Das Ende lässt auf eine mögliche Fortsetzung spekulieren, da es einen wichtigen Gedanken anreißt, aber nicht weiter ausführt - wer am Schluss alle Fragen restlos geklärt haben möchte, wird hier nicht ganz zufrieden gestellt.
Unterm Strich präsentiert sich der Roman als ausgesprochen geistreiches Gesamtkunstwerk mit gelungenen Charakteren, das Elemente aus Krimi, Familienepos und Historienroman vereint.
John Boyne, Piper
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