Sturmwarnungen

  • Nagel & Kimche
  • Erschienen: Januar 2004
  • 1
  • Nagel & Kimche, 2004, Titel: 'Sturmwarnungen', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
911001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2006

Seemannsgarn aus der Schweiz

Denkt man an die Schweiz, so kommen einem malerische Bergpanoramen in den Sinn, vielleicht noch Käse und Schokolade oder die Schweizergarde, die den Papst bewacht. Aufgrund ihrer geographischen Lage sollte man meinen, das Volk der Eidgenossen hätte daher mit der Seefahrt nicht so viel am Hut. In ";Sturmwarnungen"; werden wir allerdings eines Besseren belehrt.

Mit seinem Roman, der im Prinzip ein Briefroman ist, präsentiert uns Ulrich Knellwolf einen unerwarteten Teil der Schweizer und gleichzeitig der Weltgeschichte. In einundzwanzig Briefen, einer Vorrede sowie einem Vorwort und einer Nachschrift bekommen wir eine sehr schöne und phantasievolle Geschichte präsentiert, die sich stellenweise anhört, als wäre sie fein gesponnenes Schweizer Seemannsgarn.

Jonathan Swift und Daniel Defoe lassen grüßen

Aber langsam. Geschickt verschachtelt Knellwolf für seinen Roman mehrere Erzählebenen, die sich zunächst etwas verwirrend anhören, beim Lesen aber klar voneinander zu unterscheiden sind. Dem Autor wird ein englischsprachiges Manuskript zur Übersetzung vorgelegt. Dieses Manuskript enthält 21 Briefe eines gewissen Daniel Defoe an einen wichtigen englischen Diplomaten in Diensten des Königs, der entsprechend auf deren Inhalt reagieren soll. Diese Briefe des Daniel Defoe, dem berühmten Autoren des ";Robinson Crusoe";, ist eine Einleitung von Jonathan Swift vorangestellt, der offensichtlich weder Swift noch den Adressaten leiden konnte und dementsprechend ist auch der Stil des Vorwortes ausgefallen.

Die Briefe datieren aus den Jahren 1730/31, diese Jahre bilden den Endpunkt der Geschichte, die Defoe in seinen Briefen erzählt. Dabei spricht er stets neben seiner eigenen katastrophalen Lage über zwei schweizer Piraten, die wegen einer Frau zu Piraten wurden und so die Meere unsicher machten. Durch englische Pseudonyme geschützt, lässt Knellwolf Defoe sehr amüsant zu lesende Briefe schreiben, die aber entweder seinen Adressaten nicht erreichen oder ihn zumindest nicht reagieren lassen. Neben den Klagen ob dieser Tatsache beschreibt Defoe sehr detailreich, wie die beiden Eidgenossen Ashman und Lovecraft ihren Weg machten.

Eine Frau ist schuld

Defoe schreibt von einem Überfall, der auf Seine Majestät verübt werden soll. Der Täter sei ein gewisser Kapitän Lovecraft, der versuchen wird, einen Herrn Ashman aus dem Gefängnis zu befreien. Die Briefe beschreiben nun den Werdegang der beiden Schweizer, ihre Tätigkeiten vor ihrem Piratendasein. So reisten sie bereits zuvor quer durch den europäischen Kontinent, beide als Geistliche, zu welchem Status sie nicht durch das Studium der Theologie gekommen waren. Damals waren die Wiedertäufer noch recht aktiv, vor allem in der Schweiz, aber sie waren auch verboten, und so litten die beiden stets unter der Verfolgung der Gesetzeshüter.

Die Liebe zu einer Offizierstochter, die um ihre Schönheit weiß und die daher mit ihren Anbetungskandidaten gerne Spielchen treibt, macht die beiden Schweizer zu Jäger und Gejagtem. Letzterer, Ashman, gerät in eine missliche Lage nach der anderen, während Lovecraft stets versucht ihn zu befreien.

So verwirrend es sich auch anhören mag, aber der Roman ist ein großes Lesevergnügen, nicht nur für Freunde des Piratenromans. Was an diesem Roman so erfrischend ist, ist der Stil, in dem Knellwolf Daniel Defoe erzählen lässt. Defoe erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, so dass man immer das Gefühl hat mitten im Geschehen zu sein. Durch die Erzählperspektive bekommt die Handlung eine realistische Nähe, als führe man selbst mit zur See oder wäre mit auf der Flucht vor den Häschern.

Hart ist das Piratenleben

Sehr gekonnt verwebt Knellwolf die damaligen Zustände in England und in der Schweiz, vor allem auf religiösem Gebiet, miteinander. Wer im einen Land verfolgt wird, muß es im anderen noch nicht sein und umgekehrt. Seine Protagonisten kämpfen zu Wasser und zu Lande um ihr Leben. Dabei wird das Leben eines verfolgten Priesters, der es ob seines Berufsstandes gelegentlich etwas leichter hat als andere, ebenso bunt formuliert dargestellt, wie das Leben an Bord der Schiffe.

Dass das Leben an Bord eines Schiffes kein Zuckerschlecken ist, ist bekannt, und so erleben wir Verfolgungsjagden, Enterungen und Versenkungen, Krankheiten und viele weitere realistische und unangenehme Begebenheit, die man sich vorstellen kann. Beinahe bekommt man das Gefühl, als würden all diese Klischees vom Autor wie eine Liste abgearbeitet, aber so liest es sich nicht. Durch die Verschachtelung mehrerer Erzählebenen ineinander gerät die Handlung nie in die Gefahr, klischeehaft zu werden. Beinahe liest man sich an den verschiedenen Ebenen schwindelig, wie auch der gesamte Roman ein hohes Erzähltempo vorlegt – etwas Schweiz-unüblich, möchte man fast sagen (um fast ein Klischee zu bedienen).

Daniel Defoe ist tatsächlich am Tag nach der Verfassung seines letzten Briefes im Alter von 71 Jahren gestorben, ohne auf seine dringenden Briefe an Lord Chamberlain je eine Antwort erhalten zu haben. Was übrig bleibt, ist ein schöner Roman, mit unter 300 Seiten ein leckeres Lesebonbon für zwischendurch, kurzweilig und amüsant zu lesen. Man wünscht sich, so etwas öfter in den Händen zu haben.

Wissen Sie noch, was Fiktion und was Realität ist? Ich wünsche Gute Unterhaltung!

Sturmwarnungen

Ulrich Knellwolf, Nagel & Kimche

Sturmwarnungen

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