Nachtauge

  • Blessing
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
  • Blessing, 2013, Titel: 'Nachtauge', Originalausgabe
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Daniela Loisl
901001

Histo-Couch Rezension vonMär 2013

Englische Spionin und ukrainische Gefangene - zwei konträre Leben in der selben Zeit

Kurzgefasst:

1943. Seit drei Jahren macht der britische Geheimdienst MI5 Jagd auf "Nachtauge". Hinter diesem Codenamen verbirgt sich eine deutsche Spionin, die Schienen und Brücken zerstört und Verfolger kaltblütig umbringt. Jetzt steht sie vor ihrem größten Coup: der Aufdeckung einer womöglich kriegsentscheidenden großen Operation der britischen Luftwaffe. Diese bereitet die Bombardierung der größten deutschen Stauseeanlagen vor. Erstes Ziel: die Möhnetalsperre. Hier arbeiten über tausend ukrainische Frauen unter entwürdigenden Bedingungen in einer Munitionsfabrik. Im Lager unterstehen sie dem Befehl von Georg Hartmann. Er gerät unter Druck, weil Gerüchte kursieren, dass er nicht hundertprozentig auf Parteilinie sei. Tatsächlich ist er bei den Arbeiterinnen weit weniger gefürchtet als die brutalen Männer vom Werkschutz. Ahnt Hartmann, dass einige Frauen, unter ihnen auch die ihm sympathische Nadjeschka, einen spektakulären Fluchtversuch planen?

 

London 1943: "Nachtauge" wird die deutsche Spionin genannt, hinter der Eric Knowlden vom MI5 schon lange her ist. Sie agiert dreist und mit so viel Geschick, dass der Ermittler des Geheimdienstes ihr zwar auf der Spur ist, sie aber nie ergreifen kann. Als jedoch ein für den Krieg entscheidender Gegenschlag an die Deutschen, die Operation "Chastise" geplant ist, kommt es zu einem Wettlauf um die Zeit. Unter allen Umständen muss "Nachtauge" davon abgehalten werden, das deutsche Führungskommando über die Operation zu informieren.

Zur selben Zeit in Neheim, Deutschland: Georg Hartmann, eigentlich Lehrer von Beruf, hat sich von seinem Schwager Axel Rottländer die Stelle des Lagerleiters einer Munitionsfabrik vermitteln lassen, um nicht an die Front zu müssen. In der Fabrik kommen gefangene Frauen aus Osteuropa zum Einsatz und Hartmann ist alles andere als geeignet für diesen Job. Sein Schwager, ein eingefleischter Nazi, hält ihn für zu feinfühlig und nachgiebig, was ihn immer öfter in Schwierigkeiten bringt. Als er unter den Neuzugängen die Ukrainerin Nadjeschka kennenlernt, wagt er sich weit vor, um der jungen Frau behilflich zu sein und ihr das Leben im Lager zu erleichtern...

Zwei getrennte Geschichten

Titus Müller erzählt in diesem Buch zwei gänzlich voneinander unabhängige Geschichten und führt gekonnt zwei Erzählstränge, zwischen denen er geschickt wechselt. Einerseits erlebt man hautnah die spannende Jagd des MI5 auf die Spionin "Nachtauge" mit, die dem Geheimdienst stets einen Schritt voraus ist, und anderseits zeigt der Autor auf sehr einfühlsame Weise, wie grausam das Lagerleben und wie hart die Arbeit in einer Munitionsfabrik damals war und es dennoch zu feinen, zwischenmenschlichen Verbindungen kam. Ob die straffe Erzählung um "Nachtauge" oder die einfühlsame Geschichte zwischen Georg und Nadjeschka, beide Erzählstränge sind mit derselben Feinfühligkeit gezeichnet. Die Wechsel zwischen den beiden so konträren Begebenheiten sind stets passend gewählt, sodass weder Verwirrung entsteht noch Längen aufkommen. Im Gegenteil, durch das Wechseln zwischen den so unterschiedlichen Szenerien bleibt der Spannungsbogen stets straff und interessant.

Vielschichtige Charaktere

Ob Georg Hartmann, der seinem Beruf als Lehrer nachtrauert und mit seinem Job als Lagerleiter mehr hadert als zurechtkommt, ob sein Schwager Rottländer, für den die Frauen in der Fabrik nur "Untermenschen" sind, ob Nadjeschka, die von Georgs Verhalten nicht weiß, wie sie das einordnen soll oder auch Knowlden, der in London hinter "Nachtauge" herjagt, alle Figuren sind akribisch und mit viel Liebe fürs Detail gezeichnet. "Perfekte Menschen" sucht man in diesem Buch vergeblich, weshalb die Handlungen der einzelnen Personen auch absolut glaubhaft und nachvollziehbar wirken.

Mit Nachtauge hat sich Müller zwar einer wahren Begebenheit angenommen, aber die Geschehnisse rund um das Paar Georg und Nadjeschka wirken deshalb nicht weniger authentisch.

Spannende geschichtliche Einblicke

Wie machte sich der MI5 auf die Fährte eines Spions? Mit welchen Methoden versuchte man diese zur Strecke zu bringen? Wie war das Leben in einem Arbeitslager und wie war dort die Versorgung? Wie nebenbei beantwortet Titus Müller all diese Fragen und verwebt historische belegte Begebenheiten auf sehr gekonnte Weise mit fiktiven Parts. In keinem Fall wirkt etwas übertrieben oder aufgesetzt.

Die beiden so unterschiedlichen Erzählstränge haben keine Berührungspunkte, bis es am Schluss zum Showdown an der Möhnetalsperre kommt, hier streifen sich die beiden Geschichte, wenngleich sie sich nicht verbinden. Diese letzten und dramatischen Szenen veranschaulichen nochmal eine Tragödie, wie sie tausende Menschen im Krieg erleben mussten.

Titus Müller entwickelt sich mit jedem Buch weiter und mit Nachtauge ist ihm nicht nur ein erzählerisch wunderbarer Roman gelungen, sondern er punktet auch noch mit einer ausgereifteren Sprache. Ein Buch, welches die Dramen des Zweiten Weltkriegs in keiner Weise beschönigt, es aber auch nicht nötig hat, mit reißerischen und grausamen Szenen zu punkten. Im Ganzen ein gut abgerundeter Roman, der sowohl Thriller, Spionage, Liebe und Spannung auf harmonische Weise bietet.

Nachtauge

Titus Müller, Blessing

Nachtauge

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