Der Teufel vom Ryck
- Hinstorff
- Erschienen: Januar 2011
- 3
- Hinstorff , 2011, Titel: 'Der Teufel vom Ryck', Originalausgabe
Interessanter Einblick in die Medizingeschichte im ausgehenden Mittelalter
Greifswald, 1490. Martin Haffer arbeitet als Kopist in der einzigen Kopierstube der Stadt, wo er eines Tages eine Nachricht vorfindet. Professor Heiden, der gemeinsam mit Professor Lazar an der medizinischen Fakultät unterrichtet, bietet Martin einen einträglichen Nebenverdienst an. Unter strengster Geheimhaltung soll Martin in Heidens Haus ein einmaliges Buchexemplar kopieren, in dem es um die Bekämpfung der Pocken geht. Martin ist über die Vorsichtsmaßnahmen des Professors zwar überrascht, macht sich jedoch umgehend an die Arbeit. Nur wenige Tage später findet er den Professor und dessen Diener ermordet in Heidens Keller und wird dabei selber niedergeschlagen.
Erst nach einer Woche erwacht Martin von seiner Verletzung und muss erfahren, dass zwischenzeitlich auch sein bisheriger Arbeitgeber verstarb und die Kopierstube daraufhin geschlossen wurde. Umso mehr erfreut es Martin, dass ihm Professor Lazar in seinen Haushalt aufnimmt und ihm eine Stelle als dessen Sekretär anbietet. Doch Martins Neugier überwiegt und so möchte er herausfinden, wer den Professor ermordet und ihn selber niedergeschlagen hat. Schnell erkennt er, dass es mehrere bekannte Personen in der Stadt gibt, die ein Mordmotiv hatten&
Breitgefächerter Einblick in das Alltagsleben
In ihrem ansprechenden Debütroman schreibt Emma Wittenstein nicht nur über die Aufklärung eines Mordfalles, sondern beleuchtet vor allem die medizinische Welt der damaligen Zeit. Heftig wird an der Universität über die Lehrmethoden gestritten. Während die Traditionalisten vehement darauf bestehen, dass die Mediziner als Wissenschaftler sich um Studium und Lehre zu kümmern hätten, glauben andere, dass mehr praktische Erfahrungen nicht schaden könnten, wenngleich die Durchführung von Operationen den Chirurgen vorbehalten ist. Diese wiederum werden als reine Handwerker anzusehen, die mit der Lehre geistig überfordert wären. Während die konservativen Mediziner weiterhin unbeirrt an Galens Vier-Säfte-Lehre festhalten, hat sich Heiden im Geheimen mit der Erforschung der Pockenkrankheit beschäftigt und dabei herausgefunden, dass Galen in einigen Punkten Unrecht hat.
Ich kann es nicht mehr hören. Wie wenig Verstand kann man besitzen! Medizin ist eine Wissenschaft! Wem nützen Studenten, die zwar Patienten behandeln können, sich aber nicht aufs Disputieren verstehen. Die geistige Auseinandersetzung unterscheidet die Wissenschaft von einem Handwerk und muss daher stets Vorrang haben.
Durch mehr oder weniger vorsichtiges Befragen einflussreicher Mediziner, Chirurgen, Bader und Barbiere erhält Martin umfassend Einblick in die aktuelle Diskussion und erfährt von Heidens geheimen Sektionen in dessen Keller. Während seine Kollegen darauf bestehen, anatomische Kenntnisse anhand von Lehrbüchern und der Sektion von Schweinen zu vermitteln, arbeitet Heiden lieber mit menschlichen Leichen. Wer sich für die Geschichte der Medizin, hier im ausgehenden Mittelalter, interessiert, sollte sich Der Teufel vom Ryck durchaus zur Hand nehmen. Viel erfährt man über Theorie und Praxis zur Bekämpfung der Pocken sowie der Lepra, wobei die Streitereien unter den Gelehrten ebenfalls zu fesseln verstehen. Tradition trifft auf Moderne, könnte man vereinfacht sagen, oder andersherum, es wird aufgezeigt, wo wissenschaftliche Forschung seinerzeit an ihre (moralischen) Grenzen traf.
Knochen sind etwas für Chirurgen. Wir Ärzte üben uns in der Heilkunst und kurieren Krankheiten im Inneren des Körpers. Ein gebrochenes Bein ist keine Krankheit, sondern erfordert handwerkliches Geschick. Darum kümmern sich die Chirurgen, um die leichten Brüche die Barbiere.
Die Figuren sind lebhaft dargestellt, vor allem Martin kommt sehr angenehm herüber. Ein Protagonist den man gerne begleitet und weitere Fälle wünscht, wenngleich die Einstiegshürde zu überwinden ist, denn so ganz erschließt es sich einem nicht, warum ein einfacher Kopist den Mächtigen der Stadt Fragen stellt, diesen dabei schon mal auf die Füße tritt und sich somit letztlich selber in Gefahr begibt. Er hätte ja auch einfach so sein neues Leben bei Professor Lazar annehmen können. Seis drum, der Mordfall will geklärt werden und da die offizielle Lösung des Falles nur allzu schnell auf dem Tisch liegt und überdies offensichtlich unstimmig ist, muss halt Martin ran. Die übrigen Personen sind mitunter etwas stereotyp dargestellt wie beispielsweise der streng gottesgläubige Lazar, was aber durchaus der damaligen Zeit geschuldet sein mag. Etwas einfältig veranlagt wollte man nicht unnötig über den eigenen Tellerrand hinwegblicken und dort möglicherweise unerwünschte Probleme entdecken.
Emma Wittenstein, Hinstorff
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