Potsdamer Affäre
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2013
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- Gmeiner, 2013, Titel: 'Potsdamer Affäre', Originalausgabe
Donnerwetter, sind wir Kerle...
Am 07.April 1913 wird Oberleutnant Wedigo von Wedel unerwartet abkommandiert. Er muß seinen Posten beim Garderegiment in Potsdam zeitweise verlassen. Dafür erwarten ihn neue Aufgaben im Kriegsministerium in Berlin. Allerdings kommt Wedigo die ganze Sache seltsam vor, denn die Begründung für diesen Ortswechsel, die ihm sein Kommandeur mit auf den Weg gab, erscheint mehr als fadenscheinig. Aber auch aus dem Ministerium erhält er keine wirklich nachvollziehbare Erklärung dafür. Allerdings ist die neue Aufgabe von Wedels sehr interessant, denn er ist bei der Spionageabwehr gelandet. Außerdem wird er sofort in eine Mordermittlung hineingezogen. Am Tag seiner Ankunft im Ministerium werden ein hoher Offizier und ein Wachsoldat ermordet aufgefunden. Wedigo, der bisher noch nie mit Kriminalfällen zu tun hatte, ist fasziniert. Dazu kommt, daß er auf Anweisung seines neuen Chefs im Hotel Adlon wohnen muß, ein Luxus, den sich Oberleutnant von Wedel mit seinem eher schmalen Budget nicht selbst leisten könnte. Was er noch nicht weiß: Bei den beiden ersten Morden wird es nicht bleiben.
Im Adlon lernt er auch die wunderschöne Gräfin Walewska kennen, die sehr an einer Bekanntschaft mit ihm interessiert zu sein scheint und einen eher unkonventionellen Lebensstil pflegt. Auch die Freundin der Walewska, Baronesse Odilie von Moltweer, kennt recht undurchsichtige Leute. Beide Damen haben Spaß daran, sich in der Berliner Künstlerszene zu bewegen. Und bald findet sich auch Wedigo von Wedel zuerst auf einer Atelierparty und später sogar in der Mulackritze oder im "Café Größenwahn" wieder, zwei Etablissements, in die der eher konservative Offizier unter normalen Umständen keinen Fuß gesetzt hätte.
Aber noch immer weiß er nicht, warum er wirklich ins Kriegsministerium versetzt wurde. Erst nach und nach wird ihm klar, welche Aufgabe er in einem heiklen Spiel übernehmen soll, das sich einige Offiziere bei der Spionageabwehr ausgedacht haben. Einzig Major Nicolai, Wedigos neuer Vorgesetzter, scheint sich wirklich um den jungen Oberleutnant zu kümmern und ist auch um seinen Schutz besorgt. Dieser Schutz ist wohl auch nötig, denn plötzlich passieren seltsame Dinge, die von Wedigo stete Wachsamkeit und vollen Einsatz erfordern. Und immer scheint Gräfin Melissa Walewska ihre Finger mit im Spiel zu haben. Oder ist es Odilie von Moltweer, die hier die Fäden zieht? Eins aber scheint fest zu stehen: Keine der beiden Frauen handelt im eigenen Interesse. Hier steht ein großer Geheimdienst im Hintergrund, die russische Raswedka!
Du bist so wunderbar, Berlin!
Heiger Ostertag entführt seine Leser in das pulsierende Berlin kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Der Roman spielt im April und Mai 1913, politische Spannungen sind schon deutlich spürbar, aber der Schrecken des Weltkriegs ist noch weit genug entfernt. Die Spionageabwehr jedoch hat immer gut zu tun, auch in Friedenszeiten. Der junge Oberleutnant, relativ ahnungslos, aber keineswegs auf den Kopf gefallen, bietet sich hier als Protagonist geradezu an. Ostertag scheucht ihn denn auch durch alles, was in Berlin damals Rang und Namen hatte, angefangen mit dem mondänen Adlon über Mulackritze und Clärchens Ballhaus ins Café des Westens, genannt Café Größenwahn. Ein Künstlerfest, der Besuch einer Schlagerrevue, eine Bootspartie, der Autor lässt nichts aus, um für den Leser das Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts auferstehen zu lassen. Ein rundum gelungener Versuch übrigens, denn Ortskenntnis und Faktenwissen Ostertags lassen hier ein stimmiges Panorama entstehen, an dem der Leser viel Spaß haben kann.
Bekannte Persönlichkeiten der Berliner Künstlerwelt tauchen auf, was dem Roman zusätzlich Realitätsnähe einhaucht. Dazu kommt ein besonderes Schmeckerchen für Histo-Freaks: Wedigos regelmäßige Zeitungslektüre, bei der heutige Leser erfahren, was denn im April vor hundert Jahren so angesagt war, welche Themen die Menschen bewegten und welche politischen Ereignisse Gesprächsstoff lieferten. Offenbar konnte der Autor auch nicht der Verlockung widerstehen, den legendären Ernst Gennat auftreten zu lassen, Berlins wohl bis heute bekanntesten "Kriminalen", der auch schon in Romanen anderer Autoren literarische Auferstehung feiern durfte.
Entstanden ist so eine wunderbare Mischung aus Fiktion und Realität, die ihre Leser in den Bann schlagen kann. Gerade Berliner Leser werden hier eine Menge Spaß haben. Allerdings sind alle Beschreibungen so angelegt, daß auch alle anderen Leser gut mithalten können und keine speziellen Kenntnisse der Berliner Geschichte notwendig sind. Ein wenig sollte man jedoch über die politische Großwetterlage in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wissen, das erleichtert die Jagd nach den Bösewichten ungemein.
Verwickelte Angelegenheit
Heiger Ostertag schreibt interessant und schafft es auch, den einmal aufgebauten Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht zu erhalten. Da sind keine Längen, die dazu verleiten könnten, das Buch erst mal zur Seite zu legen. Im Gegenteil: Hat man einmal angefangen zu lesen, dann entsteht ein regelrechter Sog, der dazu verführt, gleich noch die nächste Seite zu lesen, und noch eine, und noch eine, schließlich will man ja wissen, was als nächstes passiert! Und selbst wenn der Roman zu Ende ist, bleibt da der Wunsch, über diesen pfiffigen Oberleutnant mal wieder etwas zu lesen. Überhaupt sind die Protagonisten in diesem Roman Menschen, die einen eigenen Charakter entwickeln dürfen. Manch eine Figur bleibt etwas blaß, wie z.B. das Fräulein von Bredow, aber das ist wohl eher dem Stellenwert als Nebenrolle geschuldet. Die beiden zwielichtigen Damen jedoch, die hier durch die Seiten geistern, schillern in allen Regenbogenfarben und durchaus phantasieanregend.
Was den eigentlichen Kriminalfall angeht, so ist der zunächst einmal alles andere als übersichtlich. Der Leser wird mit Fakten geradezu überschüttet. Aber der Autor hat hier einen angenehmen kleinen Trick mit eingebaut. Seine Ermittler sind keine einsamen Jäger, die ihr Wissen still für sich horten und dann zum Halali blasen. Als ordentliche deutsche Offiziere machen sie eine regelmäßige Lagebesprechung, alle Fakten kommen auf den Tisch, werden neu sortiert und bewertet. Das erleichtert dem Hobbydetektiv im Lesesessel natürlich die eigene Forschungsarbeit sehr. Trotzdem ist es nicht leicht, hier zur Lösung zu finden, unter anderem auch deshalb, weil Ostertag es eben nicht bei einer Lösung bewenden lässt. Und dann werden plötzlich - wie in fast jedem guten Krimi - auch die kleinen Nebensächlichkeiten wichtig, die man als Leser vorher gar nicht so richtig registriert hat. So ist das Ganze angemessen verwickelt und macht Spaß.
Der Dativ und der Genitiv
Potsdamer Affäre ist ein Roman, der die Bezeichnung "Historischer Kriminalroman" unbedingt verdient hat. Er zeichnet sich durch umfangreiche Recherche und einen ansprechenden Kriminalfall aus. Schade allerdings, daß der Lesefluß zumindest in den ersten beiden Dritteln des Romans immer wieder stockt, weil man über Fehler stolpert. Es sind vermutlich einfache Druckfehler, die letztendlich aber ganze Sätze grammatikalisch entstellen:
"Am Samstagmorgen saß Wedigo gegen zehn Uhr beim Frühstück, das heute aus zwei Eiern im Glase, einer Butterstulle und duftenden Kaffee bestand..."
"Wedigo ärgerte sich über Melissas bewusster Distanz..."
"Auf dem Bett hatte einer der Bediensteten ein Nachtgewand gelegt..."
Solche Fehler sind ärgerlich für die Leser, vor allem aber sind sie vermeidbar. Nur gut, daß dieser Roman so spannend geschrieben wurde, daß man derartige Irritationen dann schnell ad acta legen und weiter lesen kann.
Das Cover spricht mit einer Berliner Straßenszene aus der Zeit um 1913 an, im Hintergrund die Gedächtniskirche, in deren Nähe ebenfalls Szenen aus dem Roman spielen. Eine wirklich gelungene Gestaltung.
Der Gmeiner Verlag hat hier einen richtig guten Histo-Krimi auf den Markt gebracht. Ein echter Tipp, für Berlin-Fans genauso wie für Krimileser. Und es bleibt die Hoffnung auf eine Fortsetzung!
Heiger Ostertag, Gmeiner
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