Das gelbe Hurentuch

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2013
  • 6
  • Gmeiner, 2013, Titel: 'Das gelbe Hurentuch', Originalausgabe
Das gelbe Hurentuch
Das gelbe Hurentuch
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Eva Schuster
751001

Histo-Couch Rezension vonAug 2013

Essiggurken-Hannerls erster Fall im mittelalterlichen Wien

Wien, Ende des 14. Jahrhunderts: Johanna Maipelt ist eine ehemalige Dirne, die mittlerweile in die Jahre gekommen ist. Auf ihre alten Tage hat sie sich als Köchin ins Büßerinnenkloster St. Hieronymus zurückgezogen, das ehemalige Huren aufnimmt. Die resolute Johanna gerät zwar öfter mit der strengen Meisterin Cäcilie aneinander, doch ihre beliebten und einträglichen Essigrezepte machen sie im Kloster unentbehrlich.

Die Stadt steht in diesen Tagen ganz im Zeichen der Herzogshochzeit. Auch die Dirnen im Frauenhaus bei der Laimgrube dürfen den Festzug begleiten. Darunter ist die zwölfjährige Gretlin, die den Frauen durch allerlei nützliche Hilfen zur Hand geht. Zu ihrem eigenen Schutz soll die naive Gretlin eigentlich das Haus möglichst nicht verlassen, doch schließlich darf sie auf ihren Wunsch beim Festzug dabei sein.

Zu den Besuchern der Hochzeit gehören auch Bernhard von Randegg, der Patriarch von Aquileia, und sein sechzehnjähriger Neffe Sanders, der seit dem frühen Tod seiner Eltern bei ihm lebt. Im Anschluss an die Feierlichkeiten finden die beiden eine tote Dirne - offenbar wurde sie stranguliert. Bei der Toten ist die verstörte Gretlin, die kurzerhand von den Stadtwachen als angebliche Hure ins Büßerinnenkloster gebracht wird. Johanna durchschaut schnell, dass es sich bei Gretlin mitnichten um eine Hure handelt. Bald darauf geschieht ein zweiter Mord, der mit dem ersten in Verbindung zu stehen scheint ...

Ausgiebiges Lokalkolorit

Das spätmittelalterliche Wien ist ein vielversprechendes Setting, dessen Vorzüge Anna Fuchs gut zu nutzen weiß. In ihrem ersten Roman um die ehemalige Dirne Johanna Maipelt entwirft die Autorin ein detailliertes Sittengemälde, das das Wiener Alltagsleben eindrucksvoll vor Augen führt. Insbesondere das Leben der Dirnen wird intensiv beleuchtet und zwar immer wieder humorvoll, aber auch ungeschönt dargestellt. Des Weiteren erfährt der Leser viel über adlige Gepflogenheiten, über rechtliche Aspekte, über den Alltag im Büßerinnenkloster, über Kleidung, Essen, Körperpflege und Feste. Um die Authentizität zu erhöhen, werden immer wieder Sätze im Dialekt eingeflochten, die in besonders schwierigen Fällen in Fußnoten ins Hochdeutsche übersetzt sind.

Besonders gelungen sind die Reiseschilderungen, die den Weg von Sanders und seinem Oheim illustrieren. Die Reise führt sie über die Alpen nach Augsburg, Regensburg und Wien. Sanders hat sein bisheriges Leben fast ausschließlich in Lucca verbracht und geht nur sehr unwillig mit seinem Onkel aus seiner Heimat fort. Die Strapazen der Reisewege bleiben ebensowenig außen vor wie die die zahlreichen kulturellen Schätze, denen der staunende Sander nach und nach begegnet. Ein Höhepunkt darunter ist der Besuch des Wiener Stephansdoms, dessen prachtvolle Ausstattung sich vor dem geistigen Auge des Lesers entfaltet. Die Autorin spart nicht an Lokalkolorit, ohne dass der Tonfall des Erzählers jemals zu trocken wird oder ins Dozierende abgleitet. Auf vergnügliche Weise lernt man einige interessante Dinge über das Wien im späten 14. Jahrhundert.

Gelungene Charaktere

Das Essiggurken-Hannerl, wie sie liebevoll genannt wird, ist eine gelungene Hauptfigur. Johanna Maipelt ist die typische Verkörperung der (ehemaligen) "Hure mit Herz", die trotz oder gerade wegen ihrer recht derben Art schnell die Sympathien des Lesers für sich gewinnt. In ihrer Zeit als Dirne gibt es nichts, was sie nicht schon gesehen hätte und diese Lebenserfahrung kommt ihr nun auf ihre alten Tage zugute, als sie sich der kleinen Gretlin annimmt. Johanna ist resolut, aber herzlich und trotz gewisser Klischees keine eindimensionale Protagonistin. Trotz ihrer schrullig-komischen Art hat Johanna auch eine nachdenkliche Seite, die hin und wieder hervorblitzt und verhindert, dass die Handlung zu albern wird. Für humorvolle Szenen wird im Werk reichlich gesorgt: Amüsant ist etwa das Verhältnis zwischen Johanna und Barthel, dem alten, fast zahn- und haarlosen Hausknecht im Kloster, der die füllige Köchin verehrt und sich manch Wortgefecht mit ihr liefern muss.

Reizvoll und lustig ist auch das Zusammenspiel zwischen dem anfangs verwöhnten und verweichlichten Sander und Ewald von Wolkenberg. Ewald ist der Sohn des ehemaligen Hauptmanns, der Sanders Oheim als Knappe auf der Reise anvertraut wird. Als Sander vor dem ersten Treffen erfährt, dass Ewald drei Jahre jünger ist als er, fürchtet er einen ängstlichen Knaben, der ihm die ganze Reise über am Rockzipfel hängen wird. Tatsächlich aber entpuppt sich Ewald trotz seiner dreizehn Jahre als gleich groß und deutlich kräftiger als Sander, ist gewitzt und vorlaut und hat mit den rauen Reisebedingungen weitaus weniger Probleme. Trotz aller Unterschiede freunden sich die beiden Jungen rasch an, woraus sich im Laufe der Handlung einige humorvolle Szenen ergeben.

Geringer Krimianteil

Zu den Schwächen gehört der etwas behäbige Anfang, es dauert eine Weile, bis der Leser voll und ganz von den Geschehnissen gefesselt ist. Rund 150 Seiten braucht es, bis der angekündigte Mord an einer Dirne tatsächlich eintrifft und noch länger, bis Johanna schließlich damit konfrontiert wird. Gewiss ist die Handlung bis dahin nicht langweilig und dient dazu, die Charaktere vorzustellen. Doch wer sich vor allem auf den kriminalistischen Teil der Handlung freut, wird hier ein wenig zu lange auf die Folter gespannt.

Überhaupt fällt der kriminalistische Aspekt verhältnismäßig spärlich aus. Der Täter ist dem Leser früh bekannt, das Motiv ist nicht überraschend. Ein bestimmter Aspekt wird zwar spät enthüllt, nachdem eine Person ihn auf dem Sterbebett nicht mehr aussprechen konnte. Das Verschweigen dieses Punktes wird aber viel zu gekünstelt in Szene gesetzt und erscheint dadurch erst recht auffällig, sodass der Leser weit vor den Figuren ahnt, was sich dahinter verbirgt. Johanna tritt überdies nicht wirklich als Ermittlerin in Erscheinung. Sie ist zwar die zentrale Gestalt des Romans, sie macht sich ihre Gedanken um die Zusammenhänge und greift auch aktiv ins Geschehen ein - detektivische Arbeit kann man diese Handlungen jedoch nicht nennen. Der Fokus des Werkes liegt deutlich auf der Schilderung des Sittengemäldes der mittelalterlichen Stadt, während die Erwartungen von Krimifreunden enttäuscht werden können. Etwas störend nimmt sich auch der Zeitsprung von knapp zehn Jahren aus, der zwischen dem ersten und zweiten Teil der Handlung liegt. So werden scheinbar von heute auf morgen aus Sander ein junger Mann und aus Gretlin eine junge Frau, was sich für den Leser zunächst gewöhnungsbedürftig darstellt.

Unterm Strich ist Das gelbe Hurentuch ein unterhaltsamer Roman mit sympathischen Hauptfiguren und viel Lokalkolorit. Die Krimihandlung fällt kleiner aus als erwartet und ist eher Beigabe als Hauptaspekt. 

Das gelbe Hurentuch

Anna Fuchs, Gmeiner

Das gelbe Hurentuch

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