Wiener Vorfrühling
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2013
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- Gmeiner, 2013, Titel: 'Wiener Vorfrühling', Originalausgabe
Das Vater-Tochter-Duo ermittelt erneut im Wien des frühen 20. Jahrhunderts
Wien im März 1917: Der Erste Weltkrieg befindet sich mittlerweile im dritten Jahr. Die junge Sophia Sachtl, Tochter des Hofrats Felix von Wiesinger, ist bereits verwitwet und Mutter eines kleinen Sohnes. Auch wenn die Front weit weg ist, bekommen auch die Wiener Bürger mittlerweile die Entbehrungen des Krieges zu spüren.
Sophia, ihr Vater und ihre Stiefmutter Ada bemühen sich, durch karitative Hilfe die Bedürftigen in der Gesellschaft zu unterstützen. In dieser Zeit geschehen in zwei Wohltätigkeitseinrichtungen beunruhigende Dinge: Erst wird ein Säugling in der Organisation "Frauenrat" tot aufgefunden, dann verschwindet ein anderer aus einem Waisenhaus, nur um kurz darauf anderenorts wieder aufzutauchen.
Ada belasten die Vorkommnisse zusehends, die Polizei allerdings sieht keinen Anlass für aufwändige Ermittlungen. Sophias Vater stellt unbeirrt Nachforschungen an und stößt auf weitere Ungereimtheiten. Unterdessen erhält Familie Wiesinger überraschenden Besuch aus England. Der junge Max Heger sucht seine Mutter und Schwester, die mit den von Wiesingers bekannt sind. Seine Mutter arbeitete in einer der Wohltätigkeitsorganisationen - und es verdichtet sich der Verdacht, dass ihr Verschwinden etwas mit den seltsamen Geschehnissen zu tun hat. Um Genaueres zu erfahren, wird Sophia als Mitarbeiterin in eine der Organisationen eingeschleust ...
Düstere Entwicklungen im Wien des Ersten Weltkrieges
Drei Jahre sind vergangen, seit Sophia und ihr Vater Felix sich mit einer Serie von Frauenmorden in Wien befassten. Damals stand der Erste Weltkrieg unmittelbar vor dem Ausbruch, inzwischen hat er seinen Höhepunkt erreicht und die Wiener Bevölkerung sehnt sich das Ende herbei. Familie von Wiesinger geht dabei besser als den meisten anderen Bewohnern der Stadt; exquisites Essen und Opernbesuche stehen nach wie vor an der Tagesordnung. Besonders Ada von Wiesinger hat ein schlechtes Gewissen, weil es ihr so viel besser geht als vielen anderen Wienern. Mit ihrem Engagement in karitativen Organisationen möchte sie etwas von ihrem Glück zurückgeben - und stößt dabei auf mysteriöse Vorgänge, die bald darauf Sophia und ihren Vater auf den Plan rufen.
Ein toter Säugling und verschwundene Kinder, die kurz darauf wieder auftauchen, sind für die Behörden kein Grund für ausufernde Ermittlungen. Eine verzweifelte Mutter mag ihr totes Kind dort abgelegt haben, wo es ein anständiges Begräbnis erhält, andere Waisenkinder aus der Organisation sind womöglich für das kurzzeitige Verschwinden und erneute Ablegen der Säuglinge verantwortlich. Der Kriminalbeamte Felix von Wiesinger und seine nicht minder kriminalistisch begabte Tochter Sophia ahnen, dass sich hinter diesen scheinbar unbedeutenden Geschehnissen mehr verbirgt, als es zunächst den Anschein hat. Das plötzliche Auftauchen von Max Heger, der seine Mutter und Schwester sucht, wirft weitere Fragen auf.
Fokus auf den Charakteren
Die Kriminalhandlung ist von Beginn an interessant, entwickelt sich indessen nur gemächlich. Vor allem in der ersten Hälfte des Romans liegt der Fokus stattdessen auf den Gemütslagen der Charaktere und auf der Darstellung der gesellschaftlichen Zustände. Sophia Sachtl ist trotz ihres jungen Alters schon Witwe und trägt Verantwortung für den einjährigen Sohn Karl. Ihre Rolle ist merklich kleiner angelegt als bei ihrem ersten Auftreten in Wiener Herzblut. Das mag die Leser enttäuschen, die sie gerne erneut als führende Protagonistin gesehen hätten; andererseits ist es positiv, dass sie nicht so dominant in der Handlung ist, da sie im ersten Band doch etwas übertrieben engelsgleich, intelligent und emanzipiert, kurz, zu perfekt, wirkte.
Sie vermisst ihren verstorbenen Mann, der zugleich der beste Freund ihres Vaters war - doch sie ist sich bewusst, dass Rudolf Sachtl nicht ihre große Liebe, sondern eher ein inniger Vertrauter war. Der Leser ahnt, dass Sophia Gefallen an dem intelligenten und künstlerisch begabten Max Heger finden wird und tatsächlich nähern sich die beiden jungen Leute bald an. Max Heger wiederum erscheint als durchaus charismatische und sympathische Gestalt. Seine Mutter Christine war einst die Gouvernante der ersten Frau von Wiesinger, Sophias früh verstorbener Mutter. Natürlich ist der junge Mann daher willkommen bei ihnen und die Familie möchte ihm helfen, Informationen zum Aufenthaltsort seiner Mutter und Schwester zu finden. Das Ehepaar Wiesinger sieht die Annäherung zwischen Max und Sophia allerdings auch durchaus kritisch - schließlich wissen sie nicht viel über ihren Besucher
Während Sophia etwas weniger im Mittelpunkt steht als im vorherigen Band, wird dafür ihre Stiefmutter umso intensiver beleuchtet. Ada von Wiesinger ist eine sensible Frau, die in der karitativen Arbeit aufgeht. Besonderen Gefallen hat sie an dem etwa zwölfjährigen Waisenjungen Albert gefunden - ein ausgesprochen kluger Junge, der aber nur schwer Vertrauen fasst und dem irgendetwas Schlimmes zugestoßen sein muss.
Wie schon in "Wiener Herzblut" gelingt es der Autorin gut, die historischen Begebenheiten und Personen in die fiktive Handlung einzubetten. Hier weiß vor allem der kurze, amüsante Auftritt Sigmund Freuds zu gefallen, der gut mit Felix von Wiesinger bekannt ist. Von Wiesinger fragt ihn um Rat bezüglich Sophia und äußert den besorgten Verdacht, dass Sophia ihre Ängste unterdrückt - der Psychoanalytiker jedoch winkt nur ab und meint, dass sich von Wiesinger nicht von seinen Schriften verunsichern lassen solle. Für humorvolle Szenen sorgt auch der etwas schrullige Pospischil, der gerade pensionierte Polizist, der in von Wiesingers Auftrag verdeckte Ermittlungen betreibt und sich teilweise reichlich unwohl in seiner Maskerade fühlt.
Steigende Spannung im zweiten Teil
Erst in der zweiten Hälfte des Romans beginnt sich die Kriminalhandlung zu entfalten. Grund dafür sind einmal neue Erkenntnisse über das Verschwinden von Max Hegers Mutter und Schwester sowie Sophias Nachforschungen in der Wohlfahrtsorganisation "Kinderwünsche". Ganz allmählich verdichten sich die Indizien, was es mit den Vorkommnissen auf sich haben könnte und natürlich bangt der Leser um Sophia, die sich geradewegs in die Höhle des Löwen begibt. Bald ist offensichtlich, dass das Verschwinden der beiden Heger-Frauen eine wichtige Rolle im Zusammenhang der anderen Ereignisse spielt - doch die genauen Zusammenhänge werden erst spät offenbart. Den Leser erwarten auch diverse überraschende Wendungen, die scheinbare Erkenntnisse plötzlich wieder in ein neues Licht stellen.
Wer sich einen temporeichen Krimi erhofft, wird wie schon im Vorgängerbuch sicher enttäuscht werden. "Wiener Vorfrühling" zieht seinen Leser nicht allein durch die Krimihandlung, sondern auch durch das ausgefeilte Sittengemälde jener Zeit und die bald nostalgische, bald melancholische Atmosphäre in den Bann. Wer die Wiener Lebensart und die vielen liebevollen Details zu dieser Epoche zu schätzen weiß, wird hier ausgezeichnet unterhalten - ein wenig Geduld muss man allerdings durchaus mitbringen sowie die Bereitschaft, sich auf den eher betulichen Stil einzulassen, der dafür umso authentischer wirkt.
Etwas schade ist es, dass der Roman glatte drei Jahre nach dem ersten spielt und wichtige Ereignisse wie den Tod von Sophias Ehemann und die Geburt ihres Sohnes hier nur gestreift werden. Zu Beginn der Lektüre kann man leicht das Gefühl bekommen, man habe einen Zwischenband verpasst, so selbstverständlich und knapp werden diese Punkte abgehandelt. Zugleich ist das Werk aber doch so eng mit dem Vorgänger verbunden, dass es sich nicht empfiehlt, es ohne ohne Kenntnis von Wiener Herzblut zu lesen. Die Kriminalhandlung ist davon zwar losgelöst, doch das Beziehungsgeflecht der Charaktere untereinander und generell die Figuren lassen sich mit Vorkenntnissen viel besser beurteilen.
Als Fazit bleibt ein atmosphärischer Kriminalroman, der ins Wien zur Zeit des Ersten Weltkrieges entführt. Die Spannung baut sich zwar erst in der zweiten Hälfte intensiv auf, dafür erwarten den Leser durchgehend reizvolle Charakterschilderungen. Wer an dem Vorgänger Wiener Herzblut seine Freude hatte, sollte sich den Nachfolger nicht entgehen lassen.
Ulrike Ladnar, Gmeiner
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