Wie ein Versprechen
- Querverlag
- Erschienen: Januar 2013
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- Querverlag, 2013, Titel: 'Wie ein Versprechen', Originalausgabe
Wann Schiet wat ward!
Man schreibt das Jahr 1928, als Daufdine Harms, genannt Dina, aus ihrem friesischen Dorf nach Hamburg kommt. Die Haushaltsschule will sie besuchen. Eine andere Ausbildung hatte Dinas Mutter nicht akzeptiert, was also bleibt dem jungen Mädchen übrig? Dina will unbedingt nach Hamburg, in die große, flirrende Stadt. Denn Dina weiß genau, daß sie anders ist als die meisten Mädchen, daß sie nie einen Mann heiraten wird. Sie interessiert sich nur für Frauen. Und wenn es einen Menschen gibt, der nicht für die Haushaltsschule gemacht wurde, dann ist es wohl Dina Harms. Der Unterricht dort wird für sie zum Spießrutenlauf. Wäre da nicht Ida Lerch, dann würde Dina völlig verzweifeln. Ida jedoch ist nicht nur Mitschülerin, sondern wird schnell zur besten Freundin. Durch Ida bekommt Dina auch Kontakt zu anderen jungen Leuten und lernt Hamburg immer besser kennen.
Ein Zufall bringt Dina in das Atelier des Fotographen Siegfried Lohmann, der Dina eine Ausbildung anbietet. Begeistert nimmt sie das Angebot an und ist bald mit ihrer Kamera in Hamburg unterwegs. In Lohmanns Atelier lernt sie auch die bezaubernde Selene von Merten kennen, eine ebenso kapriziöse wie sensible junge Dame, politisch aktive Medizinstudentin aus gutem Hause und mit eher schlechtem Ruf. Das ist die große Liebe! Die eine und einzige große Liebe für Dina.
Doch bald muß sie feststellen, daß es nicht so einfach ist, Selene zu lieben. Denn Selene hat Geheimnisse, taucht oft Wochen und Monate nicht auf. Dina kämpft um ihre Liebe. Und es wird nicht einfacher als sie begreift, daß es da noch jemanden gibt, der sie liebt: Ida, die Freundin, die alles tun würde um Dina für sich zu gewinnen.
Als sich am Horizont die Schatten der Nazis abzeichnen, trifft Idas vorausschauender Vater die Entscheidung, mit seiner Familie nach England auszuwandern. Als Jude sieht er für sich keine Zukunft in Deutschland. Selene engagiert sich zunehmend bei der kommunistischen Partei und gerät immer aufs Neue in Gefahr. Dina dagegen hat plötzlich einen Verehrer, einen, gegen den sie sich kaum wehren kann und den sie nur zu bald als Gestapo-Chef in Hamburg wieder treffen soll. Siegfried, der Fotograf, sieht die politischen Veränderungen mit großem Misstrauen. Wann Schiet wat ward!, meint er mit skeptischen Blick auf die Nazis. Für eine Liebe zwischen Frauen gibt es keinen Platz in dieser braunen Welt.
Mehr als Rotlicht in St. Pauli
Stefanie Zesewitz hat für ihren Roman ein ausgesprochen interessantes Sujet gewählt. Gleichgeschlechtliche Liebe in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die ersten Auswirkungen der Nazidiktatur auf homosexuelle Beziehungen, dies alles vor dem Hintergrund eines quicklebendigen, brodelnden Hamburgs. Mittendrin die Protagonistin Dina, die aus ihrem braven friesischen Dorf in diese Stadt kommt wie ein Fisch ins Wasser. Diese Konstellation verleiht dem Roman Spannung und Farbe. Dazu kommt die dramatische Liebesgeschichte dreier Frauen, die wohl niemanden kalt lässt.
Dabei zieht die Autorin alle Register, um ihre LeserInnen in das Hamburg Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre zu versetzen. Dina kommt als Fotografin viel herum, nimmt Stimmungen auf, muß sich im Rotlichtmilieu Geld dazu verdienen, gerät durch Selene auch in politische Auseinandersetzungen hinein und macht Bilder für kommunistische Zeitungen. Dina selbst ist kein politischer Mensch. Erst durch ihre Liebe zu Selene bekommt sie tieferen Einblick in die Machtkämpfe zwischen Linken und Nazis. Im roten Altona sind die Braunhemden nicht willkommen, und doch ist ihr Vormarsch nicht aufzuhalten. Gerade weil diese Entwicklung vor allem aus der Perspektive der zurückhaltenden Dina gezeigt wird, erleben die Leser sie umso nachdrücklicher und eindrucksvoller. Ist es erst einmal nur ein komisch wirkender junger Mann, der das Foto-Atelier mit einem markigen Heil Hitler! betritt, so stehen bald BDM-Gruppen in Reih und Glied Schlange, um sich ablichten zu lassen.
Dabei ist es Stefanie Zesewitz ganz wunderbar gelungen, das Denken und Fühlen ihrer Protagonisten deutlich zu machen. Sie nimmt ihre Leserschaft mit in die Frauenclubs, in eine Schwulenbar, in diverse Lokale in St. Pauli. Aber auch in die feinen Villen der besser betuchten Hamburger, in ein Irrenhaus oder in Tante Luises Pension für alleinstehende Frauen. Als Leser spürt man deutlich, daß die Autorin selbst tief in diese bunt schillernde Welt eingetaucht ist, daß sie viel recherchiert und Zeitzeugen befragt hat. Das macht den Roman lebendig.
Gleich und gleich
Ein wenig erstaunt könnte man jedoch darüber sein, auf wie wenig Widerstand Dina in ihrer Umgebung stößt. Weder Tante Luise noch Fotograf Siegfried nehmen großartig Anstoß an der Tatsache, daß Dina sich mit fliegenden Fahnen in eine Liebesbeziehung zu einer Frau stürzt. Da hätte man sich doch ein wenig mehr Konfliktpotential gewünscht. Dieses wird allerdings reichlich in anderer Form geboten, so zum Beispiel in der Beziehung zwischen Selene und Dina.
Die Autorin bedient sich dabei einer eher unterkühlten und zurückhaltenden Sprache, ohne große Gefühlswallungen und Sentimentalitäten. Vielleicht geht die Geschichte gerade deshalb so unter die Haut.
"Friedrich ist tot."
"Was?" Selene war entsetzt, sie fasste nach Dinas Schultern: "Du musst mir jetzt sagen, was passiert ist, Dina."
Zuerst wollten die Worte nicht kommen, sie fügten sich nicht zu Sätzen. Sie stammelte, aber nach und nach entlockte Selene ihr mühsam die ganze Geschichte und das Ausmaß derselben machte ihr Angst. Dina saß völlig apathisch in der Badewanne.
"Komm raus, das Wasser ist schon ganz kalt."
Hier wird nicht mit unterschiedlichen Zeitebenen und verwirrenden Handlungssträngen gespielt. Die Geschichte wird so geradlinig erzählt, wie sie eben zu der ebenso geradlinigen und offenen Dina passt. Nur die Liebesbeziehung zwischen Simon und Siegfried bietet einen Nebenschauplatz, der allerdings fast noch dramatischer ist als die Liebe zwischen Selene und Dina und die eher einseitige Liebe von Ida zu der hübschen Fotografin.
Die Spannung in diesem Roman baut sich langsam auf, denn zunächst kommt die Handlung doch eher behäbig daher. Wenn man aber dann den entscheidenden Punkt überschritten hat, dann muß man feststellen, daß man gefesselt ist von dieser Geschichte und daß man sie eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Dazu kommt, daß hier von einer Zeit erzählt wird, in der homosexuelle Beziehungen wohl zum ersten Mal so offen gelebt wurden, in der Schwulenbars und Frauenklubs eine Blütezeit erlebten, bevor der hoffnungsvolle Anfang von den Nazis niedergeknüppelt wurde. Und das ist nicht nur einfach informativ oder interessant, das ist spannend. Sehr spannend sogar.
Dramatik und Lokalkolorit
Mit Wie ein Versprechen hat der Quer Verlag einen anspruchsvollen und fesselnden Roman veröffentlicht, voller Lokalkolorit, manchmal traurig, dazu über weite Strecken berührend und dramatisch. Für die Covergestaltung wurde ein Bild aus dem Bestand der Familie der Autorin verwendet. Ein Bild, um das Stefanie Zesewitz im Roman eine eigene Entstehungsgeschichte herum gewebt hat. So hat man das Gefühl, einer Protagonistin des Romans direkt in die Augen zu blicken wenn man das Buch in die Hand nimmt. Eine ganz wunderbare Idee. Leider gibt es nur eine relativ kurze Nachbemerkung der Autorin. Schade eigentlich. Aber dafür hat man ja einen ganzen Roman, in den man sich hinein stürzen kann.
Stefanie Zesewitz, Querverlag
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